Köln..
Dutzende Schwerverbrecher werden derzeit aus der Sicherheitsverwahrung entlassen. Einzige Alternative sei ein Gesetz, das die Sicherheitsverwahrung deutlicher vom Strafvollzug abgrenzt, meint die Talkrunde bei „Hart aber Fair“.
Wenn Mörder und Vergewaltiger plötzlich zu Nachbarn werden – die Angstvorstellung vieler Bürger wird in diesen Tagen bittere Realität: Denn nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg vom Dezember 2009 greift für Extrem-Straftäter, die ihre Tat vor 1998 begangen haben, das Prinzip der nachträglichen Sicherheitsverwahrung nicht mehr. Demnach dürfen Gewalttäter nach Verbüßen ihrer Strafe nicht mehr weggesperrt werden.
Einzige Voraussetzung: Sie haben während ihrer Haft und der anschließenden Sicherheitsverwahrung kein weiteres, schweres Verbrechen begangen. Mindestens 80 Extrem-Kriminelle sind von dem Urteil betroffen. Sie sind bereits oder kommen noch auf freien Fuß – doch wo bleibt da die Sicherheit der Bürger? „Mörder in Freiheit, Bürger in Angst - versagt unsere Justiz?“ Darüber diskutierten am Mittwochabend Politiker, Kriminologen, Polizisten und Betroffene in Frank Plasbergs ARD-Talkshow „Hart aber Fair“.
„Bei allem Verständnis für die Opfer - auch Täter haben Rechte“, sagt Bernhard Schoer. Der Anwalt klagte erfolgreich gegen die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung. Die Freilassung vieler Straftäter geht auf ihn zurück. Doch werden durch das Urteil von Straßburg nicht gleichzeitig die Menschenrechte der potenziellen Opfer missachtet? Hat der Rechtsstaat nicht eine Verantwortung gegenüber all denjenigen, die durch diese Gewalttäter bedroht werden?
Bayerischer Innenminister hält Freilassung für einen Skandal
„Es ist Aufgabe des Staates von seinem Gewaltmonopol Gebrauch zu machen und die Bürger vor den gefährlichsten aller Straftäter zu schützen“, mahnt Gabriele Karl. Ihre Tochter wurde vor 15 Jahren von einem Serientäter erwürgt. Der Mörder sitzt heute in lebenslanger Haft. Doch Gewaltverbrecher wie ihn wieder freizulassen gleiche einer tickenden Zeitbombe. Die Gefahr, dass sie rückfällig würden ist laut Karl nicht unwahrscheinlich. „Das wäre so, als würde meine Tochter immer wieder ermordet“, prangert die Opfer-Mutter an.
Auch der bayerische Innenminister Joachim Hermann (CSU) hält die Freilassung gefährlicher Schwerverbrecher für einen Skandal: Mörder und Vergewaltiger gehören seiner Meinung nach „hinter Schloss und Riegel.“ Völlig anders sieht das Thomas Feltes, Professor für Kriminologie. Geht es nach ihm, dann haben auch Extrem-Straftäter „das Recht nach dem Vollzug wieder in die Gesellschaft integriert zu werden“.
Jörn P. wurde rückfällig
So wie Jörn P.. Als seine Sicherheitsverwahrung 2009 auslief, mussten die Richter den mehrfachen Vergewaltiger freilassen – obwohl sie ihn als gefährlich einschätzten und Wiederholungstaten nicht ausschlossen. 61 Tage nach seiner Freilassung lockte er dann eine 18-Jährige in seine Wohnung, fesselte und vergewaltigte sie mehrfach. Eine Tat, für die er nun bestraft wird. Doch musste es so weit kommen?
Bereits 2005 kamen erste Zweifel am bisherigen Konzept der Sicherheitsverwahrung auf. Der Grund: Die Sicherheitsverwahrung folge der eigentlichen Haftstrafe, unterscheide sich jedoch kaum von dieser. Doch obwohl diese Einwände bekannt waren, gab es keine Überarbeitungsvorschläge seitens der Politik. Erst auf das Straßburger Urteil im Dezember 2009 reagierte die Bundesregierung mit einem Einspruch, der jedoch im Mai 2010 abgelehnt wurde.
Seitdem werden Täter, für die die Regelung der nachträglichen Sicherheitsverwahrung nicht mehr greift, freigelassen. Ob gefährlich, oder nicht: Sogenannte Altfälle wieder einzusperren ist laut Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nicht möglich. Doch in Freiheit werden die entlassenen Straftäter zumeist von mehr als 15 Polizisten überwacht. Laut Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, eine „hanebüchene“ Arbeit, für die der Polizei schlicht die notwendigen Ressourcen fehlen.
Doch auch Leutheusser-Schnarrenbergers Vorschlag, die Polizei durch eine Elektronische Fußfessel zu entlasten, findet in der Gesprächsrunde keinen Anklang. Weitgehend einig werden sich die Diskutanten an diesem Abend nur in einem Punkt: Es müsse ein Gesetz verabschiedet werden, das die Sicherheitsverwahrung künftig deutlicher vom Strafvollzug trennt. Nach Verbüßen ihrer Strafe sollen Gewalttäter dann in spezielle Anstalten verlegt werden, in denen sie nicht als Strafgefangene untergebracht sind.