Essen. „Bescheidenheit“ heißt das neue Programm von Kabarettist Till Reiners. Im Interview erklärt er: Die ist oft nur subtile Angeberei.
Till Reiners (34) machte sich nach seinem Politikstudium einen Namen als Poetry-Slammer. Nachdem er es bis ins Finale der Deutschen Meisterschaften geschafft hatte, präsentierte der gebürtige Duisburger sein erstes abendfüllendes Kabarettprogramm „Da bleibt uns nur die Wut“. Bevor er nun mit seinem neuen Solo „Bescheidenheit“ in die Region kommt, bat ihn Stefan Moutty zum Interview.
Sie sind in Duisburg geboren, haben in Trier studiert und leben jetzt in Berlin. Was haben Trier und Berlin, was Duisburg und das Ruhrgebiet nicht haben?
Till Reiners: Eine NC-freie Uni, in der man zum Sommersemester Politikwissenschaften studieren kann. Und Berlin ist eben Berlin, da gibt es alles. Nur die Herzlichkeit der Menschen im Ruhrgebiet vermisse ich und die Offenheit des Rheinlands, diese „Ach toll, eine Person, die ich noch nicht kenne! Ich muss mich dringend fünf Stunden mit ihm unterhalten“-Haltung. Ist ein Klischee, aber es stimmt, weil die Leute stolz sind auf dieses Klischee und es von Generation zu Generation tragen.
Ihr neues Programm heißt „Bescheidenheit“. Sind die Deutschen denn bescheiden?
Keine Ahnung. Was mir aufgefallen ist: Man gibt nicht gerne an mit seinem Geld, auch nicht mit beruflichem Erfolg. Aber bei den Kindern rasten alle Eltern aus. Über die Kinder vor Bekannten angeben, das habe ich häufiger mal mitbekommen.
Sie sagen, Bescheidenheit ist die neue Großkotzigkeit. Haben Sie das in Ihrem Alltag so beobachtet?
Ich habe mal einen Künstlerkollegen, einen Fotografen, bei einer Vernissage seiner Bilder getroffen. Ein Gast kam zu ihm und meinte: „Ich schätze ihre Kunst.“ Er meinte „Danke, ich sehe mich gar nicht als Künstler“. Da hab ich zu ihm gesagt: „Ich dich auch nicht.“ Das war offensichtlich nicht die richtige Reaktion. Er wollte, dass man sagt: „Natürlich bist Du ein Künstler.“ Das heißt, er fordert von mir ein, dass ich ein Kompliment mache. Bescheidenheit ist ein komischer Tanz umeinander, der aus purer sozialer Konvention besteht. Ich habe einen tollen Satz gehört, der alles perfekt zusammenfasst: „Mach dich nicht so klein, so groß bist du nicht.“ Fantastisch!
In welchen Bereichen sollten wir uns denn alle am dringendsten bescheiden? Online-Kommentare. Wie viele Leute mir da ungefragt die Welt erklären, ist der Wahnsinn. Und jedes Mal denke ich: Wenn du so klug wärst, wie du dich fühlst, würdest du nicht YouTube-Videos kommentieren.
Sie sind bekannt für Ihren schwarzen Humor. Gibt‘s im neuen Programm auch wieder böse Pointen?
Für mich ist die Frage, ob in meinem Programm auch böse Witze sind, so, als würde man einen Fußballspieler fragen, ob er auch in der nächsten Saison plant, den Ball mit dem Fuß zu berühren. Für mich fängt Humor oft erst dann an, wenn es einen Abgrund gibt.
Mögen Sie eigentlich das klassische politische Kabarett alter Schule?
Ja. Hüsch, Pispers, Schramm, die habe ich früher natürlich gehört. Aber ich will es nicht machen. Nimmt mir auch keiner ab. Ich glaube, Humor und Stil sind sehr stark verwoben mit der Zeit, in der sie entstehen. Gucken Sie sich mal ne Harald-Schmidt-Show von vor 15 Jahren an. „Wow“, denkt man da, „ein paar Witze kannst du heute nicht mehr machen, das fände keiner mehr lustig.“
Ihre Karriere haben Sie als Poetry-Slammer begonnen. Gehen Sie heute noch zu Veranstaltungen?
Wenn ich nicht mehr selbst dort auftrete, nicht mehr. Nach zehn Jahren Slam kennt man einfach alles und es fühlt sich an, wie im Urlaub zur Arbeit zu gehen.