Groningen. .

Für zwei Tage ist die Studentenstadt Groningen in den Niederlanden Nabel der europäischen Musikszene. Rund 200 Bands spielen beim Eurosonic-Festival in Clubs, Bars, Theatern und Hallen. Zum Auftakt gab’s Postrock, Elektronik und einen Ex-Drummer, der jetzt vorne steht.

Einmal im Jahr lebt Groningen Musik. Die Stadt ganz im Norden der Niederlande hat rund 200 000 Einwohner. Im Januar werden es immer so um die 2000 mehr. Festivalmacher, Leute von Plattenfirmen, Journalisten kommen dann her, fachsimpeln darüber, wie es mit der europäischen Livemusik-Branche weitergehen sollte und sehen sich abends diese Zukunft an. Das Eurosonic-Festival ist einer der wichtigsten Termine für Bands, die keine blutigen Anfänger sind, ihren ganz großen Durchbruch aber meist noch vor sich haben.

The XX. Foto: Hippler
The XX. Foto: Hippler

Konzerte gibt es fast an jeder Ecke. In gemütlichen Kneipen direkt an Grachten, in Altstadt-Clubs, Jugendzentren, Musikschulen. Oder auch im Stadttheater, Stadsschouwburg, ein klassischer Bau mit riesiger Kuppel und Balkonen. Hier haben sie die Bühne zum Zuschauerraum gemacht, dafür können die Bands da, wo sonst Theaterpublikum sitzt, unter Kronleuchtern spielen. Ein guter Ort für die Melancholie von The XX.

Die Band aus London spielt schon seit 2005 zusammen. Aber erst seit 2009 werden The XX als einer der besten Newcomer gefeiert. Bis November waren sie noch zu viert, nach dem Ausstieg von Baria Qureshi machen Sängerin und Gitarristin Romy Madley Croft, Oliver Sim (Bass, Gesang) und Jamie Smith (Beats) eben zu dritt mit ihrer verführerischen Mischung aus verträumten Pop, Rock und New Wave weiter. Manchmal, das muss man sagen, klingt das schon sehr nach den 80er Jahren. Dabei sind alle Bandmitglieder erst um 1990 herum geboren. Egal. Das Publikum im Stadtheater feierte das Trio - und längst nicht jeder, der wollte, konnte das Konzert sehen, so voll war es im Theater.

Zu Fuß oder mit dem Fahrrad zum nächsten Club

Alternativen gibt es reichlich. Wer das Festivalbändchen am Arm trägt, darf überall rein, wo es ein Konzert gibt - und hat die Qual der Wahl. Manchmal spielen 15 Bands gleichzeitig. Da braucht man entweder einen guten Plan - oder lässt sich einfach treiben, landet im Grand Theatre am großen Markt und verliebt sich in die Beats von Lucy Love aus Dänemark.

Abgrundtiefe Dubstep-Bässe lassen die Bauchdecke vibrieren, dazu starke Raps, die an M.I.A. erinnern. Minusgrade und eine dichte Schneedecke in der Altstadt sind da schnell vergessen. Den Klimawandel muss aber jeder mehrfach am Abend durchmachen. Zu Fuß oder mit dem Fahrrad geht es zum nächsten Club. Und die meisten können sich auf dem Weg für eine Frikandel aus der Selbstbedienungsbox erwärmen.

Die Killians aus Dinslaken. Foto: Hippler
Die Killians aus Dinslaken. Foto: Hippler

Die Schlange vor dem Club namens Vera ist lang. Sehr lang. Hier wollen die Leute jene Jungs sehen, die vom Moderator als “The best band from Nordrhein-Westfalen” angekündigt werden: Die Kilians. Die Dinslakener spielen schon zum zweiten Mal beim Eurosonic und liefern “Futter für die Seele as we say in German”, wie Sänger Simon den Hartog sagt. Sagen wir mal so: Die Mädels in der ersten Reihe sind hungrig.

Den inoffizellen Wettbewerb der verrücktesten Band-Namen entscheiden “We Were Promised Jetbacks” aus Glasgow früh für sich. Zum Glück haben sie auch andere Qualitäten: Exzellente Songs, leidenschaftlich gespielt. Dabei wirken die Bandmitglieder zwischen den Songs so harmlos, dass ihnen noch nicht mal mit Absicht egal ist, wie sie aussehen.

Zwei Türen weiter trifft man auf einen alten Bekannten: Steve Hewitt, Ex-Drummer von Placebo. Bei “Love Amongst Ruin” steht er jetzt vorne am Mikrofon. Seine neue Band macht Hardrock, irgendwo zwischen Queens Of The Stone Age, Kasabian, The Cure. Leider nicht so eingängig. Deshalb ist die Stimmung hier eher mau.

Erst nach Mitternacht haben Long Distance Calling aus Münster ihren Auftritt im “De Beurs”. Ein Club, der so aussieht, als habe gerade jemand die Wohnzimmermöbel zur Seite gerückt. Hier nehmen sich Postrock-Freunde Zeit, Songs zu hören, die gerne mal die Sieben-Minuten-Marke sprengen. Jetzt bloß nicht müde werden. Zum Glück machen Team Monster aus München noch bis 2 Uhr Quatsch auf der Bühne im “De Spieghel”. Deichkind werden sie aber wahrscheinlich trotzdem nicht werden. Und Freitag ist ja auch noch ein Tag. Unter anderem mit Sophie Hunger, Los Campesinos! und Choir Of Young Believers.