Essen. Das Area4-Festival hat begonnen, und unter all den Musikfans sind jetzt auch Menschen mit blauen Tonnen unterwegs. Sie sammeln Pfandbecher für die Trinkwasserinitiative Viva con Agua. Was dahinter steckt, erzählt Gründer Benjamin Adrion im Interview.
Auf Festivals aufzufallen ist gar nicht so einfach. Die Helfer der Trinkwasserinitiative Viva con Agua schaffen es trotzdem. Sie ziehen mit blauen Tonnen und Fahnen übers Gelände und sammeln Pfandbecher der Festivalbesucher ein. Ein Becher entspricht einem gespendeten Euro für Wasserprojekte in Afrika. Wenn Bands auf der Bühne zum Spenden aufrufen, fliegen schon mal Tausende Becher nach vorne, wie zuletzt beim Auftritt der Ärzte beim Hurricane-Festival. Ins Leben gerufen wurde Viva con Agua 2005 vom ehemaligen St. Pauli-Spieler Benjamin Adrion (28). Mit ihm sprechen wir über Schlüsselerlebnisse, soziales Engagement junger Leute und hilfsbereite Popstars.
Viele Menschen, die sich sozial engagieren, berichten von Schlüsselerlebnissen, die sie hatten. War das bei Ihnen auch so?
Benjamin Adrion: Das eine Schlüsselerlebnis gab es nicht, nein. Das wäre zu einfach. Die Idee wurde bei einem Trainingslager des FC St. Pauli auf Kuba geboren. Wir wollten was auf die Beine stellen, uns engagieren und dabei das Potenzial des Vereins nutzen. Konkret ist das bei mir aber erst später geworden, als ich überlegen musste, wie es weiter geht.
Sie haben Ihre Fußballschuhe für Viva con Agua an den Nagel gehängt.
Adrion: Schon ein bisschen. Dazu kam aber, dass ich zwei Jahre dauerverletzt war. Ein anderer Regionalligist (Anmerkung der Redaktion: St. Pauli spielte damals in der Regionalliga) kam für mich nicht in Frage. Es war klar, wenn ich St. Pauli verlasse, dann verlasse ich auch Viva con Agua. Damals war noch gar nicht klar, was aus Viva con Agua wird und ob das öffentliche Interesse verloren geht, wenn ich nicht mehr Spieler bin. Inzwischen ist es zu einer richtigen, bekannten Organisation geworden, nicht zuletzt durch die Festivals, auf denen wir präsent sind.
Und ein Fulltime-Job für Sie.
Adrion: Stimmt. Das war so nicht geplant. Am Anfang hatten wir die Idee, ein erstes Projekt auf Kuba zu finanzieren, 50 000 Euro waren das Ziel. Und da war unklar, ob wir das überhaupt schaffen würden. Nur durch viele Leute, die sich engagiert haben, hat das funktioniert. Dann stand fest: Okay, wir müssen weiter machen. Die Gruppe wurde immer größer. Ein Jahr später haben wir einen Verein gegründet. Und mittlerweile sind wir 12 Vereine in 10 Ländern.
Arbeiten alle ehrenamtlich für Viva con Agua?
Adrion: Die meisten ja. Das ehrenamtliche Engagement macht Viva con Agua aus. Es gibt mittlerweile aber auch Vollzeit-Kräfte im Büro in Hamburg. Viele Mitarbeiter sind schon lange dabei, sie teilen die Philosophie und die Visionen von Viva con Agua und können mitbestimmen. Wir sind da basisdemokratisch. Es entstehen Zellen in vielen Städten, die sich mit unserer Unterstützung selbst organisieren und untereinander vernetzen.
Sind junge Leute eher bereit, sich für konkrete Projekte zu begeistern, als sich politisch in einer Partei zu engagieren?
Adrion: Ich glaube, dass das so ist. Unser Vorteil ist, dass unser Engagement ganz konkreten Projekten hilft, zum Beispiel für Kenia oder für Burundi. Dann sagen wir: Hier wohnen 2000 Leute, die Wasser brauchen, wir wollen das und das hin bauen, das kostet so und so viel - let’s go! Und ein halbes Jahr später geht man da hin und kann sagen: Schau mal, was wir geschafft haben! Deshalb haben die Leute Freude, in Deutschland ihr Engagement einzubringen und sich mit anderen für ein Ziel zu verbinden.
War Viva con Agua von Anfang an auf junge Leute ausgerichtet, auch durch die Präsenz auf Festivals?
Adrion: Die Idee ist, auf Festivals einen Anknüpfungspunkt zu haben, um gezielt junge Leute anzusprechen. Unser Partner, die Welthungerhilfe, ist eher an einer älteren Klientel orientiert. Das ergänzt sich hervorragend. Junge Leute sind die Zukunft. Viele wissen nicht, was sie tun können. Und da ist Viva con Agua einfach anders als viele andere Organisationen.
Was passiert beim Area4-Festival?
Adrion: Es werden 20, 30 Leute von uns auf dem Platz sein. Man erkennt sie an den Fahnen und den blauen Tonnen. Da kann man einfach seinen Becher 'reinhauen und somit spenden. Und beim nächsten Area4-Festival kann man dann sehen, was aus dem Projekt mit Hilfe der Spenden geworden ist.
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Ist es abgesprochen, wenn Bands dazu auffordern, Becher nach vorne zu werfen wie bei den Ärzten beim Hurricane oder kommen sie selbst auf die Idee?
Adrion: In der Regel sagen wir kurz vorher, dass wir da sind und ob sie Bock haben, eine kurze Ansage zu machen. Manche machen’s, manche nicht. Viele Bands kennen uns aber schon und machen das von sich aus.
Wie viele Becher kommen dabei rum?
Adrion: Bei den Ärzten waren es um die 3000. Das war ein Rekordergebnis. Insgesamt wurden beim Hurricane 9264 Becher gesammelt. Mit Bela B. haben wir jemanden, der das außergewöhnlich gut macht. Das ist natürlich nicht immer so.
Das Gespräch führte Marc Hippler.
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