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Jan Delay veröffentlicht sein Live-Album. Im Interview verrät der Sänger, warum er auf der Bühne Nazi-Flaggen zersägt, warum er für seine Gäste Hausschuhe in Hotels klaut und sogar zur Not um Mitternacht noch Tofu besorgt.

Cool in der Ecke herumstehen geht bei deinen Konzerten ja gar nicht. Da muss man laut mitsingen und tanzen - und am Ende sind alle ganz nass geschwitzt, heiser und glücklich. Wie machst du das?

Jan Delay:Ich gebe einfach nicht auf, bis alle tanzen, feiern und Spaß haben. Schon früher, zu unserer Zeit als Absolute Beginner, wollten wir immer eine HipHop-Show machen, die echt was reißt. Beastie Boys oder Run DMC haben uns damals beeindruckt. Die haben nicht aufgehört, das Publikum anzuheizen, bis da jeder abgegangen ist. Das hat uns imponiert. Deshalb war für uns klar, dass wir auch eine riesige Show aufziehen müssen. Wir haben dann eine Motorsäge mitgebracht und Nazi-Flaggen zersägt.

Es war für mich einfach immer wichtig, eine krasse Show zu bieten. Und das hat nie aufgehört. Wenn du dann eine Band hast und andere Musik machst, heißt das ja nicht, dass du auf einmal still stehst.

Muss ein Künstler sein Publikum eigentlich immer mögen oder gibt es da auch Hass-Momente?

Delay: Wenn ich mein Publikum unsympathisch finden würde, hätte ich überhaupt keinen Spaß, und dann könnten wir nie diese Konzerte spielen. Wenn ich abgehe, ist das nicht gespielt. Das ist ernst gemeint.

Der Entertainer Jan Delay von der großen Konzert-Bühne direkt auf die kleine Couch in der Zwei-Zimmer-Wohnung – funktioniert das Konzept Live-Album?

Delay: Wenn wir das Gefühl hätten, dass man das Material nicht konservieren kann, hätten wir es gelassen. Deswegen haben wir zum Beispiel auch keine Konzert-DVD gemacht. Die holt man sich nämlich, schaut sie sich an und stellt sie in den Schrank. Wir machen extra einen Tonträger, den man sich auch immer wieder anhören kann.

Jan Delay in der Köpi Arena in Oberhausen auf in Oberhausen Foto: Gerd Wallhorn / WAZ FotoPool
Jan Delay in der Köpi Arena in Oberhausen auf in Oberhausen Foto: Gerd Wallhorn / WAZ FotoPool

Du bist immer um die gute Stimmung im Publikum bemüht, kommst ganz schick mit Hut und Krawatte. Wie wichtig ist es für dich, den Fans ein guter Gastgeber zu sein?

Delay: Sehr wichtig. Bevor ich nicht das Gefühl habe, dass alle glücklich nach Hause gehen, gebe ich nicht auf. Und das sollte ein guter Gastgeber tun. Wenn der merkt, seine Gäste sind alle Vegetarier oder trinken kein Bier, dann muss er eben noch mal los. Dann kauft der noch schnell Bionade und Tofu. Auch wenn’s schon Mitternacht ist.

Wie ist denn der Gastgeber Jan Delay privat? Auch so aufmerksam – oder müsste ich mein Bier selbst mitbringen?

Delay: Nee, der geht dann auch los und holt Tofu und Bionade. Der ist schon sehr aufmerksam.

Was geht denn gar nicht, wenn man bei dir zu Gast ist? Schuhe in der Wohnung anlassen, in alle Zimmer gucken, Glas umkippen?

Delay: Alles drei. Ich find es cool, wenn man die Schuhe auslässt. Ich klau immer in den Hotels diese Saunaschuhe. Ich hab immer ein ganzes Paket davon und für jeden Gast ein frisches Paar Hausschuhe. Dann kann ich guten Gewissens sagen: „Zieht bitte eure Schuhe aus.“

Und wie bist du selbst als Gast? Bringst du eher einen Strauß Blumen mit oder zehn Kumpel in Party-Laune?

Delay: Ich bin eigentlich ein ganz pflegeleichter Gast. Ganz easy und zurückhaltend. Ich verhalte mich woanders so, wie ich es auch von meinen Gästen erwarte.

Noch mal zurück zu deinem Album. „Kein Tag vergeht, wo ich mich nicht für jemand schäm’“, heißt es in „Überdosis Fremdscham“. Für wen musstest du dich denn heute schon schämen?

Delay: Heute noch gar nicht. Aber der Tag ist ja auch noch nicht zu Ende.

Es gibt aber offenbar einige Menschen, die sehr viel Spaß am Fremdschämen haben. Anders könnten Formate wie DSDS ja gar nicht so erfolgreich existieren, die sich maßgeblich mit dem Scheitern junger Menschen befassen.

Delay: Damit haben die Nazis damals Wahlen gewonnen. Dass du, wenn es dir nicht gut geht, jemanden brauchst, dem es noch beschissener geht. Über den du dich auslassen kannst. Dann geht es dir wieder besser, das steigert das Selbstwertgefühl. Das ist nun mal der stumpfe Grundsatz von all diesen Sendungen. Das war schon bei diesen ganzen Talk- und Gerichtsshows so.

Bereitet dir diese Kultur Sorgen?

Delay: Warum sollte man sich dagegen wehren? Das wird es immer geben. Am Ende des Tages sind diese Shows aber auch eine Inspiration für uns Künstler.

DSDS ist eine Inspiration für dich?

Delay: Aus Sachen, die man scheiße findet und die einen aufregen, kann man super Inspiration schöpfen. Die geben mir Zeilen und Reime und Sachen, die ich sagen möchte - und vielleicht sehen andere das auch so und können sich damit identifizieren. Es gibt eine Zeile in „Rock On“: „Immer motiviert durch Unsympathen aller Arten, die Luft für mich sind, aber Luft, die ich atmen muss. Denn ich will überleben, nicht ersticken, in dem Mist, den sie ständig reden.“ Das sagt es irgendwie.

Aber es gibt ja auch noch Licht-Blicke. Bei „Unser Star für Oslo“ zum Beispiel hast du ja sogar selbst in der Jury gesessen. Hat Lena Meyer-Landrut Chancen in Oslo?

Delay: Ich finde Lena super, weil sie eigen ist. Sie hätte auf jeden Fall Chancen. Aber ich weiß nicht, ob ihr Song in Ost-Europa so gut ankommen wird. Die Songs, denen ich eine große Chance beim Grand Prix einräumen würde, sind keine Songs, die ich mag.

Inwiefern unterscheidet sich „Unser Star für Oslo“ für dich von den anderen Casting-Formaten?

Delay: Stefan Raab hat seit dem Bundesvision-Songcontest bei mir einen Stein im Brett. Er hat wirklich was getan für die Nachwuchsförderung in Deutschland. Er hat eine Show in den Samstagabend-Entertainment-Bereich gebracht, in der Nachwuchsbands spielen, die keiner kennt. Das fand ich so super, dass ich keine Berührungsängste mit seinem Grand-Prix-Format hatte. Er sagt von vornherein: Hier geht’s um einzigartige Künstler. Und nebenbei war es auch mal schön, selbst in der Jury zu sitzen.

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