Hamburg. Das ZDF hat Siegfried Lenz' Kurzgeschichte “Die Flut ist pünktlich“ als abendfüllenden Spielfilm umgesetzt. Im Watt liegt ein Toter, ertrunken in der Nordsee. Unfall, Selbstmord oder Verbrechen? Heraus kommt ein spannendes Beziehungsdrama in norddeutscher Landschaft mit Jürgen Vogel und Ina Weisse.
Literaturverfilmungen haben in der Regel ein Problem: Die Vorlage ist meist viel zu lang und muss für die Leinwand massiv gekürzt werden. Bei dem ZDF-Fernsehfilm der Woche "Die Flut ist pünktlich" an diesem Montag (24. Februar) um 20.15 Uhr ist es es einmal umgekehrt.
Den schmalen Text, eine bereits 1953 verfasste Kurzgeschichte des Schriftstellers Siegfried Lenz (87, "Deutschstunde") über eine Geliebte und ihren Geliebten sowie den im Watt verschwundenen Ehemann, hat der Drehbuchautor André Georgi für den 90-Minuten-Film mit zusätzlichen Personen und Handlungssträngen unterfüttert. Nur so kann das Starensemble um Jürgen Vogel und Ina Weisse sich schauspielerisch voll entfalten.
Georgi ist vor allem durch Krimis ("Tatort", "Bella Block") bekannt. "Im Drehbuch stecken mindestens 90 Prozent Georgi, aber diese 90 Prozent beschäftigen sich zu 100 Prozent mit der Vorlage von Lenz", sagt Regisseur Thomas Berger ("Busenfreunde", "Wir sind das Volk - Liebe kennt keine Grenzen", "Kommissarin Lucas"), er selbst hatte zu Lenz keinerlei Kontakt. "André hat nichts geschrieben, was fern ist von dem, was eigentlich Lenz gemeint haben mag."
Küstenlandschaft spielt Hauptrolle
Der Tote, der zu Beginn des Films am Nordseestrand gefunden wird, ist der kranke Mediziner Alexander (August Zirner). Seine Frau Bettina (Ina Weisse) lebt im gemeinsamen Sommerhaus auf der Insel und hat ein Verhältnis mit Tom (Jürgen Vogel), der wiederum seine Frau Ulrike (Nicolette Krebitz) betrügt. Während bei Lenz praktisch nur im Dialog zwischen Bettina und Tom das Beziehungsdrama zunehmend deutlich wird, setzt der Film als dramaturgischem Kunstgriff auf eine junge Dorfpolizistin. Maike (sehr überzeugend: Bernadette Heerwagen) will klären, ob der Tod im Watt ein Unfall, ein Selbstmord oder ein Verbrechen war.
Das kauzig-eigenwillige Personen-Tableau ergänzen neben anderen der verwitwete Vater der Polizistin (wunderbar norddeutsch: Jan Peter Heyne) und die Medizin studierende Tochter des Toten, Mia, einfühlsam gespielt von Leonie Benesch.
Die tragende Hauptrolle in dem ruhigen, aber psychologisch sehr intensiven Film spielt die norddeutsche Küstenlandschaft mit weitem Horizont und rauer See. Viele Szenen wirken, als stünden die von seelischen Konflikten belasteten Protagonisten in Landschaftsbildern. So schön und so langsam hat Regisseur Berger den Film gearbeitet - auch wenn er jedes Postkarten-Idyll ausdrücklich vermeiden wollte. Lediglich vier Kamerafahrten hat Berger für den Film gebraucht, in den anderen Szenen ist die Kameraführung starr.
Neuverfilmung von Lenz' "Deutschstunde" ist geplant
Auch Jürgen Vogel, für den es die erste Lenz-Verfilmung ist, lobt die besondere Atmosphäre des Films ("ein Super-Drehbuch, eine Super-Besetzung"). Strandgras biegt sich im Wind, die Nordsee glitzert in der Sonne, im Hintergrund beeindruckende Wolkenformationen, mal heiter, mal bedrohlich. Immer wieder kreischen Möwen, symphonische Klänge oder Klavierspiel untermalen die Szenen und korrespondieren mit den psychologischen Zuspitzungen.
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Der Film lebt davon, dass vieles nicht ausgesprochen wird. Die durchweg großartigen Schauspieler müssen mit Augen und Mimik ausdrücken, was die von ihnen Dargestellten hinter ihren Worten wirklich bewegt: Verlustängste, Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung, Lebenshunger. Hier kann jeder Zuschauer Projektionsflächen eigener Empfindungen und existenzieller Fragen finden und reflektieren: Ein Kammerspiel an der Küste ohne Action, aber mit hoher Intensität und innerer Spannung. Drehbuchautor Georgi hat der Lenz'schen Vorlage blutvolle Menschen hinzugefügt - charakterschwach die Männer, aber sehr starke Frauen.
Gedreht wurde auf den Nordseeinseln Sylt und Rømø sowie an der dänischen Küste und in Hamburg. Die Hamburger Produktion Network Movie hat im Auftrag des ZDF inzwischen außerdem den Lenz-Roman "Der Verlust" verfilmt. Die bereits 1971 von der ARD verfilmte "Deutschstunde" ist als Neuverfilmung geplant. Damit folgt das ZDF dem Ersten, das seit dem "Deutschstunde"-Zweiteiler von Peter Beauvais immer wieder Lenz-Stoffe - zuletzt besonders erfolgreich mit Jan Fedder - für das Fernsehen adaptiert hat. (dpa)