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Das Musikfernsehen ist tot. Spätestens seit MTV und VIVA auf Dating-Shows und Klingeltonwerbung setzen, werden Musikvideos im Internet geschaut. Die Lücke zwischen Youtube und Fernsehen schließen neue Dienste wie Putpat. DerWesten zeigt, wie’s geht.

Wer in den 90er Jahren Teenager war, wird sich noch daran erinnern können, dass MTV und VIVA mal überwiegend Musikvideos gesendet haben. Das Grundrauschen zu den Hausaufgaben besorgten Take That und Nirvana, und um das Video zu „Smack My Bitch Up“ von The Prodigy zu sehen, musste man lange aufbleiben. Musikfernsehen war das ideale Begleitprogramm für die ersten Partys und verregnete Sonntage. Aber das ist lange her. Heute gibt es im Netz zahlreiche Angebote, die diese Lücke füllen wollen. Das Kölner Start-Up Putpat gehört zu denen, die versuchen, das neue MTV, das neue VIVA zu werden.

Hinter Putpat stecken ausgerechnet ehemalige VIVA-Macher. Tobias Trosse, einer der Geschäftsführer, war ab 2002 Programmdirektor von VIVA Plus, wo Zuschauer per Telefon und SMS Sendeinhalte mitbestimmen konnten. Er ist bekennender Fan des Musikfernsehens alter Schule, bei dem ein Clip nach dem anderen lief. „Deswegen habe ich kein Problem damit, Putpat Musikfernsehen zu nennen“, sagt er.

Schwangere 16-Jährige und hysterische Dates

Wer heute MTV und VIVA guckt, sieht zwischen der Klingeltonwerbung schwangere 16-Jährigeoder gleichaltrige Jungfrauen, hysterische Datesoder Paris Hilton, die einen neuen besten Freund sucht. Faktisch liegt das klassische Musikfernsehen seit Jahren im Sterben. Eine Ausnahme im Einheitsbrei aus kleinsten gemeinsamen Nennern ist der Musiksender gotvaus Österreich, doch den kann man in Deutschland nur digital per Satellit empfangen.

Der „Veequalizer“ von Putpat.
Der „Veequalizer“ von Putpat.

Jessica Manstetten, bei den Kurzfilmtagen Oberhausen zuständig für das Musikvideo-Programm, hat einen scharfen Blick für Veränderung des Musikfernsehens: „Als wir 1999 mit dem Musikvideopreis anfingen, gab es noch Kooperationen mit den Musiksendern“, sagt sie, „später liefen Independent-Videos aus dem Wettbewerb sogar mal bei VIVA.“ Daran ist heute nicht mehr zu denken, zu weit haben sich die Sender von echter Clip-Kultur entfernt. Manstetten: „Das Musikfernsehen ist tot. Das Musikvideo lebt weiter.“

Youtube revolutionierte den Konsum

Zum Beispiel auf Youtube. Tausende Videos von allen möglichen Künstlern gibt es dort zu jeder Zeit, so oft man will, wo man will und das fast ohne Werbung. Der Konsum von Musikvideos wurde durch die Videoplattform revolutioniert, umgekehrt waren Musikvideos immer eine der stärksten Triebfedern für ihren Erfolg. Da fällt es offenbar wenig ins Gewicht, dass die Qualität oft kaum ausreicht, um die Clips in Fernsehgröße zu sehen. Sich berieseln zu lassen, ist mit Youtube außerdem ziemlich umständlich, wenn man gerade keine Lust hat, eigene Abspiellisten zu erstellen oder solche zu finden, die dem eigenen Geschmack entsprechen.

In der Lücke zwischen brachliegenden Musikfernsehsendern und wackeligem Youtube-Angebot sprießen im Internet Dienste wie Putpat. Sie sollen das Beste aus beiden Welten vereinen: Ein Programm, bei dem ein Clip auf den anderen folgt, und die Möglichkeit, dieses Programm nach eigenem Geschmack zu färben. Bei Putpat gibt es in der Beta-Version, die DerWesten testen konnte, derzeit neun Kanäle mit diversen Musikrichtungen. Der Clou ist aber der so genannte „Veequalizer“. Damit kann der Nutzer selbst bestimmen, welchen Anteil etwa Rock, Techno oder HipHop im eigenen Musikkanal haben. Einzelne Videos können „geliebt“ oder „verbannt“ werden. So lernt das Programm den Geschmack des Nutzers kennen.

„Wir wollen das neue MTV sein“

„Wir wollen das neue MTV sein“, sagt Trosse ganz unbescheiden. MTV 2.0 sozusagen. Und die Putpat-Homepage ist da längst nicht der einzige Kanal. Mit der VZ-Gruppe gibt es eine Kooperation, 500 000 Nutzer haben schon Putpat auf ihre Profile von SchülerVZ, StudiVZ oder MeinVZ eingebunden. Und auch bei einigen Flachbildfernsehern von Samsung ist Putpat inklusive. „Putpat ist so konzipiert, dass es auch mit der Fernbedienung genutzt werden kann“, sagt Trosse. Auch Schlager- oder Volksmusik-Kanäle seien denkbar.

Mit den größten Plattenfirmen (Sony, Universal, Warner) hat Putpat bereits Verträge abgeschlossen, EMI soll bald folgen. „Ganz wichtig für uns sind Independent-Label“, sagt Trosse. Die laufen dann zum Beispiel auf dem Kanal der Musikzeitschrift Intro. So greift man auf einen Katalog mit 30 000 Musikvideos und Konzerten zurück. Ganz wichtig dabei: „On demand“, also einzeln anwählbar, gibt es keinen der Clips. Genau das ist der Gema, dem Rechteverwalter für Musik in Deutschland, bei Youtube ein Dorn im Auge.

Den großen Knall gab es im Frühjahr 2009: Youtube-Besitzer Google sperrte in Deutschland auf Druck der Gematausende Musikvideos. Der Internetriese verhandelt seitdem mit der Gesellschaft über ein Abgabenmodell - und deutsche Nutzer schauen noch immer in die Röhre, wenn sie bestimmte Clips sehen wollen. Putpat soll da eine echte Alternative sein.

Personalisierte Werbung zwischen den Clips

Fragt sich nur, wie sich das neue Musikfernsehen trägt. „In der „Freemium“-Version soll Putpat kostenlos bleiben und sich durch Werbung finanzieren“, sagt Trosse. Heißt: Zwischen Videos laufen Werbefilmchen, die aber speziell auf den Nutzer zugeschnitten, also personalisiert sind. Marken sollen künftig ganze Kanäle präsentieren können.

Tape TVfunktioniert nach einem ähnlichen Prinzip wie Putpat. Die junge Firma aus Berlin hat nach einem Neustart im Dezember rund 20 000 Musikvideos im Angebot. Wie bei Putpat sind sie in Genres unterteilt, eine intelligente Technologie lernt mit der Zeit die Vorlieben des Nutzers. Die durchschnittliche Verweildauer liegt laut Tape TV bei 30 Minuten. Das grenzt schon ans Fernsehen von früher. Andere Anbieter wie Bunch TVhaben nicht nur lineare Musikprogramme für sich entdeckt, sie wollen auch Lifestyle-Themen drumherum aufbereiten - ungefähr so wie früher mal VIVA. Auch das Videoportal myvideo wirbt verstärkt mit seinem Musikprogrammundmotor.fm hat sein Independent-Angebot inzwischen auf Videosausgeweitet. Und MTV? Hat rund 29 000 Clips ins Netz gestellt, das Angebot aber erstaunlich unattraktiv gestaltet.

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Der Wandel zur neuen Generation des Musikfernsehens ist im vollen Gange. Angetrieben wird der Prozess nicht von großen Medienkonzernen, sondern von kleinen Einheiten, die ihren Platz suchen und austesten, ob sich aus Musikvideos tatsächlich ein Geschäft machen lässt.

Vevo könnte das Geschäft erneut umkrempeln

Dieses Geschäft könnte in Deutschland allerdings schon bald erneut auf den Kopf gestellt werden, nämlich dann, wenn Vevo auch hier erreichbar wird. Am 8. Dezember ist das Musikvideoportal in Amerika an den Start gegangen. Dahinter stecken die beiden größten Plattenfirmen der Welt: Sony und Universal. Als Partner haben sie sich jemanden ausgesucht, der sich mit Videos auskennt: Youtube. Wer künftig Videos auf Youtube sucht, könnte also direkt zu Vevo weitergeleitet werden. Das klare Ziel ist es, mit den Musikvideos auch Geld zu verdienen. Das funktioniert aber nur dann, wenn sie anderswo Mangelware werden. Putpat & Co. Könnten das Nachsehen haben.