Essen. Kabarettistin Anny Hartmann befasst sich mit den großen politischen Problemen der Zeit. Einzelne Polit-Promis nimmt sie aber ungern aufs Korn.

Sie gilt als „pazifistische Schnellfeuerwaffe“ des deutschen Kabaretts: Anny Hartmann tourt seit 2007 als Solokünstlerin durchs Land – wenn gerade nicht wieder die pandemische Lage für zahlreiche Terminabsagen verantwortlich ist. Im Frühjahr will die 51-Jährige ihr Programm „NoLobby is perfect!“ noch einige Male vorstellen, bevor es ab Herbst mit dem neuen Solo „Klima-Ballerina“ (hoffentlich) auf Tour geht. Über die Inhalte, politische Probleme in Deutschland und die Schwierigkeit, zu maskiertem Publikum eine Verbindung aufzubauen, sprach Hartmann mit Patrick Friedland.

Überwiegt die Freude, dass sie kürzlich zumindest ein paar Shows mit ihrem Jahresrückblicksprogramm spielen konnten oder der Frust über die letzten Absagen?

Anny Hartmann: Da muss ich leider gestehen, dass der Frust mittlerweile, so nach fast zwei Jahren, echt überwiegt.

Womit haben Sie sich die vergangenen zwei Jahre voller Auftrittsverbote vertrieben?

Tja, wenn man es Hobby nennen kann, wenn man versucht, Politiker*innen dazu zu bringen, der Kulturbranche und generell den Solo-Selbständigen besser zu helfen, dann habe ich ein neues Hobby. Ansonsten bin ich in der Zeit aufgrund der Einnahmeausfälle durch die Auftrittsverbote aufs Land gezogen und habe mich da mit meinem Mann in unserem neuen Leben fern der Großstadt eingerichtet – und es gefällt uns sehr gut.

„NoLobby is perfect!“ feierte im Herbst 2017 Premiere – wie hat es sich im Laufe der Zeit verändert? Es gab da ja so manche (Jung-)Politiker, die gerade in nun zu Ende gehenden Jahr guten aktuellen Stoff geliefert haben dürften…

Auch wenn es merkwürdig klingt, wenn eine politische Kabarettistin das sagt, aber mich interessieren Politiker*innen eher gar nicht. In meinen Programmen beschäftige ich mich meist mit den Strukturen, die den politischen Entscheidungen zugrunde liegen. Daher musste ich im Lobby-Programm wenig aktualisieren. Denn auch wenn uns durch die permanente Informationsflut vorgegaukelt wird, es wäre ständig total viel los, ändert sich an den entscheidenden strukturellen Dingen erschreckend wenig. Herrn Amthor z.B. habe ich dennoch erwähnt – auch wenn man über ihn wirklich keine Witze machen muss. Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte ;-)

Anny Hartmann wohnt im Kölner Umland. Kein Wunder, dass sie öfter auf den Bühnen der Region steht – so wie hier beim Moerser Comedy Arts Festival 2020.
Anny Hartmann wohnt im Kölner Umland. Kein Wunder, dass sie öfter auf den Bühnen der Region steht – so wie hier beim Moerser Comedy Arts Festival 2020. © FUNKE Foto Services | Oleksandr Voskresenskyi

Zudem werden Sie ab September ein neues Programm präsentieren. Können Sie schon verraten, wie sich dem Thema nähern werden?

Wie immer natürlich: kompetent, fundiert und trotzdem lustig! Und wie immer werde ich versuchen, Lösungsansätze darzulegen. Das habe ich auch in meinen letzten Programmen so gemacht. Denn nur das Problem zu beschreiben – und sei es noch so unterhaltsam – und dann die Leute zwar mit dem Wissen, aber gleichzeitig einer gewissen Ohnmacht darüber, was sie damit jetzt anfangen sollen, nach Hause zu schicken, ist mir selber zu frustrierend. Also werde ich definitiv über Alternativen zum kapitalistischen, umweltzerstörenden System sprechen.

Wer ist denn die „Klima-Ballerina“? Oder, wenn es noch keine gibt: was macht sie aus?

Sind vielleicht sogar Greta Thunberg oder Luisa Neubauer mit dem Titel gemeint?Natürlich bin ich die Klima-Ballerina! Ich werde also tanzen – hauptsächlich den Mächtigen auf der Nase herum.

„Eine Maskenpflicht am Platz behindert mich stark in meiner Arbeit“

Was tun Sie persönlich gegen den Klimawandel?

Wie wir alle leider viel zu wenig. Dennoch versuche ich, ein paar Dinge zu berücksichtigen: kein Mikroplastik in Kosmetik, so wenig Plastik wie möglich, regionale Bio-Lebensmittel, wenig Auto, viel Zug.

Vor einem durchweg Masken tragenden Publikum möchten Sie nicht spielen, schrieben Sie – warum?

Eine Maskenpflicht am Platz behindert mich stark in meiner Arbeit. Meine Auftritte zeichnen sich unter anderem durch einen sehr engen Kontakt zum Publikum aus - diesen kann ich aber nicht herstellen, wenn die Gesichter hinter Masken versteckt sind. Und das Lachen in der Maske stecken bleibt. Bei mir ist kein Abend gleich - ich reagiere immer auf das Publikum. Klar, der Grundtext steht fest, aber ich sehe immer in der Mimik des Publikums, ob sie mir noch folgen können, ob ich gerade überfordere und dann baue ich spontan eine „leichte“ Passage ein, damit Entspannung entstehen kann, bevor ich weiter „schwere“ Themen bearbeite.

Es kommt also aufs Nonverbale an.

Da geschieht nonverbal immer sehr viel. Und all das kann mit Gesichtern hinter Masken nicht statt finden. An diesem Punkt möchte ich aber meinen Anspruch an die Qualität meiner Auftritte nicht aufgeben. Hilfe, mir fällt grad Christian Lindner ein: es ist besser nicht zu spielen, als falsch zu spielen - so weit ist es schon gekommen ...

Sie haben ein Volkswirtschaftslehrer-Diplom. Wie sehr hilft Ihnen das für Ihre Kunst?

Da mich hauptsächlich mein Gerechtigkeitssinn antreibt, könnte ich wohl auch ohne mein Studium politisches Kabarett machen. Allerdings lernt man im VWL-Studium in Gesamtzusammenhängen zu denken und Dinge genauer zu analysieren – und das ist tatsächlich eine große Hilfe. Und den einen oder anderen wirtschaftlichen Zusammenhang zu verstehen, schadet natürlich auch nicht.

Zum Regierungswechsel in Deutschland: Werden Sie wen aus dem alten Kabinett vermissen? Ist nicht zum Beispiel der Abgang von Andreas Scheuer ein harter Schlag für das Kabarett?

Wie ich schon sagte: Politiker*innen interessieren mich eher mäßig – daher mache ich auch wenig Witze über Personen. So fehlt mir auch niemand, schon gar nicht der Andi Scheuer. Der war doch sowieso eine tragische Gestalt: da war der jahrelang Verkehrsminister und dann funktionierte bei ihm der Rücktritt nicht.

„Für die Politik bin ich moralisch nicht flexibel genug“

Haben oder hatten Sie jemals einen Lieblingspolitiker oder eine Lieblingspolitikerin?

Klares Nö!

Hatten Sie selbst jemals darüber nachgedacht, in die Politik zu gehen?

Noch klareres Nö! Für die Politik bin ich moralisch nicht flexibel genug.

Wenn Sie die Macht hätten, ein Gesetz in Deutschland zu ändern: Welches wäre es und warum?

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Sehr ungewohnt für die heutige Zeit: Man findet Sie nicht in den einschlägigen Sozialen Netzwerken. Warum?

Ich habe das damals aus dem Bauch heraus entschieden, da nicht mitzumachen. Die Begründung bekomme ich seitdem eigentlich in fast jedem Gespräch geliefert. Wann immer ich mich mit Menschen über das Thema unterhalte, gestehen sie mir, dass sie das Gefühl haben, sie verlieren da viel Zeit und werden bei der Jagd nach Likes und Co unglücklich. Der schnellste Weg ins Unglück ist ja, sich permanent mit anderen zu vergleichen.

Sie hatten mit „Zu intelligent für Sex?“ vor über zehn Jahren ein Comedy-Programm im Repertoire. Ist sowas für Sie nochmal denkbar?

Im politischen Kabarett fühle ich mich so sehr zuhause, dass ich mir nicht vorstellen kann, wieder reine Comedy zu machen. Wobei ich diese strenge Abgrenzung (die es so nur in Deutschland gibt) nicht mag – ich finde, man kann alles gut oder schlecht machen. Die Menschen zum Lachen zu bringen ist, egal in welcher Form man das macht, immer eine Fähigkeit, die viel zu wenig geschätzt wird.

>>> INFO: Anny Hartmann live

„Schwamm drüber?“: 12.+13.1. Meerbusch (Forum Wasserturm).

„NoLobby is perfect!“: 26.3. Köln (Comedia), 3.4. Oberhausen (Ebertbad), 20.5. Köln (Theater 509).

„Klima-Ballerina“: 8.9. Düsseldorf (Zakk), 9.9. Bochum (Zauberkasten), 7.10. Köln (Theater 509), 10.11. Wuppertal (Kulturzentrum Immanuel). Karten ca. 27 €.