Berlin. Heute muss niemand mehr den TV-Zuschauern erklären, was eine Talkshow ist. Vor 40 Jahren, als der WDR die erste Sendung dieser Art ausstrahlte, war das noch anders: Dietmar Schönherr erklärte damals seinem Publikum, das Format, das heute nicht mehr aus dem Programm weg zu denken ist.

"Wir machen heute eine sogenannte Talkshow", sagte TV-Moderator Dietmar Schönherr im Dritten Programm des WDR in die Kamera zu den Fernsehzuschauern. "Was sie ist, das wissen Sie nicht - und wir auch nicht so genau. Denken Sie nicht, dass eine Talkshow das Gegenteil einer Nachtshow ist; "talk" kommt von "to talk" - reden - das Ganze ist also eine Rederei."

Mit diesen Worten startete der damals 46 Jahre alte Schauspieler Schönherr ("Raumpatrouille") vor 40 Jahren - am 18. März 1973 - in die erste Ausgabe der Sendung "Je später der Abend...", die als Urtyp der Talkshow im deutschen Fernsehen gilt.

Günther Jauchs Talk beeinflusst die Politik

Vier Jahrzehnte später scheint es keinen Tag mehr ohne Talkshow zu geben. Allein im Ersten kommt fast jeden Abend eine, was selbst einigen ARD-Verantwortlichen zu viel ist. Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks, sagte jedenfalls kürzlich der "FAZ", er sei für eine Reduzierung der vorhandenen fünf Talkshows.

Immer wieder im Kreuzfeuer steht der ARD-Polittalk am Sonntagabend, den seit 2011 Günther Jauch moderiert. Kritiker nennen ihn gern Ersatzparlament oder Neben-Parlament. Über Jauchs Vorvorgängerin Sabine Christiansen - zwischendurch moderierte noch Anne Will - sagte der CDU-Politiker Friedrich Merz einmal: "Diese Sendung bestimmt die politische Agenda in Deutschland mittlerweile mehr als der Bundestag."

Bestimmte Talk-Momente brennen sich in kollektive Gedächtnis

Auch wenn es neben Palaver viele interessante Gespräche gab: Ins kollektive Gedächtnis der TV-Nation sind bei all dem Interview-Überfluss der vergangenen 40 Jahre eher wenige Talk-Momente eingegangen.

Dazu gehört wohl, wie 1982 Apo-Vertreter Fritz Teufel in der Sendung "3 nach 9" mit einer Wasserpistole blaue Zaubertinte auf den damaligen Finanzminister Hans Matthöfer (SPD) spritzte, der sich wiederum mit Rotwein revanchierte, der weniger gut rauszuwaschen ist.

Oder wie sich der 1991 gestorbene, inzwischen wegen Vorwürfen des Kindesmissbrauchs umstrittene Schauspieler Klaus Kinski 1985 in der "NDR Talkshow" verbal über Alida Gundlachs Allerwertesten ausließ.

Oder - unvergessen und immer wieder gezeigt - wie sich 1974 bei "Je später der Abend..." der scheue Weltstar Romy Schneider vor laufender Kamera für den Bankräuber Burkhard Driest erwärmte: "Sie gefallen mir. Sie gefallen mir sehr."

Promis gehen in Talkshows, um sich selbst zu promoten

In der Krawall-Talkshow "Explosiv - Der heiße Stuhl" outete 1991 Rosa von Praunheim die Fernsehlieblinge Alfred Biolek und Hape Kerkeling. Heute werden vergleichsweise kleine Skandale produziert, etwa bei Markus Lanz. Immer wieder können Zuschauer das Gefühl haben, dass es in Talkshows nur noch selten um inhaltliche Auseinandersetzungen geht, sondern Promis einfach nur ihr neues Produkt - Buch, Film, CD - präsentieren wollen.

Im Laufe der 90er Jahre schienen mit den nachmittäglichen Quasselrunden bei Hans Meiser, Ilona Christen, Bärbel Schäfer oder Arabella Kiesbauer alle Dämme zu brechen. Diese Welle ist längst vorbei, einzig Britt Hagedorn ist noch bei Sat.1 auf Sendung. Inzwischen nehmen Kulturkritiker eher Scripted-Reality-Formate aufs Korn.

Immer wieder haben es auch selbstironische und selbstreflexive Gesprächssendungen ins Programm geschafft. RTL, damals noch RTL plus, setzte in seinen Anfangsjahren auf die Show "Dall-As", in der Talkmaster Karl Dall seine Gäste auf die Schippe nahm.

Das Format wird immer wieder neu erfunden

Zuletzt begeisterte Feuilletonisten und eingeschworene Fans der ZDFkultur-Talk "Roche & Böhmermann". Die wieder eingestellte Gesprächssendung mit altmodischer Ästhetik, anarchischer Ironie und den Moderatoren Charlotte Roche ("Feuchtgebiete", "Schoßgebete") und Jan Böhmermann beschrieb sich selbst als "unkonventionelle Talkshow für alle, die keine Talkshows mögen".

Übrigens: Dietmar Schönherr ist nicht lange Talkmaster geblieben, auch wenn er Silvester 1973 zunächst vom Dritten ins Erste wechseln durfte. 1975 übergab er die "Je später der Abend..."-Gesprächsleitung an Hansjürgen Rosenbauer: "Ich war denen zu lieb, zu nett und zu kontemplativ." (dpa)