Essen.. „Dalli, Dalli“, „Pyramide“ und bald noch „Der große Preis“: Im Fernsehen schwappt die Retro-Welle. Vorwärts, Zuschauer, wir müssen zurück. Aber warum ist das so? Die Comebacks spiegeln die Sehnsucht der zahlenmäßig immer stärkeren älteren Generation nach den Klassikern ihrer Jugend.
Zunächst die Fakten. Kai Pflaume reaktivierte für das NDR-Fernsehen Hans Rosenthals Rate-Klassiker „Dalli, Dalli“. Von 1971 bis 1986 gehörte die Show, damals im ZDF, so selbstverständlich zur TV-Abendunterhaltung wie Pommes zur Currywurst. Sie lebte Zeitdruck, Mutterwitz und dem Charme des Gentleman-Moderators, Luftsprung inklusive. Das Konzept war so überzeugend, dass sich Mitte der 90er-Jahre der ehemalige Moderator Andreas Türck an eine Neuauflage des Formates traute, ebenfalls im Zweiten. Nach zwei Jahren stellten die Mainzelmänner die Show allerdings wieder ein.
Das hinderte den NDR jedoch im vorigen Sommer nicht daran, die unverwüstliche Idee ein drittes Mal ins Fernsehen zu bringen. Da es eine Schnittmenge zwischen Hans Rosenthal und seinem TV-Enkel Kai Pflaume gibt, kam die „Dalli, Dalli“ (reloaded) so gut an, dass sich der NDR noch während der ersten Staffel zur Fortsetzung der Show entschloss. Inzwischen ist der Sender bei der dritten Staffel angekommen.
Dieter Thomas Hecks "Pyramide" kehrt nach 18-jähriger Pause zurück
Während die Dritten ein eher älteres, traditonalistisches Publikum bedienen, will ZDFneo erklärtermaßen die Fernsehjugend bei Laune halten – und das erstaunlicherweise mit einem Remake. Dieter Thomas Hecks „Pyramide“ kehrt nach 18-jähriger Pause ins Fernsehen zurück. Vom 6. August an gibt’s 20 neue Folgen. Das Konzept orientiert stark am Original, das von 1979 bis 1994 im Zweiten flimmerte. Für jugendliche Frische steht allein der Moderator. Micky Beisenherz schrieb schräge Texte für das trashige „Dschungelcamp“ von RTL, bewies Satire-Qualitäten bei der preisgekrönten „heute-show“ des ZDF, und jetzt darf der gebürtige Recklinghäuser vor die Kamera. Beisenherz’ Sparringpartner: RTL-Obertanzlehrer Joachim Llambi mimt den Schiri.
Das dritte Comeback dieses Jahres startet Jörg Pilawa. Im Herbst, wenn die mildtätige Jahreszeit der Spenden-Galas beginnt, moderiert der 46-Jährige den „Großen Preis“. Zur Erinnerung: Die Show gehört, wie „Dalli, Dalli“ und die „Pyramide“, zu den Langzeit-Erfolgen des Fernsehens. „Der große Preis“ lief von 1974 bis 1992. Moderator Wim Thoelke schrieb mit ihr Fernsehgeschichte. Die Schlaumeier-Show wirkte mit Multivisionswand und Kandidaten-Kugeln futuristisch, unsterblich wurde das Original durch Loriots Zeichentrick-Hund Wum und seinen Elefanten-Kumpel Wendelin. Pilawas Sprecher Enno Wiese bestätigte die Neuauflage. Details stehen noch nicht fest. Pilawa macht in Kürze erst mal eine kreative Pause.
Fernsehsender suchen in Zeiten schrumpfender Zuschauerzahlen nach Sicherheit
Die Retro-Welle wirkt wie eine Pause der Kreativen. Tatsächlich spiegelt die Comebacks die Sehnsucht der zahlenmäßig immer stärkeren älteren Generation nach den Klassikern ihrer Jugend. Dieser Strom ist im Lauf der letzten Jahre so mächtig geworden, dass sich der Trend gedreht hat: Zwischen den 60er- und 90er-Jahren geben junge Themen den Takt vor, heute ist es umgekehrt. Dazu kommt, dass die Fernsehsender in Zeiten schrumpfender Zuschauerzahlen und kleiner werdenden Etats Sicherheit suchen, Erfolgsgarantie. Das deutsche Fernsehen, so scheint es, ist wieder bei Adenauer angekommen. Das Motto lautet: keine Experimente.