Bottrop. Beim „Exploria LARP“ schlüpfen Gäste ein Wochenende lang in verschiedene Rollen. Die Bottroper Eloria ließ dafür eine besondere Kulisse bauen.

Mit gemütlichem Schritt, aber wachem Blick bewegt sich Frank Stürmer durch die Gasse. Die Laternen flackern schon, es ist Freitagabend. Stepptänzer und Geiger unterhalten die Passanten auf ihren Wegen in die Bar „Le Chat Noir“, wo die angesagten Grammophoniacs auf ihr Publikum warten. „Guten Abend, Herr Wachtmeister“, grüßt eine schick gekleidete Lady den Uniformierten im Vorbeigehen. „Herr Oberwachtmeister, wenn ich bitten darf“, erwidert dieser so bestimmt wie verschmitzt. „Aber auch Ihnen einen guten Abend!“

Stürmer gehört zu den erfahreneren Mitspielern des neuen „Exploria LARP“ in der Bottroper Eloria. Seit 2005 nimmt der 39-Jährige regelmäßig an LARP-Events teil. Die Abkürzung steht für „Live Action Role Play“, ein Rollenspiel in einer besonderen Szenerie. Die bis zu 200 Gäste, Neulinge und Neugierige wie Veteranen, nehmen in einer Art Improvisationstheater über einen vorher festgelegten Zeitraum verschiedene Charaktere an, meist spielen die Events in Fantasie-Welten. Oft sind Spielerinnen und Spieler in Ritter-, Vampir-, Zauberer- oder Drachenkostümen dabei allgegenwärtig – nicht so in Bottrop.

Etwa ein Jahr Bauzeit nahm die LARP-Kulisse „Exploria“ in Anspruch

In der Eloria, die 2021 das insolvente Grusellabyrinth beerbte, wurde rund ein Jahr lang eine Kulisse namens „Exploria“ gebaut. Hotel, Polizeiwache, Modegeschäft, Burlesque-Bar, Marktplatz, Bibliothek, Werbeplakate für die 40 Pfennig kostende „Knack Kernseife“ – es fehlt an nichts. „Das ist ein Filmset zum Anfassen“, sagt Geschäftsführer Michael Bierhahn voller Stolz. Es wird zudem als Escape-Room-, Party- und buchbare Event- und Fotoshooting-Location genutzt.

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An bestimmten Terminen steht aber alles im Zeichen der LARP-Community. Gespielt wird, mit nächtlichen Pausen, vom Freitagabend bis Sonntagvormittag. Bis zu sechs Stunden vor dem Start am Freitag um 21 Uhr können die Gäste einkehren, sich in Kleingruppen-Workshops kennenlernen oder in der Garderobe schick machen. Einige reisen schon im meist in klassischem schwarz, weiß und grau gehaltenen Outfit an, viele Männer tragen Fliege und Hut, die Frauen Kleid und Wasserwelle – einen Dresscode gibt es natürlich.

Authentische Darstellung

„Wir wollen die 20er realistisch darstellen“, betont Alex Landsiedel, der das Spiel mit seinen Kollegen des LARP-erfahrenen Vereins Waldritter e.V. und Eloria konzipiert und organisiert hat. Er ist auch einer der Spielleiter, die den Mitspielenden die Charaktere zuteilen – dies nach Möglichkeit mit einigen Wochen Vorlauf, damit passende Kleidung angeschafft werden kann – und im Spiel mit Aufgaben versorgen. An denen mangelt es nicht, schließlich gehört jede Figur zu unterschiedlichen Gruppen.

Wer sich nicht benimmt, muss ins Kittchen – auch ein solches wurde detailgetreu gebaut.
Wer sich nicht benimmt, muss ins Kittchen – auch ein solches wurde detailgetreu gebaut. © Fabian Strauch / FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

„Wir teilen jedem einen öffentlichen Beruf, eine oft nicht legale Aktivität im Verborgenen und ein Hobby zu“, erklärt Landsiedel. So kann beispielsweise der tagsüber seriös wirkende Bibliothekar nachts in Hinterzimmern illegale Boxkampf-Veranstaltungen planen und durchführen. „Das erhöht den Wiederspielwert von ‚Exploria‘ erheblich“, sagt Michael Bierhahn. „Wer dreimal mitspielt, kann in drei völlig verschiedene Charaktere eintauchen.“ Damit die verschiedenen Identitäten der Teilnehmenden nicht zu offensichtlich aufgedeckt werden, erhalten alle vor Spielbeginn eine Kurzeinweisung, in der die sozialen Verflechtungen und Berufe festgelegt werden.

Marktlücke: LARP im 20er-Jahre-Stil

So arbeiten Anja Bagus, Clara Wirz und Saskia Schürmann heute zusammen, das Trio leitet die „Boutique Lilly“. Erstere (58) ist „seit 25 Jahren LARPerin, vor allem im Fantasy-Bereich. Endlich gibt’s so ein Angebot mal für die 20er-Jahre“, freut sie sich. Und geht in ihrem Charakter voll auf: „Das hier ist der heißeste Fummel – den müssen Sie einfach haben, wenn sie heutzutage ausgehen“, erklärt sie der Kundin, die allerdings schon einen anderen Dress im Auge hat: „Dieses Grün ist aber besonders schön …“

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Nebenan verkauft Paul (im wahren Leben Patrick Bachmann) am Kiosk Snacks. Er ist aus Irland in die Weimarer Republik migriert. Mit „very Irish accent“ erklärt er: „Das hier am Kiosk war der erste Job, den ich fand. Meine Eltern kennen diesen … Fritz?“ Wenn das mal der Chef hört – das Büdchen gehört einem gewissen Frank Sturm.

Auch Werbe- und Fahndungsplakate dürfen nicht fehlen.
Auch Werbe- und Fahndungsplakate dürfen nicht fehlen. © Fabian Strauch / FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Reinschnuppern in andere Lebenswelten

Nicht zu verwechseln mit Frank Stürmer – aber der darf ja hier nur Herr Oberwachtmeister genannt werden, wie wir bereits wissen. Was fasziniert ihn so an LARP? „Es ist ein Reinschnuppern in andere Lebenswelten. Hier kann ich beispielsweise einen Polizisten spielen, aber ohne Auseinandersetzungen, die zu Verletzungen führen könnten.“ Sein „Meinungsverstärker“ ist der „Knüppel“, eine Schaumstoffwaffe mit Latexüberzug. „Fühlt sich etwas härter an als ein festes Kissen und hinterlässt keine Striemen.“ Das ist bei den Schwertern oder Dolchen im Fantasy-LARP oft anders.

Goldene Zeiten in der Eloria Erlebnisfabrik

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Auf Schusswaffen verzichtet die „Exploria“-Polizei auch. Alex Landsiedel erläutert, warum: „Die sind sehr final. Bedeutet: Wenn ein Charakter nach zwei von 20 Spielstunden erschossen würde, wäre er aus dem Spiel und zahlt das Gleiche wie jemand, der die vollen 20 Stunden spielt. Das geht nicht.“ Stattdessen wird ein Endzeitpunkt für alle vorab durch die Spielleitung festgelegt. Egal, ob die Erzählstränge bis dahin abgeschlossen wurden oder nicht.

Es gibt keine Zuschauer

Wie die Teilnehmenden interagieren, steht ihnen frei. Unbeobachtet von außen sind sie aber auf jeden Fall, denn Zuschauer, die womöglich mit der Handy-Kamera draufhalten, gibt es beim LARP nicht. „Wer kommt, spielt mit. Das hat mit dem Sicherheitsbedürfnis zu tun. Du kannst dein normales Leben ein Wochenende lang hinter dir lassen und in Rollen schlüpfen. In diesen schlägt man naturgemäß aber mal über die Stränge“, sagt Landsiedel.

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Wenn Fragen entstehen, steht das Spielleiter-Team in einem abgetrennten Raum jederzeit bereit. „Wir sind da, falls jemand, gerade ein Neuling, sich in der Rolle unwohl fühlt oder mit einer Situation nicht umzugehen weiß“, so Landsiedel. Spannend und unterhaltsam bleibt es aber jederzeit, schließlich weiß der Veteran: „LARPer mögen das Drama und suchen Konflikte.“ Oder eine gute Story. So benötigt die Kollegin vom „Wochenblick“ noch eine Meldung für die aktuelle Ausgabe. Bei der Polizei kommt sie da heute aber nicht weit: „Alles ruhig momentan“, sagt der Oberwachtmeister. „Dann ist ja alles gut“, erwidert die Journalistin. „Na ja. Wenn es zu ruhig ist, haben sie nichts zu berichten“, antwortet der Beamte. Sagt es, grinst – und startet seine nächste Streife durch die Gassen von „Exploria“.

Nächstes Event: 3.-5.6., Eloria, Knappenstr. 36, Bottrop. Kosten: 200 € pro Person inkl. zwei warmen Mahlzeiten am Freitag und Samstag sowie alkoholfreien Getränken. Die Teilnehmenden müssen volljährig sein. Weitere Infos gibt’s auf eloria.de/event/exploria-larp