Essen. . Sie wird als neue Diva gehandelt, doch Lana del Reys Debütalbum „Born To Die“ ist so durchkalkuliert, dass man die Freude am Retrosound schnell verliert. Zudem bedient sie ein Frauenbild, das aus den 60er-Jahren stammt und jede Frau von heute auf die Barrikaden treiben sollte.

An der schönen These, dass Pop heute nur noch als Zitat oder gar als Zitat von Zitaten funktioniert, ist viel Wahres. Wenn man sich die letzten 15 Jahre noch einmal durch die Ohren gehen lässt, stellt man fest, dass wir uns nach Techno (vielleicht auch Grunge) nur noch in einem Hamsterrad der immer wiederkehrenden Retrotrends bewegen. Insofern ist der Erfolg von Lana del Reys „Video Games“, dieser dermaßen aus der Gegenwart gerissenen, melancholischen Ballade, in der Zeit nach Amy Winehouse alles andere als eine Überraschung.

Man muss eben nur die richtigen Knöpfe drücken, um Gefühle sanfter Sixties-Seligkeit auszulösen: Rauchig-melancholischer Gesang, Streicher im Cinemascope, ordentlich verhallte Gitarren, eine Orgel, schon ist die Atmosphäre gezaubert. So funktioniert auch „Born To Die“, das jetzt erschienene Debüt der 25-Jährigen Lana del Rey, das als winziges Zugeständnis an die Gegenwart Texte auch mal sanft rappen lässt.

Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn da eine Künstlerin mit eigenen Ideen tief in Papas Plattenkiste gebuddelt hätte. Doch Lana del Rey ist keinen Deut authentischer als Lady Gaga, sie ist eben nur dezenter, inszeniert sich mal als Mädchen aus dem Trailerpark, mal als Femme fatale mit deutlich aufgespritzten Lippen, mit manikürten Nägeln und einem Blick, den sie sehr lange von der Bardot abgeschaut haben muss.

Wer da im Hintergrund die Knöpfe drückt, ist Guy Chambers, der maßgeblich für den Erfolg von Robbie Williams verantwortlich zeichnet, und Eg White, der mit Duffy eine blütenreine Version von Amy Winehouse schuf und auch bei Adele die Finger im Spiel hat.

„Born To Die“ schöpft das genannte Repertoire voll aus, allerdings hat keiner der anderen Songs die Intensität von „Video Games“. Das gilt für die ebenfalls mit angezogener Handbremse losfahrende Nachfolgesingle „Born To Die“. An manchen Stellen hellt sich die Stimmung sogar so auf, dass man das Album heterogen nennen darf. Die Streicher im munter gerappten „National Anthem“ sind von „The Last Time“ der Rolling Stones entlehnt. Allzu oft offenbart sich, dass auch del Reys Frauenbild aus den 60ern stammt, als der starke Kerl das Geld heranschaffen, die schmucke Frau zu ihm aufschauen musste. Und das ist ein Retrotrend, den keine Frau – ungeachtet aller großen Gefühle – heute gutheißen kann.

  • Lana del Rey: Born To Die (Vertigo/Universal)