Lünen. . Geheimkonzert der Toten Hosen: Die Düsseldorfer Punkrocker waren heimlich in Lünen. Sie haben Haus Bössing gerockt, eine gutbürgerliche Kneipe, die sonst eher von den Schützen heimgesucht wird.
Spatzen pfeifen von dicken, alten Bäumen. Einfamilienhäuser, hier und da auch Fachwerk, brav bepflanzte Vorgärten. Altlünen könnte ein anderes Wort für Beschaulichkeit sein. Hier tickt das Leben im Walzertakt. Und jetzt so ein Krach! Die Toten Hosen in Haus Bössing – das ist so, als wenn jemand mit dem Presslufthammer durch den Garten Eden schlägt.
Der Gesellschaftsraum der Gaststätte ist heute beflaggt. Es gehört sich so für einen Auftritt der Hosen, dass der skelettierte Adler über der Bühne weht. Er ist das Haustier der Düsseldorfer Rockband. Und er passt in diesem Fall ganz gut. Denn mit Vögeln, die hinüber sind, kennen sie sich hier aus. Wenn auch eher mit denen aus Holz, die von Stangen fallen. Haus Bössing ist das Stammlokal des Schützenvereins Nordlünen-Alstedde, 3. Kompanie. Horrido!
Feiern können sie auch. Das erkennt Sänger Campino sofort und prostet den Lünern mit seiner Bierdose zu: „Schönen guten Abend, Lünen!“, schreit er. Den wird es geben, Platz genug ist da. Und der Frontmann der Toten Hosen nutzt ihn komplett, wie noch nach dem Konzert zu rekonstruieren sein wird: Fußspuren zeichnen den Weg des Sängers nach. Und der führt an diesem Abend unter anderem über die holzvertäfelte Decke. Getragen von einhundert Fans im Vereinslokal. Campinos Füße ragen in die Höhe, die Hand ganz fest am Mikro, der Körper auf den Händen der schwitzenden Menge. Es geht drunter und drüber in Haus Bössing. Aber sie wollten es ja so haben.
Dann taucht der Sänger durchs Fenster ab. Auf der anderen Seite steht eine provisorische Freilichtbühne. Davor warten 500 Leute, die sich einen Platz im Biergarten erobert haben. Mit den Hosen kann man sowas ja machen. Bei aller Popularität sind sie eine Band mit der Leidenschaft für bekloppte Ideen geblieben.
Campino, der Kletteraffe: Er schwingt sich von der Außenbühne, steigt der Kneipe aufs Dach, balanciert über eine lange Mauer, singt dabei das „Bayern“-Lied, vergisst den Text und kriecht so weit weg, dass er fast in Nachbars Garten fällt. Rentner Horst (67) traut seinen Augen kaum: „Die Musik, na gut, aber ein Entertainer ist er wirklich, dieser Campino.“
Das gute Geschirr zur Seite gestellt
Und so kam es zu diesem ulkigen Aufeinandertreffen: Über 3000 Tippgemeinschaften aus Nordrhein-Westfalen waren zur vergangenen Bundesliga-Spielzeit angetreten, um die Hosen in ihr Lokal zu holen. Radiosender 1Live hatte das Konzert ausgelobt. Dazu mussten die Ergebnisse jedes Spieltags vorhergesagt werden – und die Zehnergruppe aus Lünen landete einen Treffer nach dem nächsten. Anna Bössing und ihre neun Jungs hängten die Konkurrenz ab. Und da haben sie nun die Bescherung.
„Mein Vater hat eh darüber nachgedacht, unser Lokal zu renovieren“, sagt Anna, die 24-jährige Tochter der Wirtsleute Heinz und Kornelia Bössing. Aber vielleicht nicht alles. Deshalb haben die Bössings vor dem Konzert doch lieber das gute Geschirr weggestellt, Pokale, Vasen und Bilder nach nebenan zur Kegelbahn geschoben und auch die Bedenken beiseite geräumt. Sie haben gewonnen, also ziehen sie das Ding jetzt durch.
Üblicherweise rocken Die Toten Hosen die großen Arenen. Wahrscheinlich würden selbst dann noch tausende Fans Schlange stehen, wenn nicht mehr als „Hänschen klein“ zu erwarten wäre. Also pssst! Der Termin musste geheim gehalten werden, damit Altlünen nicht platzte.
Ein bisschen was sickert doch durch, und so warten an diesem Abend hunderte Hosenfreunde an der Laakstraße traurig draußen vor der Tür. „So viel ist hier sonst noch nicht mal zum Vatertagsschießen los“, sagt Horst im Biergarten. Und ein anderer freut sich: „Hier stehen knapp 30 Jahre deutsche Musikgeschichte vor uns. In unserem Lünen.“ Also dort, wo es sonst höchstens im Kreisverkehr rund geht.
Campino macht Meter. Rein, raus, hoch und runter. „Zehn kleine Jägermeister“, „Paradies“, „Hier kommt Alex“ singt er – da sind auch Schützenbrüder textsicher. Später wird klar, warum sich der Sänger selbst bei diesem Geheimkonzert im kleinen Kreis so sehr verausgabt, dass auch der letzte Tropfen Schweiß aus seinem Körper gepresst ist. Er muss ein Stück Fleisch mit Bratkartoffeln abtrainieren. „Das war meine größte Freude: die ausgezeichneten Schnitzel von Mama Bössing“, sagt er nach dem Konzert.
Die Fans gehen abgekämpft und glücklich nach Hause. Die Band bleibt noch. Jetzt gibt’s ausnahmsweise mal für sie eine Zugabe: noch mehr Schnitzel.