Essen. Momentan macht Comedian Tan Caglar eine Zwangspause. Im Interview erzählt er von seinem neuen Programm und seinem Leben im Rollstuhl.

Auf der Bühne wird Tan Caglar als der Mann angekündigt, der auch im Brandfall den Aufzug nutzen darf. Denn: Der 39-Jährige Hildesheimer sitzt wegen eines offenen Rückens (Spina bifida) im Rollstuhl. Gebremst hat ihn das nicht, ganz im Gegenteil. Heute ist Tan Caglar Model, Rollstuhlbasketballer und erfolgreicher Comedian. Mit seinem zweiten Solo „Geht nicht? Gibt’s nicht!“ kommt er Ende des Jahre auch in die Region – soweit die Pandemie das zu lässt. Mit Kirsten Gnoth sprach er über die Corona-Zangspause, Depressionen und sein falsches Bild vom Rollstuhl-Basketball.

Ihre neue Tour „Geht nicht? Gibt’s nicht!“ sollte Sie eigentlich gerade quer durch die Republik führen. Doch Corona kam dazwischen. Wie erleben Sie diese Zeit?

Auf der einen Seite ist es schade, weil ich mit dem neuen Programm schon meine Premiere habe spielen dürfen und dann ging es mit dem Corona-Wahnsinn los. Andererseits bin ich einer dieser Entschleunigungsbefürworter. Ich hatte ehrlich gesagt lange keinen Urlaub mehr und spüre jetzt, dass mir dieses Langsame und Ruhige auch mal gut tut. Aber so langsam reicht es mir auch, ich will wieder auf die Bühne!

Was machen Sie mit der neugewonnenen Freizeit?

Ich dachte, ich könnte total kreativ sein, was Texte und das Schreiben angeht. Aber irgendwie bin ich momentan nicht in dieser künstlerischen Kreativ-Phase und mache dann doch eher banale Sachen. Ich habe gerade die sauberste Wohnung, die ich jemals hatte. (lacht).

Sie sind sonst eher ein Hansdampf in allen Gassen. Ihr erstes Programm „Rollt bei mir…!“ kam 2017, dann die passende Autobiografie und nun eine neue Show. Haben Sie vorher nicht mal an Entschleunigung gedacht?

Ich sage immer: ‚Urlaub macht man von Sachen, auf die man keine Lust hat.‘ Aber das, was ich mache, ist für mich keine Arbeit. Es ist zwar einer der intensivsten Jobs, die man sich vorstellen kann, aber es kommt aus einem inneren Antrieb. Man muss immer am Ball bleiben, sich lustige Situationen merken und sie am besten gleich aufschreiben. So richtig Pause darf es also nicht geben. Die Erholung kommt von allein, wenn man nach einem Auftritt auf der Couch sitzt und sich denkt: ‚Das war ein schöner Abend.‘

Der Comedian Tan Caglar war mit seinem ersten Programm
Der Comedian Tan Caglar war mit seinem ersten Programm "Rollt bei mir...!" unter anderem wie hier in Mülheim unterwegs. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Testen Sie eigentlich vorher Ihre Programme?

Es gibt die Möglichkeit von Previewshows. Bei denen kann man neue Sachen vor kleinem Publikum testen. Das habe ich aber bisher irgendwie nie gemacht. Ich war auch mal so naiv und habe ein komplett neues Set einfach so rausgehauen. Ich habe schnell gemerkt, dass das keine so eine gute Idee war. (lacht).

Wie Sie vorhin sagten, konnten Sie einige Shows des neuen Programms bereits spielen. Nun kam der Cut. Müssen Sie sich vor dem Start nach Corona erst warmspielen?

Comedy ist wie eine richtige Sportart. Jetzt gerade mit einem neuen Programm muss ich erst einmal wieder reinkommen. Wenn ich weiß, wann ich endgültig wieder auftreten kann, werde ich mich darauf vorbereiten. Dann setzte ich mich mit dem Rollstuhl ins Wohnzimmer und mache das Licht ganz hell, um eine Bühnensituation zu simulieren. Und spiele das neue Programm mehrmals durch.

Es ist erst ihr zweites Bühnenprogramm. So lange sind Sie also noch nicht als Comedian unterwegs. Wie haben Sie die Branche in den drei Jahren erlebt?

Sehr schnell für mich. Man tritt normalerweise längere Zeit erst mal in Comedy-Mix-Shows auf und entwickelt dann sein erstes Solo-Programm. Bei mir war das Gute, dass ich schon vorher Seminare zum Thema Inklusion und Integration gehalten habe. Als dann die Idee mit der Comedy dazu kam, mussten die Vorträge nur etwas umgeschrieben und die Gaglastigkeit erhöht werden. Dann war das erste Programm schon fertig. Und nachdem das bei mir so schnell ging, hat mal jemand zu mir gesagt: ‚Läuft bei dir.‘ Aber eigentlich müsste es bei mir heißen: ‚Rollt bei mir‘ und schon war der Titel geboren.

Worum dreht sich Ihr zweites Programm?

Ich erzähle weitaus weniger von meinem Leben als Rollstuhlfahrer mit den Fußgängern. Künstlich wegdiskutieren will ich es aber nicht, da es natürlich zu mir gehört. Ich erzähle Dinge aus meinem Leben und die erlebe ich nun mal aus einer anderen Perspektive. Im neuen Programm erzähle ich zum Beispiel viel über meine Eltern. Wie eingedeutscht sie sind. Auch spreche ich darüber, wie es wäre, wenn Mann und Frau die Rollen tauschen würden. Es sind mehr Alltagssituationen, in denen sich viele wiederfinden können – egal, ob sie im Rollstuhl sitzen oder nicht.

Sie haben es schon angesprochen. Ihr ständiger Begleiter ist der Rollstuhl. Allerdings saßen Sie nicht von heute auf morgen darin. Es war ein schleichender Prozess. Wie haben Sie den erlebt?

Es war für mich der bessere Weg, in den Rollstuhl zu kommen. Ich denke, es ist noch mal eine ganz andere Nummer, wenn man einen Autounfall hat, wach wird und im Rollstuhl sitzt. Durch den schleichenden Prozess hatte ich eine gewisse Vorbereitung. Dennoch hat es mich an dem Punkt, an dem ich realisiert habe, dass es keinen Weg zurückgibt und ich nun Vollzeit-Rollstuhlfahrer bin, ziemlich runter gerissen.

Wie alt waren Sie da?

Ich war circa 23.

In dem Alter steckt man noch voller Tatendrang. Gibt es etwas, das Sie gerne vor der Zeit im Rollstuhl noch gemacht hätten?

Das Witzige ist, dass es genau anders herum war. Ich habe vielmehr als vorher gemacht. Mein großer Traum war es immer, Profibasketballer zu werden. Mit 1,75 m und einer sehr starken Geheinschränkung ging das natürlich nicht. Trotzdem habe ich immer so ein bisschen Basketball gespielt – im Bezirksligabereich, weiter habe ich es nicht geschafft. Vier Jahre, nachdem ich in den Rollstuhl gekommen bin, habe ich einen Profivertrag unterschrieben und mein Geld damit verdient. Die eine Tür ging zu und viele andere gingen auf. Ich war nicht an den Rollstuhl gefesselt, sondern der Rollstuhl hat mich entfesselt. Denn: Wenn es den nicht gäbe, wäre ich heute viel eingeschränkter. Dann hätte ich die Sachen, wie das Basketball oder Modeln, nie machen können. Es hat mir meinen Horizont erweitert.

Viele sind im Umgang mit Menschen, die eine Behinderung haben, verunsichert. Haben Sie Tipps?

Erst einmal würde ich gerne einen Tipp an die Rollstuhlfahrer selbst geben. Es hört sich jetzt vielleicht böse an, aber an der Verunsicherung sind viele selbst schuld. Oft erwarten Rollstuhlfahrer von den anderen, dass sie offen und neugierig sind und das alles als normal ansehen. Aber viele Menschen sind noch nie mit jemandem im Rollstuhl konfrontiert worden. Für uns als Rollstuhlfahrer ist es Normalität, aber nicht für die anderen. Und das müssen wir uns bewusst machen. Ich selbst lebe ein sehr kontroverses Leben – zwischen Bewunderung und Behinderung sozusagen. Dabei die Mitte zu finden, ist schwierig. Man darf es nicht falsch verstehen, wenn Leute gucken oder fragen, ob sie etwas tun können. Das hat ja auch etwas mit Interesse und Hilfsbereitschaft zu tun.

In seiner Autobiografie verarbeitet Tan Caglar das Leben im Rollstuhl.
In seiner Autobiografie verarbeitet Tan Caglar das Leben im Rollstuhl. © ullstein | Ullstein Verlag

Sie haben vorhin kurz angerissen, dass Sie in ein Loch gefallen sind. Wie haben Sie die Depressionen überwunden?

Es war eine schwierige Zeit. Ich hatte keine Suizidgedanken, aber ich konnte an einem Punkt nachvollziehen, warum sich Leute umbringen möchten. Der Schlüssel war für mich der Sport. Mein Physiotherapeut hat mir in der Zeit Rollstuhl-Basketball als Hobby vorgeschlagen. Ich hab nur gesagt: ‚Danke für das Angebot, aber ich habe keinen Bock auf fünf Behinderte, die sich einen Ball an den Kopf werfen.‘ Das war eine völlige Fehleinschätzung (und ziemlich arrogant ;-)). Bei den Olympischen Spielen in Peking habe ich Rollstuhl-Basketball auf höchstem Niveau gesehen. Es war eine Mischung aus Autoscooter und Basketball. Da wurde mir bewusst, was für ein geiler Sport es eigentlich ist, und ich habe mich angemeldet. Plötzlich war ich nicht mehr der langsame Typ. Allerdings musste ich das Fahren in dem Sportrollstuhl erst noch lernen. Ein weiteres Hilfsmittel für mich, um aus der Depression zu kommen, war die Annahme der Situation. Und das kann ich nur jedem raten, der eine schwierige Zeit durchmacht. Macht euch bewusst, dass es euch nicht gut geht, und nehmt es an. Wenn man das tut und sich nicht mehr dagegen wehrt, spart man sehr viel Zeit und Nerven.

Beim Rollstuhl-Basketball spielen auch Menschen mit, die laufen können. Wie klappt das Miteinander?

Zwanzig Prozent der Profis in der ersten Bundesliga haben keine Behinderung. Sie stehen nach dem Spiel auf und gehen nach Hause. Ich finde es sehr schön, weil es eine Brücke zur Normalität schlägt. Wenn die Zuschauer sehen, dass einer von ihnen, also ein Fußgänger, bei uns mitspielt, könnten sie auch Lust bekommen, es zu probieren. Es gibt aber Gespräche über ein eventuelles Verbot. Dann heißt es: ‚Och, die nehmen den Behinderten die Sportart weg.‘ Ich persönlich fände das furchtbar. Das wäre genau das Gegenteil von Inklusion. Man inkludiert die Nichtbehinderten in den Behindertensport und das ist genauso wichtig wie andersherum.

Haben Sie neben ihrem Comedy-Programm überhaupt noch Zeit für Rollstuhl-Basketball?

Weniger als mir lieb ist. Ich musste von der 1. in die 2. Liga zurückgehen. Die 2. Bundesliga ist ein Fulltimejob und dafür hat die Zeit nicht mehr gereicht. Mein jetziges Team hat viel Verständnis dafür, dass ich nicht immer zum Training kommen kann. Aber ich versuche es, so oft es geht. Beim Basketball etwas Körperliches zu machen, ist ein schöner Gegensatz zur Comedy, bei der ich eher was mit dem Kopf mache. Das nährt sich gegenseitig.

Das ist eine schöne Brücke zu Ihrem neuen Programm „Geht nicht? Gibt’s nicht!“. Gibt es denn etwas, das Sie noch machen möchten?

Oh ja. Ich wollte unbedingt einen Podcast machen und den habe ich auch gemacht. „Cruisen“ nennt er sich. Ich habe spannende Gäste mit dem Auto abgeholt und bin mit ihnen durch die Gegend gefahren. Dabei haben wir sehr interessante und persönliche Gespräche geführt. Ich hätte auch große Lust darauf, eine Unterhaltungssendung im Fernsehen zu moderieren. Das wäre fast schon revolutionär – ein türkischer Rollstuhlfahrer moderiert im Deutschen Fernsehen eine Unterhaltungssendung. Daran würde ich mich auch noch als Opa im Schaukelstuhl mit Rädern erinnern. Ein ganz großer Traum ist außerdem ein Kinofilm. Vielleicht sogar über meine Geschichte, die ich in „Rollt bei mir …!“ verarbeitet habe. Den Film würde ich gerne als Multiplikator für meine Message nutzen wollen.

Geplante Termine:
6.9. Bochum (Bahnhof Langendreer, verlegt vom 19.3.),
17.10. Duisburg (Explorado),
6.12. Dortmund (Junkyard),
15.4.21 Mülheim
(Ringlokschuppen).

Auf der Website www.tan-caglar.de steht das erste Soloprogramm „Rollt bei mir...!“ als Download zur Verfügung. Preis nach Ermessen.