Paris/Warschau.

Vor 200 Jahren wurde Frédéric Chopin im zum damaligen Herzogtum Warschau gehörenden Dorf Zelazowa Wola geboren - ein scheues Genie von großer Wirkung. Paradox: So intensiv sein Herz für die trauri­ge Geschichte Polens schlug, der Realität wich Chopin körperlich aus.

Man sagt: kein Tag seit der Beerdigung sei vergangen, an dem sein Grab auf dem Pariser Père-Lachaise nicht mit frischen Blumen geschmückt würde. Paris, die Weltstadt, die Fryderyk Chopin mit seinem 21. Lebensjahr zum Wohnsitz wählte, sorgt wür­dig für den großen Musiker.

Doch sein Herz ruht in Polen. Auf seinen Wunsch hin wird sein Herz in der Heilig-Kreuz-Kirche in Warschau aufbewahrt und dort wie eine Reliquie verehrt. Hier fand es die Ruhe, nach der der Komponist im Leben vergebens strebte. Eine Ruhe, die nur gestört wurde, als die Deutschen 1939 die Urne dem polnischen Volk entrei­ßen wollten. Mit der Absicht, das Nationalgefühl der Polen empfindlich zu treffen.

1830, als sich die Pariser Salons mit polnischen Exilanten füllten, waren es nicht die Deutschen, die Chopins Heimat aussaugten. Brutal schlugen die Russen einen Aufstand der geknechteten Polen nieder. Der polnische Dichter Mic­kiewicz traf in Pa­ris auf seinen Landsmann, bitter klagend, dass Chopin „sein enormes Talent zum Amüsement des Pariser Adels vergeude“.

Polen sah er nie wieder

Paradox: So intensiv sein Herz für die trauri­ge Geschichte Polens schlug, der Realität wich Chopin körperlich aus. Er – laut Taufschein am 22. Februar, laut anderen Quellen am 1. März im zum damaligen Herzogtum Warschau gehörenden Dorf Zelazowa Wola geboren – betrat Polen nie wieder. Das polnische Volk verzieh ihm die Landflucht. Nicht nur, dass von Paris aus die Botschaften des gro­ßen Polen weltweite Verbreitung fanden. Robert Schumann bringt Chopins Äs­thetik auf den Punkt, wenn er aus dessen Musik „in Blumen versenkte Kanonen“ hört. Eine Meta­pher, die sich mit Schumanns Auffassung der Poesie deckt. Poesie, das hatte nichts mit seichter Sentimentalität zu tun, sondern mit dem Glauben an die innere Kraft der Musik – und an die Sprengkraft der leisen Töne.

Chopin trat ungern in großen Konzertsälen auf. Liszt gesteht er: „Mich machen die Leute befangen, ihr Atem erstickt mich, ihre neugierigen Blicke lähmen mich.“ Umso mehr waren seine Auftritte in den halbprivaten Salons ein Ereignis. Chopins verfeinerte Anschlagskultur, unerschöpflich farbige Klangnuancen, der sangliche Grundton seiner Musik: dass jemand ein Klavier be­herrscht und nutzt wie ein Streichinstrument oder eine Stimme, hat man bis dato für un­möglich gehalten.

Am Konservatorium wurde man schnell auf die außergewöhnliche Begabung des sensiblen jungen Mannes aufmerksam. Im Schlusszeugnis heißt es: „Besondere Begabung: Musikalisches Genie“.

Im Salon der späteren Gattin Liszts, die ihn nicht sehr mochte („Chopin ist eine überzuckerte Auster!“), machte der scheue Komponist eine wichtige Bekannt­schaft. Doch das erste Zeugnis war kaum schmeichelhaft: „Welch eine unattraktive Erscheinung die Sand ist. Ist sie überhaupt eine Frau?“ Das war George Sand, die von 1836-1847 seine Gesinnungs­genossin und Liebhaberin werden sollte und durch ihre Extravaganz in aller Munde war. Legendär: ihr Hang zu Männerkleidern und Zigarren.

„Mein lieber Toter“

Sie nannte in ihren „kleinen Chi Chi“, den Todkranken begrüßte sie als „Mein lieber Toter“. Mit ihr unternahm er die denkwürdige Reise nach Mallorca, mit der Chopin seine Tuberkulose besänftigen wollte. Vergebens: Das Wetter war schlecht, von der mallorcinischen Medizin hielt er nichts: „Mich konsultierten drei Ärzte. Der erste hielt mich bereits für tot, der zweite diagno­stizierte, ich läge im Sterben, und der dritte stellte mir in Aussicht, in naher Zukunft zu sterben.“ Doch auch Pariser Ärzte konnten nicht helfen. Das war 1837. Chopin sollte noch zwölf Jahre schwer leiden müssen.

Im Alter von 39 Jahren verlöschte das Leben Chopins, nicht ohne vorher anzuord­nen, dass alles bisher Unveröffentlichte verbrannt werden sollte. Seinem geliebten Publi­kum wollte er keine ungeprüfte Kost zumuten.