Essen. 50 Scheiben aus über 50 Jahren mit mehr als 50 Stunden: Decca durchforstete seine Klaviermusik-Bestände und legte eine umfangreiche Box mit einem Musik-Querschnitt aus 250 Jahren vor: „Piano Masterworks”.
Mit „The best of” oder „Masterworks” ist das immer so eine Sache: Da stehen Mammutboxen mit unzähligen CDs vor dem geneigten Hörer und der stößt regelmäßig auf gute alte Bekannte. Da machen die „Piano Masterworks” (Decca, 478 0474 1) keine Ausnahme.
Denn das Label durchforstete vor einiger Zeit offensichtlich die eigenen Bestände – dazu auch die der Deutschen Grammophon und Philips – und packte auf immerhin 50 Silberlinge gut 50 Stunden zumeist allerbeste Klaviermusik in Aufnahmen aus über 50 Jahren. Dass manches dabei sicherlich schon im Klassikregal der Fans vorhanden sein dürfte, lässt sich bei dieser Fülle kaum vermeiden.
Von Bach bis Gershwin
Auch wenn im leider knapp und unübersichtlichen Begleitheft wenig steht: Die Box bietet einen Querschnitt durch die Klaviermusik von Johann Sebastian Bach bis George Gershwin oder Ernö (Ernst) von Dohnanyi aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dessen „Variationen über ein Kinderlied” für Klavier und Orchester von 1914 – bei aller Eigenwilligkeit doch zutiefst in der Spätromantik verhaftet – liegen beispielsweise bei András Schiff in den besten Händen. Überhaupt gehört der Ungar, dem in diesem Jahr erst der Preis des Klavierfestivals Ruhr verliehen wurde, zu den wunderbaren Konstanten dieser Kollektion. Ob es Absicht war, die erste und letzte CD der Box diesem Ausnahmepianisten unserer Zeit zu widmen, können wir nur vermuten. Aber Schiffs Bach-Spiel, hier zu erleben mit dem Italienischen Konzert F-Dur, vier Duetten BWV 802-805 oder den sieben Konzerten für Cembalo und Streicher BWV 1052-1058, bei denen der Pianist das Chamber Orchestra of Europe vom Instrument aus dirigiert, gleicht einer wunderbaren Reise in die geistige Welt des Thomaskantors. Kongenial ergänzt wird der Ungar dabei von Andrej Gavrilov mit den „Goldberg Variationen” und Altmeister Friedrich Gulda, der Bachs „Wohltemperiertes Klavier” seziert.
Haskil und Argerich
Wer mit Mozart in die eigentliche Welt des Klaviers einsteigen möchte, kommt an Clara Haskil nicht vorbei. Die Schweizer Pianistin rumänischer Herkunft gehört neben den beiden anderen in der Box vertretenen Damen, Alicia de Larrocha und Martha Argerich, zu den Großen der Pianistenriege des 20. Jahrhunderts. Argerich mit Chopins „Préludes”: noch immer ein Muss.
Die „Piano Masterworks” sind ein guter Einstieg in die Klavierliteratur der letzten zweieinhalb Jahrhunderte und liefern zugleich einen exemplarischen Überblick über die großen Solisten-Persönlichkeiten. Immer wieder spannend: Wilhelm Kempff oder Wilhelm Backhaus, Rudolf Serkin, Claudio Arrau, aber auch so unterschiedliche Gestalter wie Daniel Barenboim, Radu Lupu oder der, wie hier mit Liszt, subtil brillierende Jean-Yves Thibaudet. Der lange Winter kann kommen . . .