Bayreuth. .
Man nennt es das beste Wagner-Orchester der Welt. Seine wahren Helden sind unsichtbar. Denn der berühmte Orchestergraben des Bayreuther Festspielhauses verbirgt die Musiker die Festspielorchesters komplett. Eine von ihnen ist Birgit Gieschke, Harfenistin der Neuen Philharmonie Westfalen. Seit 18 Jahren verbringt sie ihre Ferien in Bayreuth, arbeitend. Lars von der Gönna sprach mit Birgit Gieschke über das Faszinosum der Festspiele.
Alle machen Ferien, aber Sie arbeiten freiwillig im Orchestergraben von Bayreuth. Warum?
Dass das Arbeit ist, weiß man ja, wenn man sich auf Bayreuth einlässt. Für mich ist das trotzdem Zeit zum Auftanken. Musikalisch vor allem. Wie es hier über viele Wochen geschieht, wird auf dem Niveau selten woanders auf der Welt gearbeitet.
Das Bayreuther Festspielorchester setzt sich aus Musikern der ganzen Bundesrepublik zusammen. Alle verbringen ihre Ferien im Dunkel des Orchestergrabens. Ist die Freiwilligkeit eine verbindende Kraft?
Es ist extrem motivierend, wenn Sie wissen, dass Ihre Kollegen das mit größter Neigung und Lust machen, nicht aus Pflicht oder weil sie eben „dran“ sind. Jeder will hier das beste aus der Zeit machen. Das heißt: etwas Tolles leisten. Aber auch: Spaß haben.
Der Großteil der Musiker wird nach Bayreuth „gerufen“, man bewirbt sich selten selbst. Welche Eigenschaften braucht man?
Jeder Musiker beherrscht sein Instrument, aber das reicht nicht. Bayreuth ist sehr fordernd. Man sollte seine Leistung locker bringen können. Man muss hier mehr arbeiten und das über viele Wochen. Das geht natürlich auf die Kondition. Man muss sehr belastbar sein, physisch und psychisch. Aber genauso wichtig ist die menschliche Seite. Wenn hier Leute nur schön spielen und sich dann in sich selber zurückziehen, dann kann es keine Gruppendynamik geben. Ohne sie kommen wir nicht zu einem gemeinsamen Klang.
Menschen, die Wagner nicht mögen, werfen ihm pompöse, immerzu gewaltige Musik vor. Was sagt eine Harfenistin dazu?
Als Verallgemeinerung ist das falsch. Es gibt auch großartige Szenen in den Opern, die wirklich fast kammermusikalisch zart sind. Aber natürlich gibt es laute, marschartige Stellen. Klar geht es bei Wagner mal zur Sache, das passt dann auch zur Handlung. Aber es gibt auch ganz viel Poetisches und Lyrisches.
Sie erleben hier viele Dirigenten. Auch Bayreuth kennt solche, die viel Wind machen...
Da muss man als Orchester cool bleiben. Wir sind knapp 200 Kollegen, wir sind eine eingeschworene Gemeinschaft. Wir sind sehr flexibel. Wir sind sogar sehr flexibel, wenn da ein Dirigent steht, der einen Fehler nach dem anderen macht. Aber selbst Flexibilität hat ihre Grenzen. Zum Glück wird das Orchester in Bayreuth sehr ernst genommen. Wir nehmen uns aber auch selbst sehr ernst. Wissen Sie: Man hört ja nur das Orchester, den Taktstock hört man ja nicht. Das kann frustrierend sein, aber es macht zugleich unser Selbstbewusstsein aus.
Apropos nicht hören. Man sieht Sie auch nicht. Ist das angenehm?
Sehr. Wir genießen das, lässig angezogen sein zu dürfen. Wenn es sehr heiß hier ist, kann das auch schon mal einen „Lohengrin“ in barfuß bedeuten.
Sie haben über viele Jahre den Patriarchen Wolfgang Wagner erlebt. Was ist Ihre Erinnerung an ihn?
Dass er es irgendwie schaffte, immer überall zu sein. Und dass er alle kannte und alle gleich behandelt hat, ob sie in Bayreuth Startenor oder Putzfrau waren.
Warum ist Bayreuth für Sie ein besonderer Ort?
Den Orchestergraben nennt man nicht umsonst „mystischen Abgrund“. Für mich gibt es den Geist Richard Wagners hier immer noch. Manchmal spielen wir von Notenblättern, die 100 Jahre alt sind. Ganz hinten tragen sich die Musiker ein, die nach diesen Noten gespielt haben, richtige Ahnengalerien. Auch das ist Bayreuth.