Dortmund. Die Arte-Dokumentation „Bruce Springsteen, der amerikanische Freund“ porträtiert eine der größten Ikonen der US-Rockmusik.
Eigentlich war dieser Film von vornherein zum Scheitern verurteilt. Lächerliche 52 Minuten Dokumentation über das Leben und die Karriere von Bruce Springsteen – jenen Sänger, Gitarristen und Songschreiber, der das Erbe von Woody Guthrie und Bob Dylan als US-Nationalpoet angetreten hat. In dessen Songs der Amerikanische Traum mit all seinen Schattenseiten so greifbar wird wie kaum je anderswo. Der mit Präsidenten per Du ist und doch stets das Sprachrohr der Einwanderer, Arbeiter und Unterprivilegierten blieb. Dessen 21 Alben sich weltweit rund 170 Millionen Mal verkauft und ihm Dutzende Grammy-Preise eingebracht haben. Und dessen Telecaster schon die Stadien des Erdballs erzittern ließ, als die Welt noch nicht einmal etwas ahnen konnte von einer Taylor Swift. Wie will man einer solch überlebensgroßen Legende in nicht einmal einer Stunde gerecht werden?
Insofern muss man den französischen Regisseur Thomas Boujut beglückwünschen: Seine Dokumentation „Bruce Springsteen, der amerikanische Freund“ (am 31. Juli um 22.10 Uhr auf Arte sowie schon jetzt in der Arte-Mediathek) fasst die Karriere des charismatischen Ausnahmetalents nicht nur pointiert zusammen, sondern setzt trotz der kompakten Laufzeit noch ein paar gelungene Akzente.
Bruce Springsteen: Die Stimme Amerikas
Der französische Originaluntertitel „Le chanteur qui murmurait à l‘oreille de l‘Amérique“, zu Deutsch „Der Sänger, der Amerika ins Ohr flüsterte“, trifft dabei etwas besser, was Boujut von Springsteen zeigen will: Der Sohn eines irischen Vaters und einer italienischen Mutter hat die Utopie vom „Land of the free“ im Blut; in seinen Songs schimmert stets ein Ideal von Amerika durch die teils grimme Realität – indem er dem Land den Spiegel vorhält, gibt er dessen Seele Ausdruck, schärft seine Konturen, lässt die Menschen ihrer selbst gewahr werden. „Meine Musik ist durch und durch amerikanisch. Ich habe jede Menge Kritik an unserem Land, aber ich war auch immer seine Stimme“, sagt er an einer Stelle.
Der Film steigt ein mit Springsteens Durchbruch 1975 mit seiner dritten Platte „Born To Run“ – ein Manifest des Aus- und Aufbruchs, wie es nur ein 25-jähriger amerikanischer Träumer schreiben kann, der es seit Jahren Nacht für Nacht schweißnass auf den Kneipen- und Clubbühnen allen zeigen will. Dann geht es nochmal zurück zum Anfang, Springsteens Geburt am 23. September 1949, sein religiös-konservatives Aufwachsen in Freehold, New Jersey, dann Elvis’ skandalöser Auftritt 1956 in der Ed Sullivan Show als Erweckungserlebnis und schließlich der erste Griff zur Gitarre, auf den noch so viel folgen wird.
Lückenhaft, aber dennoch gelungen: Springsteen bleibt stets im Zentrum der Aufmerksamkeit
Im Schweinsgalopp geht die Doku durch diese große Karriere, die frühen Bands The Castiles und Steel Mill, die E Street Band, der erste Plattenvertrag, Manager Jon Landau (und sein legendäres Zitat „Ich habe die Zukunft des Rock’n’Roll gesehen und sie heißt Bruce Springsteen!“): alles hochverdichtet auf manchmal nur wenige Filmsekunden, zwangsläufig hochgradig lückenhaft – und doch stimmig erzählt, auch wegen der gelungenen Montage, die stets das passende Archivmaterial präsentiert. Hilfreich ist dabei auch, dass der Film nicht der Versuchung erliegt, viele zusätzliche Stimmen hereinzuholen: Nur kurz sprechen in alten Interview-Schnipseln auch die beiden wichtigsten E-Street-Sidekicks, Gitarrist Steven van Zandt und der 2011 verstorbene Saxofonist Clarence Clemons. Ansonsten aber steht Bruce Springsteen allumfassend im Zentrum der Erzählung, was sich als notwendiger Anker erweist.
Spätestens ab Springsteens Superstar-Werdung mit „Born In The U.S.A.“ (1984) setzt Regisseur Thomas Boujut erfolgreich zwei Schwerpunkte: Erstens erklärt er Springsteens politisches Engagement, vom Einsatz für US-Veteranen über Charity-Auftritte bis hin zu Wahlkampf-Aktionen für seinen baldigen Duz-Freund Barack Obama. Zweitens macht er deutlich, welchen großen Einfluss das „New Hollywood“-Kino und literarische Vorlagen wie John Steinbecks „Früchte des Zorns“ auf Springsteens Schaffen hatten. Beides steht dabei nie einfach für sich, sondern immer in Zusammenhang mit Springsteens Rolle als Chronist und gutes Gewissen Amerikas. Und Anekdoten wie jene, dass Springsteens Live-Gebaren möglicherweise den beim Konzert anwesenden Robert DeNiro zu einer seiner berühmtesten Filmszenen inspiriert hat, sind genau die Würze, die eine Doku über eine so vollständig ausgeleuchtete Person braucht.
Kritisieren kann man allenfalls, dass Springsteen am Ende vor lauter Ehrerbietung fast als gleißende Lichtgestalt erscheint. Was der „Boss“, wie Fans und Freunde ihn seit Jahrzehnten nennen, eigentlich ist, wird dennoch deutlich: der bodenständigste, prinzipientreuste Superstar des Rock – und eine Ikone der amerikanischen Kultur.
Fünf von fünf Sternen.