Oberhausen. .

1936 in Hamburg als Spross einer Kommunistenfamilie geboren, 1953 in die DDR übergesiedelt, dort 1976 wieder ausgebürgert: Der Lyriker und Liedermacher Wolf Biermann gilt seit Jahrzehnten als einer der streitbarsten, durchaus auch umstrittensten Geister im deutschsprachigen Raum. WAZ-Redakteur Michael Schmitz sprach mit dem 73-jährigen Querdenker, der am Dienstag ein Konzert in Oberhausen gibt.

Sie nennen Ihr Programm „Ermutigung”, wen wollen Sie wozu ermutigen?

Wolf Biermann: Es ist der Titel meines populärsten Liedes. Ich habe es 1966 geschrieben, im ersten Jahr meines langen Berufsverbotes ab 1965. Ich wollte damit Peter Huchel, einen Freund von mir ermutigen. Er war der größte unter den kleinen Dichtern in der DDR, wurde schikaniert von der Obrigkeit. Er war sehr bedrückt und ich wollte ihn mit dem Text ermutigen. Heute muss ich darüber lachen: ein junger Mann spricht wie ein Alter zu einem Alten. Es war ein fast pastoraler Ton. Bald wurde das Lied von den Häftlingen im VEB-Knast gesungen, als ein Stück Seelenbrot.

Gastieren Sie eigentlich zum ersten Mal in Oberhausen?

Biermann: Ich glaube, ich war noch nie in dieser Stadt. Wenn man so viel rumsingt wie ich, weiß man nur, wo man war, wenn etwas besonders Schönes oder etwas besonders Freches passiert ist. Etwa wenn man eine schöne Frau in der ersten Reihe sitzen sieht und sich gar nicht auf die Musik konzentrieren kann. Das passiert natürlich.

In einem Interview haben Sie einmal gesagt, Sie sehen mit zwei Augen in die Welt, mit dem eines Kindes und dem eines Greises. Was sieht das Kind, was sieht der Greis?

Biermann: Ich habe mit sechseinhalb Jahren im Juli 1943 das Flammeninferno von Hamburg überlebt. In dieser Nacht ist meine Lebensuhr stehen geblieben. Ich habe nichts von dieser Nacht vergessen, alles vorher und nachher habe ich vergessen. Ich glaube, das ist einer der Gründe, weshalb ich Gedichte schreibe. Aber da ich älter wurde, wurde ich doch ein ausgewachsenes Exemplar und dann schnell 120. Ich will nur sagen: ich bin viel jünger und viel älter als ich jetzt bin. Das sind die zwei Augen, mit denen ich in die Welt sehe. Und dort, wo bei den indischen Frauen der rote Punkt ist, da ist mein drittes Auge, das ist 73, so alt wie ich. Aber das sieht ja keiner.

Und welche Sichtweise ist Ihnen sympathischer?

Biermann: Immer die, die ich gerade brauche. Für ein gutes Gedicht muss man, glaube ich, die Welt mit Kinder- und Greisenaugen sehen, man muss naiv sein wie ein kleines Kind und wissend wie ein Alter. Wenn ich nur meine Augen hätte, müsste ich Romane schreiben.

Sie sind Lyriker und Liedermacher, beiden wird nachgesagt, dass sie sich zu wenig in die aktuelle Politik einmischen. Ist diese Kritik berechtigt?

Biermann: Es ist eine Dummheit zu glauben, dass ein Dichter Sozialpolitik betreibt in einer Kommune. Ich habe mich immer eingemischt in politische Verhältnisse, aber die Zeiten haben sich geändert, aber einmischen werde ich mich wohl noch bis in die Zeit nach dem Tod. Aber ich muss auch sagen, dass die Deutschen auf einem sehr hohen Niveau leiden. Mich interessiert eher die Frage, wann der Iran seine Atombombe fertig hat, um Israel auszulöschen. Auch darüber habe ich Lieder und Gedichte geschrieben, nicht über Sarrazins Frage, ob Arbeitslose kalt oder warm duschen sollen.

Das klingt sarkastisch.

Biermann: Ich bin mit 16 in den Osten gegen den Strom von Millionen Flüchtlingen gegangen und war fest davon überzeugt, dass sie in die falsche Richtung gehen. Heute weiß ich, dass sie den richtigen Weg gegangen sind. Das waren keine Dummköpfe, die wussten, dass es besser ist, in einer Demokratie zu leben als in einer Diktatur. Für mich war es dennoch die Rettung. Als Sohn einer Kommunistenfamilie wäre ich wohl Funktionär der DKP in Hamburg geworden und zweimal im Jahr auf Kosten der Arbeitern und Bauern zur Erholung vom Klassenkampf und zur ideologischen Aufrüstung in die DDR gereist. Ich wäre jedes mal noch dümmer nach Hause gekommen als ich sowieso war. Die Revolutionstouristen verblöden immer mehr und begreifen nichts.

Wie ist Ihr Verhältnis zur Links-Partei?

Biermann: Die sich heute links nennen, sind für mich reaktionäres Pack garniert mit jungen Trotteln - und karrieregeil. Die wirkliche Linke in Deutschland ist die SPD. Sie hat eine große demokratische Tradition, ist aber leider in einem schlechten Zustand. Ich gehöre nicht zu denen, die sich darüber lustig machen und ich empfinde auch keine Schadenfreude, weil das Gemeinwesen so Schaden nimmt.

Das Konzert „Ermutigung“ beginnt um 19.30 Uhr im Großen Haus des Theaters Oberhausen. Karten kosten 20 Euro, Reservierung hier.