Essen. Pur-Sänger Hartmut Engler ist auf dem Boden geblieben. An der Pandemie hatte er allerdings mental zu knabbern, wie er im Interview verrät.
„Hallo“ dringt es leise durch den Hörer. Die sanfte Stimme von Pur-Frontmann Hartmut Engler ist die eines Mannes, der schon viel erlebt hat – ruhig, besonnen, kraftvoll. Warum diese Kraft in den letzten Monaten ins Wanken geriet, wie er Energie für das große Konzert auf Schalke im kommen Jahr sammelt und wieso er beim Pur-Hitmix nicht auf die Tanzfläche stürmt, darüber sprach der 59-Jährige mit Kirsten Gnoth.
40 Jahre Pur: Gibt es ein Rezept, das die Band zusammenhält?
Zum einen grundsätzlich Talent, aber auch glückliche Umstände. Außerdem sind wir ein Team von Menschen, die die Probleme, die zwischendurch auftreten, sofort besprechen können. Es gibt auch keinen Choleriker im Team, der unnötig stresst. Wir sind von einer Schülerband in ein Unternehmen hineingewachsen, dessen Gesicht ich nach außen natürlich stark vertrete. Man muss das Miteinander, wer wo steht, klarkriegen.
Was sind Ihre schönsten Erinnerungen an 40 Jahre Pur?
Es waren die vielen ersten Male. Zum ersten Mal die frisch gepresste Vinylplatte auf den Plattenspieler legen und staunen, dass alles funktioniert. Sich im Auto selbst im Radio spielen zu hören. Das erste Mal in einer Mehrzweckhalle vor 100 Leuten und nicht in einem Jugendhaus vor 20 Leuten zu spielen. Schlussendlich den ersten Schritt in die großen Hallen zu machen, damals noch ins Düsseldorfer Rheinstadion. Und dann haben wir uns noch auf eine zweite Marke eingelassen: „Pur and Friends“ auf Schalke. Das Konzert feiern wir alle paar Jahre.
Damit sind Sie im kommenden Jahr wieder in Gelsenkirchen. Sie haben mit dieser Show auch das Stadion nach dem Bau musikalisch eingeweiht. Was verbinden Sie ganz persönlich mit Schalke?
Die Menschen, die Region – es fühlt sich sehr heimelig an. Unsere Fans im ganzen Ruhrgebiet sind wahnsinnig treu. Auch wenn wir aus dem Schwabenlande kommen, haben wir da sehr viele Fans. Das Gelsenkirchener Stadion ist unsere Heimatbühne geworden. Natürlich auch beflügelt durch die Tatsache, dass man im Stadion sehr viel machen kann – eine Rundbühne in der Mitte zum Beispiel. Das Dach kann bei schlechtem Wetter geschlossen und bei gutem geöffnet werden. Außerdem kann auch der Rasen rein- und rausgefahren werden. Das bietet für unsere Konzerte beste Voraussetzungen.
Was dürfen wir erwarten, gerade auch im Ausblick auf „and Friends“. Wer sind die Freunde?
Das bleibt das Spannende. Wir haben unsere Fühler ausgestreckt und haben auch schon Zusagen. Aber die ersten Gäste werden erst verraten, wenn die Arena fast ausgefüllt ist (lacht). Bisher haben wir über 45.000 Tickets für Schalke verkauft. Das zeigt uns, wie hungrig die Menschen sind.
Das klingt nach Vorfreude?
Es ist immer ein Ereignis, das für sich steht. Es ist nicht, wie wenn man auf eine Tournee hinarbeitet und die Show an 30 verschiedenen Abenden spielt. Man arbeitet auf einen ganz besonderen Abend hin, an dem dann alles stimmen soll. Wir sind auch eine ganze Woche in der Arena auf Schalke, um alles abzustimmen. Wenn man dann in Richtung Anstoßpunkt in der Mitte geht, wo später die Bühne stehen wird, ergreift einen schon die Angst (lacht). Aber auch Ehrfurcht und Demut. Es ist dann schwer zu glauben, dass ich das später mit der Band rocken soll.
Hinter solch einer Show verbergen sich viele helfende Hände. Sie selbst waren auch einmal Roadie und zwar bei Udo Jürgens. Können Sie sich noch an die Zeit erinnern?
Aber natürlich. Da war ich Anfang 20. Pur steckte damals noch in den Kinderschuhen und war nicht sonderlich erfolgreich. Ich war Student und habe über einen Bekannten die Chance bekommen, mit auf Tour zu gehen und für Udo den LKW zu fahren, die Beleuchtung zu machen und die Bühne mit aufzubauen. Da habe ich feststellen dürfen, wie sehr Udo mit musikalischen Emotionen seine Texte an die Menschen gebracht hat. Ich habe sehr oft ein Tränchen verdrückt, ohne es vorgehabt zu haben. Er hat mir Mut zur Sentimentalität beigebracht.
Ein bisschen sentimental wurde es auch auf Instagram. Da haben Sie sich vor kurzem mit den alten Pur-Kostümen präsentiert. Heißt das, die Jacken im Sgt. Pepper-Stil feiern eine Rückkehr?
Das war ein 90er-Auftritt bei Thomas Gottschalk im ZDF und da habe ich die Jacken aus unserem Fundus mitgebracht. Aber da es diese Mäntel alle noch gibt, haben wir immer die Möglichkeit, sie für fünf Minuten wieder aus dem Schrank zu holen. Es wird immer wieder gern genommen.
Was verbirgt sich dahinter?
Im weitesten Sinne geht es in „Abenteuerland“ um Fantasie. Dazu passend wollten wir Fantasie-Unformen gestaltet. Und da wir große Beatles-Fans sind, lag es nahe, ein bisschen Sgt. Pepper zu spielen.
Um noch mal auf 40 Jahre Pur zurückzukommen: Sie haben ja auch ein Best-Of-Album rausgebracht. Haben Sie selbst denn ein Lieblingslied?
Oh, da kann ich mich nicht festlegen. Wir sind zum Glück eine Band, die kein One-Hit-Wonder werden musste. Wir haben so viele unterschiedliche Songs – vom unvermeidlichen Liebeslied wie „Ich lieb‘ dich, egal wie das klingt“ über „Funkelperlenaugen“ bis hin zu einer Fantasie-Hymne wie „Abenteuerland“, die weit über die Pop-Musik hinausgeht. Es gibt aber auch kritische Pur-Lieder wie „Neue Brücken“. Wir haben so viele unterschiedliche Themen ans große Publikum herangebracht und das zeichnet die Band aus.
Spiegeln die Texte auch ihr eigenes Leben wider?
Ja, unser Leben lieferte immer den Inhalt. Da wir keine abgehobenen Typen sind und ein relativ normales Leben haben, fühlen sich die Menschen auch wohl mit den Pur-Songs und können sich damit identifizieren.
Stimmt es, dass die Texte in ihrem Hirnhäusle entstehen?
Ja, das haben Fans liebevoll so getauft. Da, wo ich gerade stehe, gucke ich in den Garten runter und da steht neben einem kleinen Teich ein Holzpavillon. Den hat ein Schreiner in liebevoller Arbeit über einen ganzen Sommer gefertigt. In dem Pavillon herrscht eine schöne Atmosphäre – darin geht es mir gut. Und in dem entstehen alle Pur-Texte.
Können Sie direkt anfangen zu schreiben, wenn Sie darin sitzen?
Ich dachte, dass mir Schreibblockaden mittlerweile fremd geworden sind oder mir zumindest keine Angst mehr machen. Aber die Corona-Zeit ist eine harte Prüfung für Künstler. Mir ist im Moment einfach nicht danach, neue Texte zu schreiben. Gerade weil ich vermutlich in fünf Jahren auf diese Texte schauen würde und feststellen würde, dass sie sich nur um Corona drehen. Aber ich denke, die Lust aufs Schreiben wird sich wieder steigern, ich lasse es noch bis zum Herbst auslaufen.
Dabei haben Sie auch die Single „Keiner will alleine sein“ über Corona veröffentlicht. Wie haben Sie die Zeit erlebt?
Im Song geht es zum einen darum, wie sehr einem die menschliche Nähe fehlt. Auf der anderen Seite aber auch, wie sehr es uns Künstlern fehlt, auf die Bühne gehen zu können. Wir wussten ja auch nicht, ob das jemals wieder so sein wird. Aber inzwischen bin ich sehr hoffnungsvoll, dass das wieder klappt. Gerade auch durch den Impfeinsatz. Ich bin auch einer von denen, die alle Leute anflehen, zum Impfen zu gehen. Es ist eine soziale Verpflichtung allen anderen gegenüber.
Sie haben auch mal, ganz abseits von Corona, Texte für Peter Maffay geschrieben. War da jemals einer bei, den Sie gerne für Pur behalten hätten?
Nein, die Arbeitsweise ist ganz anders. Bei Peter bekam ich Musik. Die war ja nicht von uns, sondern von ihm oder seinen Musikern. Über lange Gespräche haben sich dann die Inhalte herauskristallisiert. Ich war wirklich eine Art Auftragstexter, der Peters Gedanken in die Songs gepackt hat. Deshalb habe ich nie gedacht: „Mensch, jetzt habe ich mir selbst was weggenommen.“ Ohne Maffay wäre die Songs auch so nicht entstanden. Aber herausragend ist natürlich das Lied „Tiefer“, das werden die meisten Menschen wohl im Ohr haben.
Wenn es um Pur-Songs geht, darf auch der Hit-Mix nicht fehlen. Den gibt es ja in verschiedenen Ausführungen und Längen…
3.0 ist die neuste Version (lacht).
Der Hit-Mix sorgt dafür, dass alle bei einer Party auf die Tanzfläche stürmen. Sind Sie selbst auch Tänzer?
Wenn ich von Journalisten nach Pur-Konzerten „ungelenker Tanzbär“ genannt werde, kann ich das durchaus verstehen. Ich bin kein begnadeter Tänzer, bewege mich aber sehr gern auf der Bühne zur Musik. Wenn ich dann noch ein Mikrofon in der Hand habe, fühle ich mich auch gleich besser. Aber nein, ich bin keiner, der die normal die Tanzfläche stürmt.
Sie mögen zwar kein guter Tänzer sein, aber Sie haben eine Leidenschaft, der nicht mehr oft gefrönt wird – Tagebuch schreiben.
Ich muss gestehen: In Zeiten von Corona habe ich mal zwei oder drei Monate ausgesetzt. Auch der Tatsache geschuldet, dass ich nicht jeden Tag das Gleiche reinschreiben wollte. Das wäre dann doch eher frustrierend.
Haben Sie in der Zeit auch mal über Rente nachgedacht?
Das war das erste Mal Mitte letzten Jahres. Weil ich als Pessimist, wenn auch als hoffnungsfroher Pessimist, nicht mehr so richtig an eine Normalität geglaubt habe. Für uns kamen keine Alternativen wie Autokinokonzerte in Frage. Das hätte meine Erinnerungen an all die Konzerte davor nur beschädigt, weil das kein Ersatz sein kann. Aber wir hatten den langen Atem und freuen uns nun, dass es wieder los geht. Aber aus Müdigkeit oder Zipperlein habe ich noch nie über das Aufhören nachgedacht.
Das klingt nach einem Loch.
Ich war schon mitunter recht depressiv. Ich war in der Zeit nicht der, der ich eigentlich bin. Ich konnte anderen Menschen einfach nichts Positives vermitteln, weil es nicht in mir gesteckt hat. Aber es wächst langsam wieder und ich denke, im nächsten Jahr kann ich wieder auf der Bühne strahlen.
Leider gab es in den vergangenen Wochen traurige Nachrichten. Ihr langjähriger Schlagzeuger Martin Stoeck ist verstorben. Welche Erinnerungen hegen Sie an ihn?
Wir haben nicht in der Nähe gewohnt und kennen uns überwiegend nur aus dem Proberaum, von den Bühnen und Konzerten. Er war ein unglaublich guter Schlagzeuger und ein warmherziger Mensch, der uns stimmungsmäßig auch mitgerissen hat. Wenn man an Stoecki denkt, denkt man auch an seine Leidenschaft für Gummibärchen. Unser Satz für ihn war: „Lieber Stoecki, mit jedem Fell, das du auf der Bühne durchgetrommelt hast, hast du es ein Stück weit besser gemacht.“ Wir hatten die letzten Jahre allerdings gar keinen Kontakt mehr. Die fortschreitende Krankheit hat uns auch überrascht. Er ist in den Norden der Republik gezogen und so ist der Kontakt leider abgebrochen. Es wäre vermutlich aber noch einmal ein gutes Gespräch nötig gewesen. Das fehlt mir jetzt ein bisschen.
Die Infos zum Konzert
Pur and Friends, 24.9.22, Veltins-Arena, Gelsenkirchen. Karten ab ca. 44 €.