Essen. Sollten die klassische Notenvergabe und das Sitzenbleiben zugunsten neuer Methoden abgeschafft werden? Darüber diskutierten im ARD-Talk bei Günther Jauch der Philosoph Richard David Precht sowie Ursula Sarrazin, Armin Laschet und Melda Akbas. Viel Neues förderten sie nicht zutage.
ARD-Moderator Günther Jauch ist es auch in der neuesten Ausgabe seines Sonntagabendtalks nicht gelungen, eine aussagekräftige Sendung zu machen. Dabei hatte das Thema durchaus das Zeug dazu: "Notendruck, Sitzenbleiben - Weg mit der alten Schule?" lautete die zentrale Frage der Polit-Talkshow. Hierzu waren durchaus hochkarätige Gäste eingeladen worden. Philosoph und Publizist Richard David Precht, der eine Bildungsrevolution in Deutschland fordert, nahm ebenso teil wie die ehemalige Grundschullehrerin Ursula Sarrazin und der Vorsitzende der NRW-CDU, Armin Laschet. Außerdem war die Berliner Studentin und Buchautorin Melda Akbas zu Gast, im Publikum saßen zudem der Schüler Gordian Loomans und Schulleiter Jens Großpietsch.
Viel zu lange hielt sich die Diskussion jedoch am ersten Thema, dem Sitzenbleiben, auf, ohne dass irgendwelche neuen Erkenntnisse ans Tageslicht kamen. 155.000 Schüler müssen jedes Jahr eine Klasse wiederholen, im europäischen Vergleich ist das viel. Fast jeder vierte Deutsche ist schon einmal sitzengeblieben. Statt sich jedoch mit den Ursachen dieses Problems auseinanderzusetzen, diskutierten die Gäste, ob die Ehrenrunde abgeschafft werden sollte oder nicht. Bis auf Richard David Precht befürworteten alle das Beibehalten der Ehrenrunde.
Sitzenbleiben kann zweite Chance sein
Ursula Sarrazin, ehemalige Grundschullehrerin und Ehefrau von Thilo Sarrazin, sah das Sitzenbleiben als Chance, zu reifen. "Da hauptsächlich Schüler der Mittelstufe hängen bleiben, tut ihnen ein Jahr mehr oft gut", so ihre Meinung. CDU-Politiker Armin Laschet vertrat ähnliche Ansichten, als einziger in der Talkrunde drehte er als Schüler eine Ehrenrunde. "Ich habe die zehnte Klasse wiederholt und das hat mir sehr gut getan. Ich hatte nur Unsinn und Fußball im Kopf", erzählte der gebürtige Aachener, was denn auch seine einzige interessante Bemerkung am Abend blieb. Sitzenbleiben sei zwar nicht schön, aber auch nicht die Katastrophe, zu der es viele machen wollten.
Der 14-jährige Schüler Gordian Loomans bestätigte das. "Ich habe eine Klasse wiederholt, einfach, weil ich so faul war. Jetzt habe ich aber viel bessere Noten." Das Sitzenbleiben sei für alle eine zweite Chance. Die Jura-Studentin Melda Akbas, die sich während ihrer Schulzeit im Bezirksschülerausschuss engagierte und 2010 ihr Abitur machte, stört vor allem, dass so viele Kinder aus bildungsfernen Familien sitzenbleiben. "Diese Schüler werden stark vernachlässigt, vor allem auch diejenigen mit Migrationshintergrund." Doppelt so viele Kinder mit Migrationshintergrund wie jene ohne drehten eine Ehrenrunde. Das demotiviere die Kinder.
Precht fordert bei Jauch individualisiertes Lernen an Schulen
Precht hingegen fordert, das Sitzenbleiben generell abzuschaffen und das deutsche Bildungssystem zu revolutionieren. Ein schöner Gedanke – aber ist das auch umsetzbar? "Deutsche Schulen sind sozial in Europa am ungerechtesten", meinte der Philosoph und Buchautor. Die Chancen, etwas zu erreichen, seien für Kinder aus sozial schwachen Elternhäusern wesentlich geringer. Um das zu ändern, sollten die Schüler nach dem sechsten Schuljahr aufgeteilt werden.
"Der Unterricht muss einerseits individualisiert und andererseits projektbezogen stattfinden", so sein Vorschlag, den er auch in seinem neuen Buch "Anna, die Schule und der liebe Gott" unterbreitet. Mathe soll dann beispielsweise nicht mehr in Klassen unterrichtet werden, da der Wissensstand bei den Schülern zu unterschiedlich sei. Zudem sollten Fächer wie Physik einen Bezug zur Wirklichkeit erhalten und etwa auf den Klimawandel bezogen werden. "So wissen die Schüler, wozu sie das alles mal brauchen."
Precht will auch das Notensystem komplett abschaffen
Auch das Notensystem hält Precht für überholt. Vielmehr sollten Lehrer ihre Schüler schriftlich beurteilen und die Persönlichkeit bewerten. "Das öffnet der Subjektivität Tür und Tor", entgegnete Ursula Sarrazin. Die Persönlichkeit eines Menschen zu beurteilen, halte sie gar für undemokratisch und äußerst unpassend. Und Armin Laschet wies darauf hin, dass viele Kinder Noten haben wollten, um sich mit anderen zu messen und sich selbst verbessern zu können. Precht meinte dazu: "Schulnoten haben keinerlei Aussagekraft. Die Schüler müssen am Ende ihrer Laufbahn ein Beurteilungszeugnis erhalten, das sie motiviert, ein Leben lang weiterzulernen."
Viele von Prechts Ansätzen sind sicherlich richtig, problematisch ist jedoch, dass die Sendung nur ihn als Reformer eingeladen hat. Die anderen Gäste sind sich zwar einig, dass das bestehende System geändert werden muss. Aber wie das geschehen soll, dazu machten sie am Sonntagabend keine Angaben. Und Günther Jauch, als Moderator eines Polittalks immer noch nicht überzeugend, tat wie immer wenig, um das Gespräch in produktivere Bahnen zu lenken.