Mettmann. Die neue Sonderausstellung „Mumien - Geheimnisse des Lebens“ ist noch bis zum 1. Mai im Neanderthal Museum zu sehen. Das sind die Highlights.
Es ist ruhig an diesem Morgen im Neanderthal Museum. Nur das leise Klicken einer Kamera dringt durch den Raum. Rick Springer, wissenschaftlicher Volontär im Museum, steht vor einer Vitrine und blickt für das Foto auf die Mumie eines kleinen Kindes. Es ist eine Ausnahme, sonst ist in der neuen Sonderausstellung „Mumien – Geheimnisse des Lebens“ fotografieren verboten. Denn immerhin handelt es sich nicht um irgendwelche Exponate, sondern um Lebewesen, die ihre letzte Ruhestätte in Vitrinen gefunden haben.
„Menschliche Überreste in Ausstellungen sind ein sensibles Thema. Wir wollen respektvoll mit den Mumien umgehen“, sagt Rick Springer. Zum einen ist das Untergeschoss des Museums in gedimmtes Licht gehüllt, zum anderen werden Besucher hier nicht auf interaktive Stationen stoßen. Alles wirkt sehr reduziert, und von den menschlichen Mumien ist zu Beginn noch nichts zu sehen. Sie warten am Ende der Sonderausstellung darauf, den Besuchern ihre Geschichten erzählen zu können.
Von Tuberkulose durchzogen
„Mumien sind Lebensarchive. Sie wurden aus dem Verfallskreis gerissen und zeigen eine vergangene Zeit“, sagt Springer. Und die war nicht immer rosig, wie das Schicksal der einzelnen Exponate zeigt. Das Alter der Frau mit gekreuzten Unterschenkeln schätzen Wissenschaftler beispielsweise auf gerade mal 20 bis 40 Jahre.
Eine Fahrt durch den Computertomografen hat gezeigt, dass ihr Schlüsselbein einst gebrochen und nur unförmig wieder zusammengewachsen ist. Fachmännische Bruchbetreuung haben Menschen im 14. oder 15. Jahrhundert an der Zentralküste Perus vergeblich gesucht. So blieb auch die Tuberkulose der Frau unbehandelt und zersetzte Lenden und Brustwirbel. „Sie war querschnittsgelähmt, aber wurde vermutlich trotzdem von ihrer Familie noch versorgt“, erklärt der 30-Jährige mit Blick auf die eingefallenen Überreste, durch die plötzlich wieder ein Hauch Leben zu pulsieren scheint.
Die Natur ist ein guter Konservator
Ihre Hände hat die junge Frau vor dem Bauch verschränkt. In ihnen verbergen sich zwei Milchzähne. Warum? Das weiß niemand. Um die Unterarme ist ein braunes Stück Stoff gewickelt. „Sie war mal ganz darin eingewickelt, aber der Stoff wurde entfernt.“ Daran lässt sich erkennen, dass die Frau nicht auf natürlichem Wege zu einer Mumie wurde, sondern nachgeholfen wurde.
Allerdings ist auch die Natur ein ganz wunderbarer Konservator – wie an einer der wohl bekanntesten Mumien der Welt zu sehen ist. Ötzi schlummerte 5300 Jahre im Gletschereis, bevor er von Wanderern gefunden wurde. Die frostigen Temperaturen verhinderten den Zerfall, speicherten aber auch Restfeuchtigkeit in Ötzis Zellen. Damit der Eismann in seiner Ausstellung in Bozen keinen Schaden nimmt oder gar austrocknet – wie es bei anderen Mumien sogar gewollt ist –, liegt er in einem ausgeklügelten Kühlsystem und wird mit Wassernebel besprüht. Ötzi ist jedoch nicht Teil der aktuellen Sonderausstellung. Kein Wunder, widmete ihm das Neanderthal Museum doch bis Oktober die volle Aufmerksamkeit in den Vitrinen.
„Dima“ statt Ötzi aus dem Eis
Dafür wird ein weiterer frostiger Fund ins rechte Licht gerückt. In einem eisigen Grab wurde auch „Dima“ eingeschlossen – vor gut 39 000 Jahren. „Das Mammutkalb ist eines der Highlights unserer Sonderausstellung“, so Rick Springer. Auch wenn im Neandertal „nur“ eine Replik zu sehen ist. Das Original ist gut verwahrt in seiner Heimat Russland. „Dima wurde entdeckt, als der Permafrost anfing abzutauen. Damit schlägt sie den Bogen zu einem sehr aktuellen Thema: dem Klimawandel.“ Gefunden wurde das vier bis sechs Monate alte Mammutkalb 1977 von Goldsuchern in Sibirien. Es war ein Zufall mit glücklichem Ausgang. „Andere Mumien tauen auf, bleiben unentdeckt und sind für immer verloren“, sagt Springer.
Auch auf so manchen Dachböden dürften einige unentdeckte Mumien schlummern. Keine Mammuts, nein, aber Mader, Mäuse & Co. „Keller und Dachböden sind natürliche Grüfte“, versichert der wissenschaftliche Volontär. Stirbt dort ein kleines Tierchen, kann es zu einer Mumie werden. „Bei guten Bedingungen geht das recht schnell – es dauert ein paar Tage oder eine Woche. Muss es auch, sonst wird der Zerfallsprozess nicht rechtzeitig unterbrochen.“ Einige der ausgetrockneten Tierchen finden sich ebenfalls in den High-Tech-Vitrinen.
Ein Maler sammelte Mumien
In denen herrschen gut 20 Grad und eine Luftfeuchtigkeit von 45 Prozent. Es sind ideale Bedingungen für die Mumien. Allerdings waren die nicht immer gegeben. Um 1900 verbrachten sie ihr Dasein in hölzernen Vitrinen im Ausstellungsraum des Malers Gabriel von Max. Woher er unter anderem die Frau mit den gekreuzten Unterschenkeln hatte, ist unklar. Klar ist hingegen, dass das Reiss-Engelhorn-Museum in Mannheim die Exponate übernahm, sie mit modernster Technik untersuchte und nun als Wanderausstellung an andere Museen verleiht.
Eben weil die Ausstellung aus einer Zeit stammt, in der die Aufbewahrungsbedingungen nicht optimal waren, wurde oft nachgeholfen: Mit Dingen wie Arsen oder Pestiziden. „Deshalb riechen Mumien aus dieser Zeit recht streng. Bei der Hyäne beispielsweise haben wir die Glasabdeckung ziemlich schnell draufgemacht. Aber das kann auch am Eigengeruch des Tieres liegen“, erinnert sich Springer mit einem Lächeln an den Aufbau der Ausstellung. Die bleibt noch bis zum 1. Mai im Neanderthal Museum, bevor sie den Eiszeitkatzen Platz macht. Bis dahin können Besucher einen Blick auf die Art von ewigem Leben werfen, die Menschen seit Jahrtausenden fasziniert.
Die Infos zur Ausstellung
Mumien – Geheimnisse des Lebens: bis 1. Mai 2022, Di-So 10-18 Uhr, Neanderthal Museum, Talstr. 300, Mettmann. Dauerausstellung inkl. Sonderausstellung und Audioguide: 11 €/Kinder 6-16 J. 6,50 €; nur Sonderausstellung: 7 €/3,50 €.
Familienführung u.a. 28.+30.12., 11 Uhr. Taschenlampenführung u.a. 29.12., 18.15 Uhr, neanderthal.de