Essen. Claudia Michelsen als hemdsärmelige Prolo-Polizistin und Sylvester Groth als eleganter Feingeist waren am Sonntagabend in der ARD im Einsatz. In “Der verlorene Sohn“ ermittelt das neue Duo von “Polizeiruf 110“ in Magdeburg im rechten Milieu.
In Magdeburg werden sie kaum darüber jubeln, dass im ersten "Polizeiruf 110" aus ihrer Stadt junge Neonazis gleich mal einen Schwarzen über die Dächer hetzen und Bürgerliche ihr Milieu "säubern", indem sie ausländische Geschäftsleute in die Pleite treiben.
Da ist er wieder, der rechtsradikale Osten, dürfte es heißen. Wir rümpfen leicht angeekelt die Nase, und möglicherweise ist das wirklich nicht so ein glücklicher Einstieg für eine neue Reihe. Was am Ende aber schwerer wiegt als der Trip durch den rechten Sumpf: "Der verlorene Sohn" (ARD, 20.15 Uhr) ist jenseits aller Glatzenklischees ein ganz gut gebauter Krimi, und am Ermittlerduo dürften wir noch viel Freude haben.
Dabei haben Christoph und Friedemann Fromm die beiden Polizisten so stark auf Kontrastprogramm gebürstet, dass man erstmal skeptisch hinsieht. Selbst wenn sie mit Claudia Michelsen ("Der Turm") und Sylvester Groth ("Unsere Mütter, unsere Väter") zwei Schauspieler gefunden haben, die’s wirklich können.
Michelsen als hemdsärmelige Prolo-Polizistin mit Lederjacke und Motorrad
„Man darf nicht zu nett zu mir sein“, warnt Doreen Brasch, und das trifft’s gut. Michelsen gibt sie als hemdsärmelige Prolopolizistin mit Lederjacke und Motorrad, die man nur beim Nachnamen nennt und die auch mal mit geballter Faust zuschlägt, wenn die Kerle es nicht anders wollen. "Du bist doch nur Bulle geworden, weil du viel zu viel Schiss hattest, Verbrecherin zu werden", muss sie sich anhören. Stimmt wahrscheinlich. Daraus nicht nur einen weiblichen Schimanski-Abklatsch zu machen, gelingt Claudia Michelsen gut. Die Gratwanderung ist freilich gefährlich.
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Um im Bild zu bleiben: Sylvester Groth als Drexler wäre dann die elegante und feingeistige Tanner-Version, mit guten Manieren und der inneren Überzeugung ausgestattet, sich an die Spielregeln zu halten, ohne je in die Beamtenkarikatur zu treiben. Dazu ist dieser Drexler zu klug und zu offen. Mit den Reibungsflächen, die das Zusammenspiel erzeugt, wird die Reihe gewiss noch eine Weile gut über die Runden kommen.
Zusätzliche Würze
Dass Braschs enttäuschter Sohn (Vincent Redetzki) bei den Rechtsradikalen Zuflucht gefunden hat und munter in dieser etwas undurchsichtigen Gemengelage mitmischt, würzt den Krimi um einen toten Asylbewerber zusätzlich und beschert ihm die intensivsten Momente, wenn Mutter und Kind aufeinanderprallen. Ein Schlagabtausch voller Schmerz und mit Tiefenwirkung.
Mag schon sein, dass sie angesichts der düster schmuddeligen Bilder im Fremdenverkehrsamt von Magdeburg am Montag nicht mit Anfragestürmen rechnen müssen. Von Brasch und Drexler indes möchte man gern mehr sehen. Das ist doch schon was angesichts der Krimimengen, mit der ARD und ZDF ihr Programm fluten.