Mit seinem „Das Boot“-Remake schrieb Alex Christensen 1992 Musikgeschichte. Nun spielt er die Dance-Tracks der 90er wieder live – mit Orchester!
Für ihn schließt sich ein Kreis: Alex Christensens Karriere als Musikproduzent kam 1991 so richtig in Schwung, als er unter dem Projektnamen U96 Klaus Doldingers Filmmusik-Streicher-Hymne „Das Boot“ als Techno-Version aufnahm. Ab Ende April geht Christensen mit dem 30-köpfigen Berlin Orchestra auf Tour, gemeinsam spielt das Ensemble große Eurodance-, Trashpop- und Technohits der 90er in neuen Versionen, die klassische und elektronische Musik kombinieren. Drei solcher Studioalben, „90s Classical Dance“ genannt, gibt es schon – über die baldige Live-Umsetzung sprach der 52-Jährige mit Patrick Friedland.
Wie kommt man auf die verrückte Idee, Aquas „Barbie Girl“ als Streicherballade aufzunehmen?
Alex Christensen: Eigentlich hatte ich schon 1991 vor, „Das Boot“ mit Streichern neu aufzulegen, das hat aus Budget-Gründen aber nicht geklappt. 25 Jahre später kam das Thema bei mir wieder auf den Tisch, dann meinte der Orchesterleiter aber, dass ein Titel doch ein bisschen wenig wäre. So entstand die Idee mit den Alben. „Barbie Girl“ fand ich sehr herausfordernd, weil das so „cheesy“ ist. Ich hätte nie gedacht, dass das ein unglaublich schöner Song werden kann, wenn man einfach nur ein paar Akkorde ändert.
Klassik und Eurodance, Hochkultur und niedere Pop-Kultur: Wie passt das für Sie zusammen?
Mittlerweile müssen wir uns alle eingestehen, dass es ganz viele tolle Songs der 90er gibt, die leider unter einem falschen Image leiden. Ich vergleiche das gern mit Abba. Denen haftete in den 70ern ebenfalls diese Trash-Image an, vielleicht haben sie sich auch deshalb aufgelöst. Und mittlerweile werden die fast genauso gehandelt wie die Beatles. Da sehe ich eine Parallele zu den 90er-Songs wie „Rhythm Is A Dancer“. Die muss man sich einfach nur mal genauer anhören.
Alex Christensen: „Klassische Musiker haben ja auch Internet“
Wie sind die Reaktionen der Kritiker?
Ich lese jetzt nicht jede Rezension, trage aber – so denke ich – dazu bei, dass klassische Musik auch mehr von den Leuten gehört wird, die dazu vorher überhaupt keinen Bezug hatten. Es ist generell was Gutes, wenn sich Musikgenres verbinden. Man wird offener und toleranter, kommt aus seinem Käfig raus und hört dann vielleicht sogar mal eine Klassik-Platte.
Und die Ihrer zahlreichen Gastsänger?
Da lasse ich erst gar keine negativen Vibes aufkommen. Zunächst trete ich vorher mit dem Künstler in Kontakt und finde gemeinsam mit ihm heraus, welche Songs gefallen könnten. Irgendeinen Song einfach vorzulegen, würde keinen Sinn machen.
Wie waren denn die Reaktionen der klassisch ausgebildeten Musiker des Berlin Orchestra?
Da wird man sich wundern: Klassische Musiker sind ja heute viel jünger und haben natürlich auch ein Leben neben der Bühne. Da gehen die abends feiern und werden immer wieder mit den Songs der 90er konfrontiert. So freuten sich viele und sagten: „Ey, wie großartig! Endlich dürfen wir mal was anderes spielen“. Zudem ist es ist für sie eine völlig neue Herausforderung. Der Eindruck, dass die immer nur Klassik spielen wollen, ist also total antiquiert – die haben ja auch Internet!
Welches Stück war für das Orchester besonders schwer zu erlernen?
„Sonic Empire“ von Members of Mayday. Das ist so schnell und so schwierig gespielt, da mussten sie mehrere Ansätze machen, weil es zunächst nicht geklappt hat. Es sind tatsächlich häufig die harten Techno-Nummern mit ihren Sequenzen, die für klassische Musiker so richtig herausfordernd sind.
Haben Sie denn einen 90er-Lieblingssong?
Das wechselt ständig. Im Moment ist es tatsächlich „Barbie Girl“, auch wegen des starken Kontrastes zwischen den zwei Versionen von uns und Aqua. Zeigt aber auch, warum der auf der ganzen Welt so ein Riesenhit war.
Und dank der Sängerin Asja Ahatovic jetzt endlich auch ohne Piepsstimme …
Mit ihr verbindet mich eine kleine Geschichte: Die kenne ich, seitdem sie 15 ist. Da schrieben sie und ihre Eltern mich an, ob man was zusammen machen könnte, sie war mir noch ein wenig zu jung. Jetzt, viele Jahre später, passte es aber. Ich bin großer Fan ihrer Stimme, die ist glasklar und passt perfekt zu Eurodance-Stücken.
Beim Blick auf die Songauswahl der drei Alben fällt auf, dass ausgerechnet „Dear Jessie“ von Rollergirl fehlt. Wie kann das sein? (Alex Christensen ist mit der früheren Eurodance-Interpretin Nicole Safft alias Rollergirl verheiratet, Anm. der Red.)
Der muss noch kommen, aber ist so schwierig umsetzen, dass wir es noch nicht fertig bekommen haben. Wenn er kommt, dann natürlich mit der Originalstimme.
Kommen wir zur Tour: Wie tanzbar ist das Konzert?
Wer die Alben kennt, weiß, was ihn erwartet. Die Konzerte sind zwar alle bestuhlt, aber bei den bisherigen Auftritten war es doch meist so, dass die Leute nach zwei, drei Songs schon aufgestanden sind und tanzten. Das zeigt einfach, was diese Musik für Energien entfacht und wieviel Spaß es macht, die Songs mal in einem „Deluxe-Gewand“ zu erleben.
Inwieweit sind Sie denn Anhänger klassischer Musik?
Ich habe mich immer so ein bisschen damit beschäftigt und bin dann immer tiefer reingerutscht. 2004 machte ich mein erstes Swing-Album, da waren schon Streicher dabei. Dann kamen die Platten mit Michael Bolton und das Weihnachtsalbum mit Helene Fischer und einem Orchester. Die Symbiose ist einfach total spannend.
Sie spielen aber kein klassisches Instrument?
Nein. Dafür habe ich ja meine Musiker. Wäre ja auch vermessen, dass ich jetzt da auch noch die Tuba spiele, dann wäre ich ein Genie (lacht).
„Alles war in den 90ern wunderbar naiv“
Warum eigentlich immer Klassik? Was macht dieses Musikgenre so zeitlos?
Wenn 64 Menschen zusammen Musik machen, entsteht einfach ein schöner Klangkörper. Das weckt wohlige Gefühle und Emotionen – und genau das sollte Musik tun.
Hingegen fehlt Ihr Name bei all den großen 90er-Events, die seit einigen Jahren immer wieder stattfinden. Woran liegt’s?
Gerade mit den Sachen, die ich jetzt mache, sind mir viele dieser 90er-Events einfach zu trashig. Natürlich könnte ich jedes Wochenende bei drei 90er-Partys auftreten, aber ich will Sachen machen, hinter denen ich voll und ganz stehe. Und im Moment möchte ich mich sowieso auf das Orchester-Ding konzentrieren.
Stichwort Sehnsucht nach den 90ern: Was vermisst man heute, als Musiker wie als Mensch, was damals gang und gäbe war?
Wir hatten durch die Wiedervereinigung eine einmalige Aufbruchsstimmung. Es war alles wunderbar naiv. Und: Es gab keine Angst, wenn wir auf die „Love Parade“ gegangen sind, keine Lkw-Sperren oder Ähnliches. Die Leichtigkeit ist verloren gegangen. Deswegen hängen die Leute auch so sehr an der Musik der 90er, weil sie sich damit zurückbeamen und sorglos fühlen können.
Gibt’s denn Newcomer, bei denen Sie den „90er-Spirit“ bemerken?
Es gibt Rapper, bei denen ich dieses spezielle Flair bemerke, aber durch die ganzen Playlisten und Streaming weiß ich gar nicht mehr, wie die heißen. Ich achte da auch nicht mehr bewusst drauf.
Würden Sie sich eine Zeitmaschine wünschen?
Nein. Ich bin keiner, der in der Vergangenheit leben möchte, das Hier und Jetzt ist auch sehr spannend.
„Du hast den schönsten Arsch der Welt war seiner Zeit voraus.“
Apropos Zeitmaschine: 2008 hatten Sie eine Phase mit dem Album „Euphorie“ und Songs wie „Du hast den schönsten Arsch der Welt“, „Doktorspiele“ oder „Du bist so Porno“. Blicken Sie darauf heute mit einem Schmunzeln oder gar Reue zurück?
Nein, das würde ich immer wieder machen. Die Genialität dahinter hat damals niemand durchschaut. Wenn eine Frau „Du hast den schönsten Arsch der Welt“ singt – emanzipierter geht es doch nicht! Dieses Album war seiner Zeit meilenweit voraus. Danach kam ja irre viel Tanzmusik mit deutschen, von Frauen gesungenen Texten. Dass ich da so früh bei war, finde ich gut.
Mit „Du bist so Porno“ ging es ja sogar in den ZDF-Fernsehgarten …
Da war da endlich mal was los, richtig Rock’n’Roll (lacht).
Nach 30 Jahren im Geschäft mit Eurodance, Swing und Klassik: Welchen Produzententraum möchten Sie sich noch erfüllen?
Naja, ich arbeite momentan sehr viel mit Newcomern und will da auch erstmal weiter bleiben. Die sind noch unbekümmert, neugierig und haben Ideen, sind frei von irgendwelchen Brandings. Etablierte Künstler haben meist ein Raster, an das sie sich halten müssen.
Hardrock, Metal und Hip-Hop sind also keine Option?
Weiß ich nicht. Musik ist ein Spielplatz. Der eine geht nur in den Sandkasten, ich dagegen gern auch mal aufs Klettergerüst. Man sollte nicht keine Freiheiten nehmen lassen. Wichtig ist, dass man emotional berührt wird.
Würden Sie bei der heutigen Lage der Musikindustrie noch jemandem empfehlen, eine Karriere in Angriff zu nehmen?
Ich würde immer empfehlen, dass wenn man Talent und Beharrlichkeit hat und die Sache liebt, das auch tun soll. Erfolg ist wie Wasser: Wenn man gut ist, fließt es immer dahin, wo es hin muss. Man nur eine gesunde Selbsteinschätzung haben – und am besten einen Freundeskreis, der auch mal kritisiert.
Die „90s Classical Dance“-Tour: 29.4. Münster (Halle Münsterland), 2.5. Dortmund (Westfalenhalle 2). Karten ab 39 € unter anderem hier.