Essen. Im Interview verrät Greta-van-Fleet-Gitarrist Jake Kiszka warum der Rock’n’Roll nie stirbt und was es mit Elton Johns Styling-Tipps auf sich hat.

Ihre Liebe zu Classic Rock pumpen Greta van Fleet mit jedem Ton in die Musikwelt hinaus. Als der Hard-Rock-Sound à la Led Zeppelin 70ern einen Boom erlebte, war an die vier Jungs aus Michigan noch nicht zu denken. Mit 25 gehört Gitarrist Jacob „Jake“ Kiszka nämlich zu den Ältesten der Band. Im Interview mit Kirsten Gnoth verrät er, wie chaotisch seine Kindheit war, was am neuen Album „The Battle at Garden’s Gate“ anders ist und wie die Styling-Tipps von Elton John die Band verändert haben.

Herzlichen Glückwunsch – Ihr neues Album ist auf Platz drei der deutschen Albumcharts eingestiegen. Haben Sie mit dem Erfolg gerechnet?

Jake Kiszka: Bis zu einem gewissen Maß schon. Allerdings schlug nach der Fertigstellung des Albums die Pandemie zu. Damit haben wir absolut nicht gerechnet. Umso spannender ist es zu sehen, was das Album alles schon in den ersten Wochen nach der Veröffentlichung erreicht hat.

Dabei wird der Rock’n’Roll seit Jahren für tot erklärt. Meinen Sie er stirbt irgendwann wirklich aus?

Ich glaube dafür müsste schon die Musik als Ganzes aussterben. Dass der Rock’n’Roll in den Charts sonst eine Minderheit ist, ist aber auch was Gutes. Oft ist es so, dass wenn etwas besonders massentauglich ist, es seine Authentizität verliert. Dadurch, dass der Rock’n’Roll eher eine Minderheit ist, behält er seine Ehrlichkeit.

„The Battle at Garden’s Gate” ist Ihr zweites Album. Steckte hinter der Platte ein gewisser Druck, weil die EPs und das erste Album so gut liefen?

Ich denke, dass es den Druck gab. Allerdings haben wir ihn uns selbst gemacht. Wir wollten uns selbst übertreffen. Aber nicht, weil andere das von uns erwartet haben. Das neue Album zeigt, wie weit wir musikalisch und als Songschreiber gekommen sind.

Die Platte klingt anders als die Vorgänger. War es Zeit für etwas Neues?

Ja, aber der Prozess war ganz natürlich. An das neue Album sind wir anders herangegangen: Wir wollten etwas erschaffen, dass orgasmisch und filmisch ist. Aufgewachsen sind wir in einem Haushalt, der uns musikalisch, aber auch literarisch und poetisch gefördert hat – all das hat bei der Entstehung eine Rolle gespielt.

Ihre Karriere war und ist ziemlich steil. Was ist das Geheimnis hinter dem Erfolg?

Ich habe keine Ahnung. Damals, als wir Zuhause in der Garage Musik gemacht haben und noch viel jünger waren, hat keiner von uns geglaubt, dass es mal so in ein paar Jahren sein würde. So etwas kann niemand voraussagen.

War es schwer mit diesem schnellen Erfolg umzugehen?

In einer gewissen Weise, ja. Wir haben in kurzer Zeit so viele neue Länder, Kulturen und Orte kennengelernt – das war überwältigend. Genauso überwältigend ist es plötzlich vor Tausenden von Menschen zu spielen. Aber man wächst auch als Mensch daran. Zusammen mit dem Erfolg, haben wir uns auch musikalisch weiterentwickelt und sind zu denen geworden, die wir heute sind. Diese Entwicklung zeigt das neue Album.

Sie sind gerade mal 25. Mussten Sie durch den großen Erfolg schneller Erwachsen werden?

Ich glaube, dass wird immer erwartet (lacht). Immerhin gibt es genug Beispiele in der Geschichte, die zeigen, wie schnell manche Menschen mit ihrem Erfolg erwachsen geworden sind oder wie sehr sie damit zu kämpfen hatten. Aber wir sind immer noch sehr mit unserem „inneren Kind” verbunden. Es ist auch ein Teil von unseren kreativen Schaffensprozessen.

Mit all dem Lob, kam auch Kritik. Was wollten Sie schon immer mal zu all den Kritikern sagen?

Die Kritik ist in gewisser Weise genauso wichtig wie das Lob. Wir wollen die Menschen mit unserer Musik berühren – egal wie. Wenn du liebst, was wir machen und es dich auf diese Weise berührt, ist das wundervoll. Wenn dich unsere Musik irritiert, ist es auch eine Form von Emotionen und wir haben auf diesem Weg die Hörer erreicht. So oder so – immerhin haben wir dich berührt.

Kommen wir zurück zum neuen Album. Der Titel klingt biblisch. Was steckt dahinter?

Es ist ein interessantes Konzept. Wir selbst sehen alle etwas anderes in der Musik und den Texten. Ich denke, vielen Hören wird es da ähnlich gehen. Das Album erzählt eine Geschichte menschlicher Existenz. Auf der Platte finden sich Songs über Triumph, Krieg und die ganz persönlichen Konflikte, die im Inneren jedes Einzelnen toben – es ist ein Album über die Menschlichkeit.

Ganz so deutlich sind die Songtexte nicht – es steckt viel Kryptisches dahinter?

Das wäre eher eine Frage für Josh. Er versucht die Hörer immer ein bisschen herauszufordern, ihnen nicht alles vorzukauen. Wir wollen die Menschen zum Nachdenken anregen. Sie sollen über den Tellerrand hinausschauen und unkonventionell denken. Oft ist es in der Musik so, dass die Menschen sie einfach nur konsumieren müssen, wir als Band wollen genau das Gegenteil.

Von welcher Musik wurden Sie beeinflusst?

Ganz stark von Blues. Aufgewachsen sind wir unter anderem mit Muddy Waters, B.B. King, Howlin’ Wolf und Robert Johnson. Später bin ich dann auch zum Rock’n’Roll gekommen. Aber natürlich habe ich auch eine Spotify-Playlist mit neueren Sachen wie den Arctic Monkeys, Lenny Kravitz oder auch Chris Stapleton. Wir hören in alles rein.

Etwas, das man in den Charts heute vermisst, sind lange Songs. Auf „The Battle at Garden’s Gate” gibt es hingegen einige davon. Der letzte Song ist satte neun Minuten lang. Und Ihre Gitarre singt darin mehr als Josh. Wie bereiten Sie sich auf solche Soli vor?

Gerade dieser Song ist etwas ganz Besonderes. Er ist über einen langen Zeitraum entstanden. Wir mussten eine Show umplanen, weil Dannys Hände so kaputt vom ganzen Spielen waren. Wir haben mit dem Tourbus irgendwo in Pennsylvania angehalten – mitten im Nirgendwo. Es gab nur ein Hotel und ein Waffelhaus. Viel machen konnten wir also nicht. Wir haben im Tourbus gesessen und angefangen einen Song zu formen. Über die Zeit wurde daraus ein zwanzigminütiges Stück mit dem Arbeitstitel „Black Flag Exposition”. Das kam so gut an, dass wir es schließlich zu einem richtigen Song gemacht haben.

Wie fühlt es sich, wenn Sie eine Gitarre zur Hand nehmen?

Es hängt vom Tag und der Stimmung ab. Aber es hat eine therapeutische Wirkung auf mich. Wenn ich auf der Bühne die Gitarre aufhebe, verändert mich irgendetwas. Es ist so, als würde ich eine Rüstung anziehen und mich für die Schlacht fertig machen.

Sie sind ja nicht allein in der Band, sondern auch Ihre zwei Brüder. Bei Brüder-Bands gab es schon immer Probleme. Fetzen Sie sich manchmal?

Nicht mehr so oft wie früher. Wenn sich jemand streitet, dann sind das wohl Josh und ich. Damals, als wir angefangen haben zu schreiben, sind wir öfter aneinandergeraten. Einfach weil zwei Ideen aufeinandergeprallt sind. Es war keine kreative Session, wenn kein Fenster zu Bruch gegangen ist oder eine Tür geknallt wurde. Doch als wir mit der Band durchgestartet sind und mehr von der Welt gesehen haben, hat sich unsere Beziehung weiterentwickelt. Meine Brüder waren plötzlich nicht mehr die Leute, mit denen ich gezwungen wurde zusammenzuleben. Heute heißt es: Wir vier gegen den Rest der Welt. Wir können uns mit dem jeweils anderen identifizieren, weil wir alle die gleichen Sachen erleben und den gleichen Scheiß durchmachen. Wir können uns auf den anderen verlassen.

Wie können wir uns das Leben in der Familie Kiszka vorstellen?

Das möchtest du nicht wissen. Es war Chaos. Ständig war da diese kreative Energie – mal im positiven und mal im negativen Sinne. Ganz zum Leidwesen unserer Eltern. Wir haben ständig Leute zu Besuch gehabt, Filme gedreht, Musik gemacht. Es war immer was im Busch. Manchmal haben wir bis drei Uhr morgens Musik gemacht. Die Wände haben so gewackelt, dass die Bilder runtergefallen sind. Zwischen all dem haben unsere Eltern versucht zu schlafen.

Dann hatten Sie aber ein dickes Fell.

Ja, Gott schütze sie (lacht).

Kommen wir von einer Anekdote zur nächsten. Stimmt es, dass Elton John Ihnen Styling-Tipps gegeben hat?

Kaum zu glauben, aber ja. Er ist zu einer unserer Shows gekommen und wir haben nachher abgehangen. Plötzlich sagt er (Jake wechselt zu einem britischen Akzent) „Ihr müsst zeigen, was ihr habt”. Danach haben wir unsere Shirts aufgeknöpft. Wir hätten uns nicht getraut, doch dann war es so, als hätte uns Elton John die Erlaubnis dafür gegeben. Hätte er gesagt, dass wir nackt spielen sollen, hätten wir auch das gemacht (lacht).

Vielleicht kommt das noch?!

Vielleicht (lacht).