Essen. Der belgische Sänger Milow hat sein Album „Nice To Meet You“ veröffentlict. Im Interview erzählt er von einem zuckersüßen Videodreh mit Folgen.

Mit der akademischen Viertelstunde Verspätung klingelt das Telefon. Sänger Milow hat beim Wühlen durch Mails und Textnachrichten die Zeit vergessen. Kein Wunder, sind es doch alle Glückwünsche zur Veröffentlichung des neuen Albums „Nice To Meet You“ gewesen. Im Gespräch mit Kirsten Gnoth ist der 40-Jährige hörbar stolz. Außerdem verriet der Antwerpener, warum ihm die Platte so viel bedeutet und wie er die Trauer um Schlagzeuger Oscar Kraal verarbeitete.

Ihr neues Album heißt „Nice To Meet You“. Wen genau treffen Sie?

Milow: Für mich sind das verschiedene Leute. Zuerst natürlich mal das Publikum, was ich in den letzten zwei Jahren wenig bis gar nicht gesehen habe. Aber der Titel bezieht sich auch auf meine zwei Kinder. Sie sind vier und sieben Jahre alt und es ist der erste Song überhaupt, den ich den beiden widme. Ich möchte damit den Menschen zeigen, wie viel mir meine Kinder bedeuten und woher ich meine Inspiration nehme.

In gleichnamigen Song geht es auch um Dinge, die Sie von Ihren Kindern gelernt haben. Welche sind das?

Seitdem die beiden auf der Welt sind, habe ich gelernt, meine Prioritäten besser zu verteilen. Ich wurde auf eine gute Art dazu gezwungen, die Balance zwischen meiner Musik, meiner Karriere und meinem Privatleben zu verbessern. Manchmal vergisst man, dass es ein Leben außerhalb der Musiker-Blase gibt, doch das gibt es. Und manchmal tut es einfach gut, eine Pause vom Musikmachen zu nehmen, um inspirierter zurückzukommen. Vor allem ist es inspirierend zu sehen, wie meine Kinder alles zum ersten Mal erleben. So entdecke ich auch Dinge neu, die ich jahrelang für selbstverständlich gehalten habe. Außerdem sind meine Kinder unglaublich mutig und haben so gut wie nie Angst. Als jemand, der ständig besorgt wegen irgendwelchen Sachen ist, beruhigt mich das.

Ihre Beziehung zum eigenen Vater war nicht so toll, oder?

Doch, eigentlich hatte ich eine gute Beziehung zu meinem Vater. Es war nur schwierig für uns, die richtigen Worte zu finden. Die Kommunikation zwischen uns lief nicht immer gut. Er ist mit 53 Jahren gestorben, da war ich gerade 26. Ich bin davon überzeugt, dass wir, wenn er nicht so früh verstorben wäre, näher zusammengewachsen wären. Es hat sich so angefühlt, als würden wir gerade erst eine richtige Kommunikation entwickeln und wären dabei unterbrochen worden. Das lässt mich natürlich mit Fragen zurück und auch ein bisschen mit Bedauern.

Versuchen Sie nun, das bei den eigenen Kinder bessern zu machen?

Ja, aber ich muss da die Betonung auf „versuchen“ legen (lacht). Ich versuche es wirklich, aber manchmal schaffe ich es noch nicht ganz so gut. In meinen Songs hinterlasse ich deshalb kleine Notizen an mich selbst, die mich daran erinnern, wo meine Prioritäten liegen sollten.

Das ist eine gute Gedankenstütze.

Ja, absolut. Die kleinen Hinweise an mich selbst helfen mir auch mich an die Stimmung zu erinnern, in der ich war, als ich den Song geschrieben habe. Sie zeigen mir, an welchem Punkt im Leben ich da gerade war. Das ist hilfreich, wenn man Songs schreibt, die man zehn oder fünfzehn Jahre später immer noch live spielt und die gleichen Emotionen wecken möchte.

Das sind nicht immer nur positive Emotionen, sondern manchmal auch schmerzliche. Auf der neuen Platte haben Sie Ihrem Schlagzeuger Oscar Kraal einen Song gewidmet – er ist an Krebs gestorben. Hat das beim Trauern geholfen?

Musik hat mir schon oft durch schwierige Situationen geholfen. Wenn ich mich hinsetze, um ein Lied zu schreiben, muss ich mich den Emotionen stellen und mich damit auseinandersetzen. Ohne den Song würde ich mich eventuell davor drücken.

Inwieweit hat Sie Oscars Tod beeinflusst?

Es hat mich als Mensch, aber auch als Musiker extrem beeinflusst. Ich habe den Song „Nice To Meet You“ geschrieben, ich mochte ihn, aber er war mir zu persönlich. Ich hatte eigentlich nicht vor, ihn zu veröffentlichen. Dann ist Oscar krank geworden und schließlich gestorben. Er hat zwei junge Töchter hinterlassen. Plötzlich habe ich darüber nachgedacht, was wäre, wenn mir etwas passiert. Mir ist bewusst geworden, dass meine Kinder dann nichts von sich selbst in meiner Musik finden würden. In dem Moment war klar, dass ich „Nice To Meet You“ aufs Album packe und zwar als erstes Lied und es nicht irgendwo verstecke.

Ist es Ihnen schwergefallen, sich so zu öffnen?

Ja, klar. Als ich meinen Durchbruch hatte, war ich gerade mal 25 oder 26. Es war überwältigend. Instinktiv wollte ich in diesem Augenblick einfach mein Privatleben schützen.

Sie stellen dem Hörer also auch eine ganz neue Seite von sich selbst vor.

Ja, ich möchte mich offen, emotional und auch verletzlich zeigen. Und ich denke, jede neue, gute und tiefergehende Konversation beginnt mit einem ehrlichen „Hi, schön dich kennenzulernen“.

Auf dem Album finden sich auch zwei Liebeserklärungen an die 80er-Jahre, in denen Sie selbst geboren wurden. Woher kam die Idee dazu?

Das ist witzig, eigentlich habe ich bei jedem Album eine Idee, wo es musikalisch hingehen soll. Man hat eine Melodie und arbeitet diese dann aus. Bei „DeLorean“ und „Donkey Kong“ war das anders. Da hatte ich mir nur die Songtitel in meinem Handy gespeichert und wusste, ich wollte dazu was machen – egal wie. Die beiden Dinge erinnern mich einfach an meine Jugend. Ich bin letztes Jahr 40 geworden und fand es passend. Außerdem ist der DeLorean eine Zeitmaschine. Ich habe mir in den letzten zwei Jahren immer in Tagträumen vorgestellt wie es wäre, in eine Zeit zu reisen, in der Konzerte wieder möglich sind oder noch möglich waren.

Lassen Sie uns noch ein bisschen weiter in die Zeit zurückreisen. Zu Ihrem großen Hit „Ayo Technology“ 2008. Der Song ist eigentlich von Rapper 50 Cent. Wieso haben Sie sich gerade dafür entschieden?

Ein Jahr zuvor hatte ich mit „You Don’t Know“ meinen Durchbruch in Belgien – aber eben nur in Belgien. Ich wurde in eine Radiosendung eingeladen und sollte dort meine Single spielen. Allerdings fragten die Jungs mich auch, ob ich einen Coversong mitbringen könnte – etwas Unerwartetes. 50 Cent hatte „Ayo Technology“ ein halbes Jahr vorher rausgebracht und ich hab mal 30 Minuten damit rumexperiementiert.

Das Lied passt so gar nicht zu Ihnen – wenn ich das so sagen darf.

Eben (lacht). Es ist ein machomäßiger und toxischer Blick auf Pornos und Stripper. Ich hab mir also meine Gitarre geschnappt und wollte es so klingen lassen, als ginge es überhaupt nicht um diese Dinge. Plötzlich wirkte es so, als stecke hinter diesen harten Typen eine ungeahnte Melancholie und Einsamkeit. Obwohl ich an dem Songtext überhaupt nichts ansprechend fand, habe ich es zu meinem Lied gemacht und konnte den Menschen zeigen, dass ich mich selbst nicht ganz so ernst nehme (lacht).

Und hatten einen überwältigenden Erfolg damit.

Das ging allerdings nicht von heute auf morgen, sondern hat einige Zeit gedauert. Es hat auch geholfen, dass Paris Hilton und Kanye West den Song gut fanden. Das war völlig verrückt für mich. Ich war einfach ein Typ aus Belgien, der diesen klischeebeladenen Song irgendwie parodiert hat.

Ich habe mir auch noch mal das Video angesehen. Am Ende scheinen Sie förmlich im Honig zu ertrinken.

Ja, ich sollte Honig ausspucken und hatte deshalb ganz viel in meinem Mund. Ich wurde aber gleichzeitig auch noch mit einem Eimer voller Honig übergossen. Irgendwie haben wir aber nicht bedacht, dass ich dann wirklich keine Luft mehr bekomme, weil meine Nase ja auch mit Honig verstopft wird. Es war ... spannend (lacht).

Wie lange hat es gedauert bis Sie wieder Honig essen konnten?

Es hat Monate gedauert bis ich ihn wieder essen konnte. Sogar der Duft von Honig war zu viel. Er war in jeder meiner Poren – obwohl ich eine Dusche nach der anderen genommen habe. Ich konnte den Honig noch tagelang riechen.

Milow live:

„Nice To Meet You“-Tour: 28.11. Dortmund (FZW), 1.12. Köln (Carlswerk Viktoria). Karten ab ca. 51 €.

Weitere Termine: 13.7. Dinslaken (Burgtheater), 21.8. Bochum (Zeltfestival Ruhr). Tickets ab ca. 50 €.

Milow zum Trinken: In Zusammenarbeit mit dem Weingut Pluschkovits hat Milow den „Nice To Meet You“ Rosé Brut herausgebracht. Erhältlich für 14 € über www.pluschkovits.de