Essen. Mit „Mensch bleiben“ tourt Christoph Sieber nun wieder durch die Region. Beim Moderator der WDR-„Mitternachtsspitzen“ geht es stets politisch zu.
Er gilt als der Moralist des deutschen Kabaretts: Christoph Sieber ist bekannt dafür, Missstände in der Gesellschaft deutlich anzusprechen. Dies auf eine so komische Art, dass dem gebürtigen Balinger im Januar 2021 die Moderation der renommierten „Mitternachtsspitzen“ im WDR angeboten wurde. Der 52-Jährige, nun wieder auf Tour mit seinem Solo „Mensch bleiben“, wollte zunächst gar nicht annehmen. Warum, verrät er im Interview mit Patrick Friedland.
Mit „Mensch bleiben“ touren Sie als Folge der Verlegungen und Absagen seit Januar 2019. Inwiefern hat sich Ihr Programm seither verändert?
Christoph Sieber: Erst neulich hatte ich zwei Bekannte da, die den Abend seit der Premiere nicht mehr gesehen hatten. Sie haben mir ganz unbedarft zum neuen Programm gratuliert. Ein Kabarettprogramm ist wie guter Wein. Es reift. Aber Kabarett spiegelt auch das aktuelle Zeitgeschehen wider. Da hat sich seit 2019 nun mal einiges verändert. Unter anderem meine Frisur.
Die ist in der Tat kürzer geworden. Aber zurück zum Programm: Was ist für Sie heute die größte Herausforderung beim „Mensch bleiben“?
„Mensch bleiben“ ist Anspruch und Aufforderung an jeden von uns, sich zu entscheiden, wer wir sein wollen. Dies in einer auf Effizienz und Renditeerwartung getrimmten Welt, in der das Menschliche allzu oft zu kurz kommt. Ich möchte da keinem vorschreiben, wie er zu sein oder zu handeln hat, aber ein wenig mehr „Mensch bleiben“ könnte nicht schaden. Klar ist aber auch: Ich werde Menschen, die glauben, dass wir von Reptilien regiert werden, kaum davon überzeugen können, dass Olaf Scholz ein gewöhnliches Beuteltier ist.
Wie und aus welchen Quellen informieren Sie sich?
Ich lese. Ganz klassisch. Das meiste sogar auf Papier. Zeitungen, Wochenzeitungen, Bücher. Natürlich spielt auch die digitale Welt eine immer größere Rolle. Aber es gilt auch: Eine Meinung ist noch lange kein Fakt. Oder anders gesagt: Aus Fakten dürfen Wut und Empörung werden, aber Wut und Empörung sind und werden keine Fakten.
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Ihr erstes Programm entstand in der Mitte der 90er. Was die Themenlage angeht: War früher alles besser oder hat man es heute als Kabarettist leichter, weil es (gefühlt) einfach viel mehr Probleme gibt?
Ich bin jetzt 52 und noch lange nicht in dem Alter, in dem früher alles besser war. Klar ist aber auch: Die Welt hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Viele Gewissheiten sind zerstört, es regiert die Unsicherheit. Kabarett und Satire stellen die Welt auf den Kopf, hinterfragen Gewissheiten. Immer öfter finden sich Satiriker aber momentan in der Rolle wieder, die Welt erklären zu müssen, weil sie eh schon chaotisch genug ist. Ich freue mich auf die Zeit, in der ich das „Realitäten entstellen“ wieder den Verschwörungshanseln entreißen kann.
Kommen wir zu etwas Spaßigerem: Im Podcast „Das 1. Mal“ diskutierten Sie vergangenen Monat mit Tobias Mann und Chris Peckham noch nie gesehene Filmklassiker. Ist eine Fortsetzung der Reihe geplant?
Ich wusste gar nicht, dass das jemand schaut. Wenn dem so ist: Wir machen weiter, denn ich freue mich, mit meinem Kollegen Tobias Mann in Kontakt zu bleiben.
Welche Filme müssen dann auf der Tagesordnung stehen?
Das Schöne an dem Projekt ist ja, dass wir uns gegenseitig Filme verordnen, die der andere noch nie gesehen hat. Tatsächlich sind Tobias Mann und Chris Peckham große Fans von Action- und Horrorfilmen. Zwei Genres, in denen ich sozusagen jungfräulich bin. Ich als Freund des deutschen und europäischen Autorenkinos sitze dann vor Filmen wie „Terminator“ oder „The Fast and The Furious“ und warte auf den Auftritt von Bruno Ganz.
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Ende Dezember 2020 lief die letzte Folge Ihrer Sendung „Mann, Sieber“ im ZDF. Die Show wurde von Kritikern hochgelobt – gab es seitdem keine Angebote anderer Sender?
Wir warten noch auf einen Sender, der den Mut und die Kohle hat, dieses Projekt wieder aufzunehmen. Wir würden auch auf die Massagesitze im Dienstfahrzeug verzichten.
Grämen Sie sich noch über die Absetzung?
Mein Blick war immer nach vorne gerichtet. Ehrlicherweise hatte ich nach fünf Jahren Doppelbelastung von Live-Tour und Fernsehen auch mal wieder richtig Lust, „nur“ auf Tour zu sein. Dann kam Corona und der WDR rief an.
Nur einen Monat später übernahmen Sie die „Mitternachtsspitzen“. Die persönliche Krönung ihrer Karriere?
Als der WDR anrief, habe ich sofort gedacht: bitte nicht. Für mich waren die Mitternachtsspitzen unwiderruflich mit Jürgen Becker, Wilfried Schmickler und Uwe Lyko verbunden. Erst als Jürgen und Wilfried mir mitteilten, dass sie eine Fortsetzung der Mitternachtsspitzen mit mir als Gastgeber gutheißen, habe ich es ernsthaft in Erwägung gezogen. Und dann überwog halt die Lust, das Flaggschiff der deutschen Kabarettsendungen zu neuen Ufern zu führen.
Die Gästeliste bei den „Mitternachtsspitzen“ für den Rest des Jahres steht. Aber haben Sie einen Traumgast oder eine Traumgästin für 2023?
Erstmal freue ich mich riesig, dass im September Wilfried Schmickler kommt. Und dann haben die Mitternachtsspitzen ja 2023 Jubiläum. Da wäre eine Sendung mit Becker, Schmickler und Knebel ein Traum. Wenn noch Josef Hader oder ein Gerhard Polt mal Zeit hätten, das wäre schon eine feine Sache. Und falls Gerhard Schröder tatsächlich aus seinem Büro im Bundestag fliegt: Wir suchen noch einen, der uns Backstage das Bier aufmacht.
>>> INFO: Christoph Sieber live
28.8. Duisburg (Theater am Marientor), 15.9. Dortmund (Spiegelzelt an den Westfalenhallen), 16.9. Erkrath (Stadthalle), 17.9. Köln (Ev. Gemeindezentrum Pesch), 22.9. Essen (Stratmanns Theater im Europahaus), 19.11. Siegen (Lÿz), 27.1. Gladbeck (Mathias-Jakobs-Stadthalle), 4.3. Köln (Comedia), 9.3. Finnentrop (Festhalle), 24.3. Rees (Bürgerhaus). Karten ab ca. 18 €.