Ennetbürgen. Die Talkshow-Pionierin mit den extravaganten Brillen Ilona Christen ist tot. Laut ihrem Mann Ambros Christen soll die 58-jährige einstige ZDF- und RTL-Moderatorin an den Folgen einer schweren Blutvergiftung gestorben sein. Diese habe sich seine Frau nach einem Sturz zugezogen.
Ihre extravaganten Brillengestelle erreichten Kultstatus. Doch einen Namen machte sich Ilona Christen vor allem als Talkshow-Pionierin: Ein Jahr nach "Hans Meiser" startete sie 1993 die zweite tägliche Talksendung auf RTL. Immer kritisch beäugt von den Medienwächtern und mit anfangs großem Zuschauererfolg moderierte sie Gesprächsrunden zu allen denkbaren Streitthemen - von Seitensprüngen über Psychopillen bis Amalgamfüllungen. Doch schon 1999 verabschiedete sich die Journalistin zermürbt vom dauernden Quotendruck von der TV-Öffentlichkeit und zog sich mit ihrem Mann ganz in die Schweiz zurück. Dort starb sie vergangene Woche im Alter von nur 58 Jahren.
Ein simpler Sturz wurde ihr in ihrem Wohnort Ennetbürgen am Vierwaldstättersee zum Verhängnis, wie Ehemann Ambros Christen dem Schweizer "SonntagsBlick" berichtete. Aus einem Hämatom entwickelte sich eine Blutvergiftung, gegen die sich ihr Körper nicht mehr zu wehren wusste. "Als sie ging, schien es, als ob sie schon abgeschlossen hätte", sagte der Witwer. Seine Frau habe ihr Leben lang sehr intensiv und hart gearbeitet. Das sei nicht spurlos an ihrem Körper vorbeigegangen. "Die nötige Kraft und Robustheit haben ihr nun gefehlt, um den tödlichen Verlauf der Krankheit abzuwehren", sagte Ambros Christen der Zeitung "Zentralschweiz am Sonntag".
Die 1951 in Saarbrücken geborene Journalistin arbeitete zunächst als Film-Cutterin beim Saarländischen Rundfunk - um 1973 als nach eigenen Worten erste bebrillte Fernsehansagerin in Deutschland Schlagzeilen zu machen. Einem breiten TV-Publikum bekannt wurde sie 1986 mit der Moderation des ZDF-Fernsehgartens. Es war der Durchbruch in ihrer TV-Karriere - dem sieben Jahre später der nächste große Schritt folgte.
"Spontan, temperamentvoll, mitfühlend"
Denn 1993 suchte der Privatsender RTL ein weibliches Pendant zum Urvater der nachmittäglichen Talkshow, Hans Meiser, und wurde bei der Mainzer Anstalt fündig. "Sie packt es an", hieß es im RTL-Werbefilm zur neuen Sendung "Ilona Christen": "Spontan, temperamentvoll, mitfühlend". Und Christen selbst umschrieb ihr Konzept ähnlich schlicht: "Typen und Themen, das Leben als Abenteuer, und das Beste daraus machen."
Sechs Jahre lang unterhielt sie sich fernsehöffentlich über harmlose Alltagsthemen ebenso wie über menschliche Abgründe. In einer Folge gestand eine Frau ihrer Freundin, dass sie seit sieben Jahren ein Verhältnis mit deren Ehemann habe. Dieser wiederum outete sich daraufhin beiden überraschten Frauen als homosexuell, woraufhin der zwölfjährige Sohn des Paares schreiend aus dem Studio lief.
Für Christen waren solche Vorfälle, die gerne auch die Landesmedienanstalten auf den Plan riefen, traumatische Anlässe, Sinn und Zweck ihrer Arbeit zu hinterfragen: "Das waren Ereignisse, die mir schlaflose Nächte bereiteten", erzählte sie in einem ihrer letzten Interviews vor drei Jahren.
"Ich habe vor der Kamera fertig"
Kurz vor ihrem Rückzug vom Bildschirm hatte die Moderatorin die Entwicklung der täglichen Talkshows im deutschen Fernsehen scharf kritisiert. Im Nachrichtenmagazin "Focus" hatte sie das Konzept "Provokation als Attraktion" dafür verantwortlich gemacht, dass den Gesprächsrunden ein Schmuddelimage anhafte. Sie hatte einen runden Tisch der Sender, der Werbewirtschaft und der Medienwächter gefordert, Kinder und Jugendliche vor Themen zu schützen, die "von Anfang an nur unter die Gürtellinie" gehen sollen.
Nach und nach entfernte sich die Talkmasterin, die zwischenzeitlich auch Werbung für Waschmittel machte, innerlich von einem Konzept, das Kritiker schon lange als Krawall- und Rüpel-Fernsehen gebrandmarkt hatten. Als dann auch noch die Zuschauerzahlen zurückgingen und zugleich der Quotendruck immer härter wurde, zog die Moderatorin einen radikalen Schlussstrich: "Ich habe vor der Kamera fertig", sagte sie 1999: "Es geht inzwischen nicht mehr um Themen, sondern nur noch um Einschaltquoten."
Sie wolle künftig fotografieren, schreiben und auf Reisen gehen, verkündete sie: "Die öffentliche Ilona Christen gibt es ab jetzt nicht mehr." Und tatsächlich zog sich die Journalistin im besten Moderatorinnenalter komplett vom Bildschirm zurück. In der Öffentlichkeit meldete sie sich in den Folgejahren aber immer wieder als scharfe TV-Kritikerin zu Wort. Die Talkshows würden "noch etwas kontroverser, noch etwas gemeiner, fieser", beklagte sie. Den Abschied von Kameras und Scheinwerfern bereute sie jedenfalls nie: "Ohne Fernsehen bin ich glücklich und frei." (AP/ddp)