Essen. Bluesrocker Walter Trout veröffentlicht am 19.8. sein neues Album „Ride“. Im Interview erzählt er u.a. von seinem axtschwingenden Stiefvater.

Die Webcam ist schon an. Sie zeigt einen leeren Bürostuhl, eine strahlend weiße Wand und ein bisschen pflanzliches Grün im Hintergrund. Von Bluesrocker Walter Trout, der bereits bei John Lee Hooker und in der Band Canned Heat spielte, fehlt jede Spur. Doch dann nähern sich Schritte der Webcam. Ganz entspannt nimmt der 71-Jährige („All Out Of Tears“) Platz. Von Nervosität fehlt jede Spur und das obwohl morgen sein neuestes Album „Ride“ erscheint. Aber es ist auch immerhin schon Trouts 30. Platte. Warum er bereits als Zwölfjähriger wusste, dass die Musik mal lebenswichtig für ihn sein wird und wieso er nur auf den letzten Drücker arbeiten kann, dass verriet der Sänger und Gitarrist Kirsten Gnoth.

Das neue Album heißt „Ride“. Was war der wildeste Ritt Ihres Lebens?

Walter Trout: Mein ganzes Leben war ein wilder Ritt. Angefangen von den Sachen, die ich als Kind durchmachen musste über Alkoholismus und Heroin-Sucht bis hin zur Scheidung und Obdachlosigkeit. Trotzdem bin ich noch hier und bereue von alldem nichts.

Wie sind Sie bei alldem positiv geblieben?

Es sind alles Erfahrungen, die ich gesammelt habe. Die Welt ist ein großes Panorama – man kann sich das aussuchen, was man sehen möchte. Die Welt ist auch gefüllt mit guten Dingen und tollen Menschen. Das muss man in den Fokus nehmen und nicht all die hässlichen und grausamen Dinge da draußen. Natürlich passieren schreckliche Dinge, aber eben auch viel Schönes.

Zum Beispiel?

Ich stand gerade noch mit meiner Frau draußen auf unserer Terrasse hier in Dänemark und wir haben zusammen eine Tasse Kaffee getrunken. Die Sonne scheint, eine leichte Brise geht und wir schauen aufs Meer. Diese Momente muss man genießen.

Das klingt wirklich schön und dennoch drehen sich einige Songs des neuen Albums um Eskapismus. Auch im Titelsong „Ride“ geht es um Flucht. Wovor genau?

Ich wollte als Kind vor meinem gewalttätigen, alkoholabhängigen Stiefvater fliehen. Meine Mutter, mein Bruder und ich, wir hatten in manchen Nächten sogar Angst um unser Leben. Er hat einmal versucht, mit einer Axt die Schlafzimmertür einzuschlagen. Sie wissen schon, wie in den Film „The Shining“. Ich lag als Kind oft nachts wach und wollte einfach in einen der Güterzüge einsteigen, die an unserem Haus vorbeigefahren sind. Aber ich hab’s nie getan. Ich habe mich stattdessen in die Musik geflüchtet. Ich wusste schon als Zwölfjähriger, dass das mein Weg raus ist und doch noch alles gut wird, solange ich nur nicht von diesem Weg abweiche.

Also hat Ihnen die Musik bei der Traumabewältigung geholfen?

Die Musik ist ein Zufluchtsort. Egal, was ich gerade durchmache oder wie ich mich fühle – wenn ich zur Gitarre greife, ist alles okay. Musik hat mich schon immer vor der Realität gerettet.

Die Corona-Pandemie hat die Musikbranche ganz schön auf Eis gelegt. Haben Sie in der Zeit jemals an dieser Berufsentscheidung gezweifelt?

Niemals. Aber ich war natürlich frustriert. Ich möchte Musik für Menschen machen und touren. Plötzlich anderthalb Jahre auf der Couch sitzen zu müssen, war schlimm. Auch, weil ich eine transplantierte Leber habe und nie so richtig weiß, wie viel Zeit mir noch bleibt.

Die Zeit rund um die Transplantation war hart, oder?

Ja, ich lag acht Monate lang im Krankenhaus und hatte einen Hirnschaden davon getragen. Meine ganzen Erinnerungen waren ausgelöscht und ich musste alles neu lernen: laufen, sprechen und eben auch Gitarre spielen. Aber ich habe es geschafft und bin zurückgekommen – und das, obwohl ich eigentlich nicht mehr hier sein sollte. Die Ärzte haben meiner Frau mehr als einmal gesagt, dass es nun zu Ende geht. Ich bin – um es mit einer Baseball-Metapher zu sagen – im neunten Inning meines Lebens angekommen.

Beim Auto ist der Lack ab, bei Walter Trout noch lange nicht.
Beim Auto ist der Lack ab, bei Walter Trout noch lange nicht. © rough trade | Mascot

Haben Sie Angst vor dem wirklichen Ende?

Nein, ich hatte ein unglaubliches Leben und hinterlasse ein tolles musikalisches Erbe.

Sie machen seit über 50 Jahren Musik und „Ride“ ist das 30. Album. Und trotzdem probieren Sie stets Neues aus – wie Streicher im Song „Follow You Back Home“. Es ist das erste Mal, warum haben Sie so lange gewartet?

Weil ich bisher keinen Song hatte, bei dem es gepasst hat. Der Keyboarder bei diesem Song ist Teddy „Zig Zag“ Andreadis, der schon mit Guns’n’Roses, Alice Cooper … ach einfach jedem auf diesem Planeten gespielt hat. Er schlug die Streicher vor und bastelte eine Versionen mit unechten Streichern am Computer zusammen. Ich war begeistert. Wir haben dann natürlich echte Streicher organisiert (lacht).

Der Song hat eine ganz besondere Bedeutung für Sie. Er dreht sich um schwierige Zeiten in Ihrer Ehe. Was haben Sie aus dieser Zeit gelernt?

Dass ich einfach nur mit meiner Frau zusammen sein möchte. Wir sind seit 32 Jahren ein Paar und es war nicht immer leicht, aber heute haben wir eine engere Verbindung als je zuvor. Viele sagten mir, dass dieses Lied zu persönlich ist, aber ich kann nur Songs zu Dingen schreiben, die ich selbst erlebt habe und aus vollem Herzen fühle. Deshalb ist gerade bei diesem Lied das Gitarren-Solo auch so emotional.

Planen Sie das im Vorfeld?

Das kann ich nicht planen. Ich spiele spontan und so wie ich mich fühle. Wenn ich für ein Solo mehr als zwei Versuche brauche, muss ich es erstmal abbrechen. Sonst wird es eine Kopf- und keine Gefühlssache mehr. Ich möchte beim Spielen nicht denken – deshalb habe ich mich auch für Bluesrock entschieden (lacht). Wenn ich beim Musikmachen nachdenken wollen würde, würde ich sowas wie Dream Theater machen.

Ihre Frau ist nicht nur Ihre Muse, sondern auch Ihre Managerin. Wie klappt das?

Sie hat für mich 28 Plattenverträge ausgehandelt und ist extrem gut in dem, was sie tut. Sie managt nur mich – und das obwohl sie schon Angebote von anderen namhaften Künstlern bekommen hat. Dass sie mir ihre volle Aufmerksamkeit schenkt, hat meiner Karriere sehr gut getan.

Sie ist auch diejenige, die Sie vor neuen Alben antreibt, oder?

Ja (lacht). Viele meiner Alben habe ich erst zwei Wochen vor den Studioaufnahmen geschrieben. Meine Frau macht mir dann immer etwas Druck. Das brauche ich anscheinend.

Sind Sie beide nun eigentlich ganz nach Dänemark, in die Heimat Ihrer Frau gezogen?

Nein, wir sind nicht direkt umgezogen. Wir sind während der Pandemie in unser Haus in Dänemark gezogen und wollten nur ein paar Monate bleiben. Jetzt sind es zwei Jahre (lacht). Aber nun werden wir wieder zwischen dort und Kalifornien pendeln.

Wie gefällt Ihnen Dänemark?

Wo wir leben, in einem kleinen Dorf mit 500 Einwohnern im Norden des Landes, ist es wunderschön. Es ist sehr entspannend und ein Gegenpol zum stressigen Musikgeschäft.

Stressig ist vor allem das Touren. Fährt Ihre Frau mit?

Nein, ihr ist nicht unbedingt danach um vier Uhr morgens aufzustehen und zum Flughafen zu fahren. Ich muss das, denn ich bin derjenige, der auftritt. Aber ich bin jetzt über 70 und es wird nicht einfacher von Land zu Land zu reisen (lacht).

Ist es das wert?

Absolut. Was sollte ich sonst tun? Wieder auf der Couch sitzen? Nein!

Walter Trout live: 18.8. Leverkusen (Open Air am Schloss Morsbroich, Abendkasse 45 €), 24.10. Bochum (Zeche), Tickets ab ca 40 €.