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Wie klingt die wahre Ruhr-Hymne? Spätestens zum Day of Song hätte man wirklich einen Ohrwurm erwartet - doch noch hat sich kein Lied durchgesetzt. Georg Howahl hat sich umgehört - und ist auf Ruhr-Country, Pott-Rap und Revier-Reggae gestoßen.

Die Kulturhauptstadt feiert ja bald Bergfest. Da hätte man spätestens zum „Day Of Song“ erwartet, dass sich von all den neuen Liedern, die mit dem Ehrgeiz zur alles vereinenden Ruhr-Hymne angetreten sind, eines durchsetzt. Hat es aber nicht. Schade! Soll uns „Tihiief im Wäääästän“ denn ewig anhaften? Sind wir zur wollepetrihaften Anbiederei („Ihr seid das Ruuuhrgebiiiet!“) verdammt? Kann „Glückauf, der Steiger kommt“ ernstlich die Alternative fürs 21. Jahrhundert sein?

Dabei war die Gleichung, die von den Organisatoren der Ruhr.2010 schon im Vorjahr aufgemacht worden war, so bestechend einfach: Grönemeyer hat schon eine Hymne geliefert, also liefert er wieder eine. Aber Hand aufs Herz: Wer hat in den letzten Wochen außerhalb des „Day Of Song“ aus ganzem Herzen „Komm zur Ruhr, Seelenruhr“ geträllert? Es dürfte sich um eine übersichtliche Menge handeln.

Mit diesem Lied verhält es sich wie mit jeder Auftragsarbeit: Man weiß zwar vorher, wo man hin will, hat aber nicht die Freiheit, nach links und rechts zu schauen. Denn nur so ist erklärbar, dass Grönemeyer die tollen Eigenschaften des Ruhris in lyrisch verschwurbelter Form aufzählt: „Von klarer, offener Natur / Urverlässlich, sonnig, stur“. Nebenbei trägt er, urverlässlich, auch musikalisch zu dick auf: Der Gesang von der ersten Strophe an beschwörend, von Streichern untermalt – das wirkt bei einer Feier auf Zeche Zollverein beeindruckend, findet von dort aber kaum in die Herzen. Was eigentlich der schwerste Fehler ist: Denn während etwa Grönemeyers „Bochum“ seinerzeit ziemlich ungeschminkt und unberechnet daherkam, trägt „Komm zur Ruhr“ bewusst das Make-up auf. Dann lieber zurück zur „Currywurst“.

Schönster Ort der Welt

Ein bisschen Folklore kann allerdings nie schaden. Das sagte sich auch das Spardosen-Terzett. Sie haben vor zwei Jahren noch gemeinsam mit Wiglaf Droste über den Slogan „Ruhr hoch n“ geätzt: „Das gibt Hoffnung für uns Menschen an der Ruhr – und die kommt von ‘ner Düsseldorfer Werbeagentur“.

Nun aber haben sie mit „Glück auf Ruhrgebiet“ einen ganz einfachen Song geschrieben, der tatsächlich unverstellte Heimatverbundenheit ausstrahlt. „Wenn über Duisburg die Sonne untergeht/ und sich das Abendrot auf vermooste Gleise legt/ dann wird das Ruhrgebiet zum schönsten Ort der Welt,/ auch wenn es sonst vielleicht nicht jedem sofort gefällt“. Leicht sentimental, ein Countrysong mit Mundharmonikabegleitung und sanfter Ironie.

„Wir ham keine Kohle mehr, wir ham keine Kohle mehr, hier, im Revier

Aber bräuchte man nicht eigentlich etwas Moderneres? Haben wir ja. Bei der Eröffnungsfeier der Ruhr.2010 sangen Wittens Rapper Creutzfeld & Jakob ihren Song „Kein schöner Land“ neu ein. Dies ist tatsächlich ein unverblümter Song aus dem Betondschungel, der sich nicht scheut, das Revier grau zu nennen und in dem das Volksgetränk Jim-Beam-Cola heißt. Das könnte aus Peter Fox’ „Schwarz zu grau“ stammen. Der Song hat nur den Nachteil, dass man so schlecht mitsingen kann. Der Aufzählung „In Gelsenkirchen, Bochum, Dortmund, Witten . . .“ folgt die endlose Fortsetzung der Städte bis zu „. . . Herne, bin ich immer wieder gerne.“ Womit einmal mehr die Zersplitterung des Ruhrgebiets einem Erfolg im Wege steht.

Ja, ist denn das Ruhrgebiet noch zu retten? Vielleicht. Mit Humor. Vom Oberhausener Kabarettisten Matthias Reuter. Er hat im Programm einen bestechenden, noch nicht veröffentlichten Song, den Kulturhauptstadt Reggae, ein schöner, simpler Roots-Song, der mit dem Ruhrtourismus liebevoll selbstironisch umspringt: „Papa, sach ma wat macht der Japaner mit’m Fotoapparat/ bei uns im Vorgarten?“ Und der im Refrain ein kulturpolitisch ebenso nüchternes wie doppeldeutiges Fazit zieht: „Wir ham keine Kohle mehr, wir ham keine Kohle mehr, hier, im Revier.“ Ein schöner, lustiger Soundtrack zum Untergang.

Falls wir aber doch einen Hoffnungsschimmer brauchen, kehren wir einfach zurück zum Spardosen-Terzett: „Irgendwie geht’s weiter und wir sind dazu bereit.“