Bottrop. Die Windkanal-Anlage in Bottrop richtet die Offiziellen Deutschen Meisterschaft im Indoor Skydiving aus – Zeit für einen Selbstversuch.
Schulterbreit stehe ich in dem engen Rahmen, das Becken nach vorne gestemmt, den Rücken leicht nach hinten gebeugt, die Arme in die Höhe gestreckt, Kinn hoch. „Wie eine Banane“, hat Mark Polus, der mich in mein bevorstehendes Abenteuer einweist, erklärt.
Mache ich das auch richtig? Viel Zeit zum Nachdenken bleibt nicht, schon lasse ich mich nach vorne fallen – und werde vom Wind in den 17 Meter hohen Tunnel getragen. So fühlt sich also Indoor Skydiving an, simuliertes Fallschirmspringen im vertikalen Windkanal.
Fallschirmspringen für Anfänger: Indoor Skidiving
Der von einem riesigen Propeller erzeugte Wind, der durch den gut vier Meter breiten Turm mit Geschwindigkeiten von bis zu 280 km/h fegen kann, drückt mich direkt hoch – nach links, nach rechts. Schwerelos fühle ich mich nicht, dafür bin ich zu sehr damit beschäftigt, eine Banane zu bleiben.
Die rettenden Hände, die Mark Polus gehören, zuppeln an mir, weisen meinen Körper in die richtige Richtung, nach wenigen Sekunden schon weiter nach oben. Ah! Als mich der Flug-Instructor das erste Mal loslässt, vergesse ich kurz zu atmen – dann kickt das Adrenalin.
Weltmeisterschaft im Skydiving in Bottrop
„Das Gefühl ist nahezu identisch zum echten Fallschirmsprung“, erklärt Boris Nebe, Betreiber der Bottroper Windkanal-Anlage. „Eine Stunde Training hier drin, sind in etwa so viel wie 100 Sprünge draußen.“
Dass hier professionelle Fallschirmspringer durch die Röhre flitzen, ganze Choreographien vorführen, kann ich mir gar nicht vorstellen. Aber sie tun es, am Montag und Dienstag sogar ganz offiziell: Dann richtet Indoor Skydiving Bottrop die dritte Ausgabe der Offiziellen Deutschen Meisterschaft im Indoor Skydiving aus, nach fast drei Jahren Wettkampfpause, und ist damit einer von zwei Standorten.
Artistik im Windkanal
Seit gestern fliegen die Profis in München in den Formationswettbewerben um Medaillenplätze. In Bottrop werden die Deutschen Meister in den artistischen Disziplinen „Dynamic“ und „Freestyle“ gekürt.
So kämpferisch geht es im Ruhrgebiets-Tunnel eigentlich nicht zu, erklärt Nebe. „Am Anfang haben hier Fallschirmspringer aus aller Welt rund um die Uhr geübt. Weil es keine vergleichbaren Trainingseinrichtungen gab.“
Früher professionell – heute Spaßbetrieb
Der Bottroper Windkanal war laut Nebe 2009 einer der ersten in Europa. Mittlerweile gibt es die vertikalen Anlagen auf der ganzen Welt. „Jetzt sind wir eher ein Spaßbetrieb, richten Firmenevents und Familienausflüge aus.“
In den Windkanal dürfen sich schon Kinder ab vier Jahren fallen lassen. Und auch ansonsten gibt es kaum Einschränkungen, man sollte lediglich über eine normale Fitness verfügen. „Das ist ja das Schöne: Durch die Windtunnel wird der Fallschirmsport einer breiten Masse zugänglich gemacht; Leuten, die so wahrscheinlich nie auf die Idee kommen würden, Fallschirm springen zu gehen.“
„Wie in einer Hängematte liegen“
Solchen wie mir also – reizvoll ist es natürlich trotzdem. „Nach dem ersten kleinen Schreckmoment ist es, als wenn man in einer Hängematte liegt“, erklärt Nebe. Das kann ich. Deshalb stehe ich nun in dem kleinen Raum, eingepackt in einen gepolsterten Overall und höre gebannt meinem Instructor zu.
Lange dauert die Einweisung nicht, viel gibt es auch gar nicht zu erklären. Ganz wichtig: die Banane. „Wenn du diese Haltung einnimmst, wird man dich ultraschnell loslassen können“, prophezeit Polus. „Wenn du einmal eine gute Haltung hast, dann brauchst du gar nichts mehr zu machen.
Overall an, Schutzbrille und Helm aufsetzen
Die Luft trägt dich von alleine. So funktioniert das Fliegen auch. Das ist nicht wie beim Schwimmen, wo du permanent was tun musst, um oben zu bleiben.“ Immer schön geradeaus schauen, nicht kreuz und quer. „Das ist alles sehr sensibel. Deshalb: Bewegungen nur in Zeitlupe ausführen.“ Jede Aktion hat Auswirkungen.
Dann noch ein paar Handzeichen: Kopf nach oben, Beine anwinkeln, „Hang Loose“ (geschlossene Faust mit abgespreiztem Daumen und kleinem Finger ) zum Lockerbleiben. Das werde ich noch häufiger sehen … Schutzbrille und Helm aufgesetzt und schon kann es losgehen. „Schön locker bleiben und keinen Blödsinn machen“, mahnt der Experte lachend.
Auf wackligen Füßen
Die ersten zwei Minuten im Windkanal sind schneller vorbei als gedacht. Kaum liege ich in einer sehr wackligen Hängematte, bugsiert mich der Ausbilder schon wieder aus der Kabine. Durchatmen. Wow!
Der feste Boden unter den Füßen scheint immer noch nachzugeben. Ich muss mich hinsetzen und grinse dabei wie ein debiles Honigkuchenpferd. Mark Polus beteuert, dass ich mich gar nicht so doof angestellt habe und gibt mir noch ein paar Tipps: Hände schön ausgestreckt lassen, nicht nach hinten ziehen. Alles klar, nächster Versuch.
„Hang Loose“ mit Unterstützung
In Bananen-Stellung lasse ich mich wieder in die Hände meines Instructors und in den tosenden Luftzug fallen, der außerhalb der Kabine manuell gesteuert wird. Der künstliche Wind drückt mich nach oben – so als würde man bei voller Fahrt auf der Autobahn den Arm aus dem Fenster strecken, nur versucht hier der gesamte Körper den Luftdruck auszugleichen.
Ein unbeschreibliches Gefühl. Ich versuche mich darauf zu konzentrieren, welche Aktion was verursacht. Kopf hoch, und dann? „Hang Loose“ signalisiert mir Mark, schön locker bleiben, nicht zu viel nachdenken.
Der Profi macht’s vor – ich aber nicht nach
Wie es aussieht, wenn man den Kopf ausschaltet, demonstriert mir der 36-Jährige direkt im Anschluss: Von wegen Banane – der Profi-Fallschirmspringer lässt sich in den Wind fallen, wie andere ins gemachte Bett. Nur um direkt danach wie eine Rakete zur Decke zu schießen. Er wirbelt umher, dreht sich um die eigene Achse, stehend, gebeugt, kopfüber, nutzt jeden Zentimeter des Turms. So sieht also Fliegen aus.
Ich bin froh, dass ich zumindest einigermaßen waagerecht in der Luft schwebe. Und dann darf ich doch noch einmal richtig in die Höhe steigen. Der Instructor packt mich an Arm und Oberschenkel, wirbelt mit mir hoch in den Kanal. Wahnsinn! „Hang Loose“.
Flugdiplom und Muskelkater
Nach der letzten Runde in der Röhre erinnert nur noch ein Flugdiplom an mein Erlebnis – und der Muskelkater am nächsten Morgen. „Vom Fliegen kommt das eher nicht“, erklärt Boris Nebe lachend. „Vermutlich zu angespannt.“ Da hilft nur eins: Den nächsten Freiflug buchen – dann vielleicht sogar draußen?
>>> INFO:
Indoor Skydiving Bottrop, Prosperstr. 297. Flüge ab 59 € buchbar (Airlebnis M, 2 Flüge; Kinder 49 €). Infos und Terminbuchung auf www.indoor-skydiving.com
Fly for Ukraine: Im März, Mo-Do, 50% Rabatt, der komplette Erlös geht an die Ukraine-Nothilfe. Rabattcode: PEACE. Spendensumme bisher: 13.649 ,16€
Deutsche Meisterschaft im Indoor Skydiving in Bottrop, 14.+15.3., Mo ab ca. 14 Uhr, Di ab ca. 10 Uhr, Eintritt frei (3G). Auch online verfolgbar unter www.indoor2022bottrop.dfv.aero