Essen. Kult-Gitarrist Ry Cooder (62) ist immer wieder für Überraschungen gut. Diesmal hat sich der Grammy-Gewinner mit den irischen Chieftains zusammengetan, um auf dem Album "San Patricio" ein trübes Kapitel der US-Geschichte aufzuschlagen. Jürgen Overkott sprach mit ihm.
Sie haben sich Zeit Ihres Lebens für sehr, sehr viele unterschiedliche Genres und Stile interessiert. Ist Ihre Neugier unstillbar?
Ry Cooder: Nein, kann man so nicht sagen. Das neue Album hat etwas mit mexikanischer Musik zu tun. Ich bin ja schon seit langer Zeit ein großer Fan der verschiedenen mexikanischen Stile.
Gut, aber dieses Album hat ja auch etwas mit irischer Folklore zu tun. Wann haben Sie Zugang zu dieser Musik gefunden?
Ry Cooder: Die Idee zu diesem Album hat mich zur irischen Folklore gebracht. Sie passt eben perfekt zu der Geschichte, die wir erzählen. Also: Irische Soldaten haben damals, 1848, die Armee der Union verlassen. Das passierte nicht über Nacht, sondern war das Ergebnis eines längeren Prozesses. Irische Einwanderer wurden in der Armee der Union schlecht behandelt, so dass sie glaubten, sie könnten es in Mexiko besser haben. Sie glaubten, dort frei zu sein. Als Teil der mexikanischen Truppen brachten die Iren natürlich auch ihre Melodien und Instrumente mit. Bei dieser Gelegenheit hörten die Iren natürlich auch die Musik der Mexikaner, und es gab durchaus Mischformen. Was wir machen, sind natürlich keine historischen Sounds, aber das Ganze klingt gut. Es ist eine hübsche Sache, die historischen Ereignisse einem Gegenwartspublikum zu vermitteln.
Sie sind jetzt gerade in Glasgow und haben die Musik einem Testpublikum vorgespielt. Wie war’s?
Ry Cooder: Das war unglaublich. Die Leute haben begeistert reagiert; sie waren völlig aus dem Häuschen. Es gab eine tolle Verbindung zum Publikum, und der Sound war unglaublich. Tolle Erfahrung, hat Spaß gemacht.
Ist eine Tour geplant?
Ry Cooder: Hm, keine Ahnung, ich habe jedenfalls nichts geplant. Ein derartiges Projekt wäre ziemlich teuer, wegen der vielen Musiker, die man dafür braucht. Na ja, wenn es jemand organisieren würde, könnten wir schon eine Menge Spaß haben.
Ich habe ein paar Leute sagen hören, irische Folklore und Mariachi - das passt niemals zusammen. Hatten Sie bei diesem Projekt jemals Zweifel, ob das Ganze funktioniert?
Ry Cooder: Och, nö. Wissen Sie, es gibt ja nicht nur Mariachi bei den Mexikanern, es gibt eine Menge verschiedener Stile. Nein, nein, es ist eine Frage, mit welchem Anspruch gehe ich da ran - und mit welchen Musikern. Und es ist natürlich auch eine Frage, welchen Rahmen gebe ich der ganzen Sache.
Warum ist es wichtig, dieses Kapitel von 1848 noch mal auf die Tagesordnung zu setzen?
Ry Cooder: Ich mache mal den Historiker: Es war damals das erste Mal, dass die USA in ein fremdes Land einmarschiert sind. Sie haben sich nicht verteidigt, sondern sie haben es angegriffen. Die USA hatten ein ganz einfaches Ziel: Sie wollten ihr Territorium vergrößern. Und der amerikanische Präsident hat damals den Kongress und die Öffentlichkeit belogen, um dieses Ziel zu erreichen. Er hat letzten Endes sein Ziel erreicht - und zwar so, indem er die Gesetze umgangen hat. Na ja, wenn Sie mal gucken, was in der Gegenwart passiert, gibt es doch ganz offensichtliche Parallelen.
Wie sieht es denn mit dem Geschichtsbewusstsein der Durchschnittsamerikaner aus?
Ry Cooder: Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Der Durchschnittsbürger in den USA macht sich um solche Dinge keinen Kopf. Es sollte ein Bewusstsein für derartige Vorgänge vorhanden sein, ist es aber nicht. Und hat mit der Bildungsmisere in den USA zu tun. Meine Landsleute erwecken den Eindruck, als hätten sie eine Gehirnwäsche hinter sich. Sie verstehen überhaupt, was um sie herum passiert.
Ist Ihre Platte Weiterbildung mit Musik?
Ry Cooder: Könnte man so sagen. Mir geht es darum, ein Bewusstsein für mehr Menschlichkeit zu wecken. Die Musik soll die Menschen, die immer mehr vereinsamen, wieder mehr zusammenbringen.
War es schwer, Ihre Plattenfirma von diesem Projekt zu überzeugen?
Ry Cooder: Es war so leicht und so schwer wie bei anderen Projekten auch. Aber die Leute bei der Plattenfirma wissen natürlich, wir sind alte Hasen, wir wissen, wie man Platten macht.
Wie sah’s denn mit den zahlreichen Gästen im Studio aus?
Ry Cooder: Das war überhaupt kein Problem. Als wir gefragt haben, hat jeder sofort gesagt: Wir machen mit.
Die Deutschen haben in den USA vor dem Ersten Weltkrieg dieselbe Rolle gespielt wie heute die Latinos. Haben Sie mal darüber nachgedacht, den deutschen Wurzeln der amerikanischen Popmusik nachzuspüren?
Ry Cooder: (lacht) Mann, gute Frage. Da habe ich noch gar nicht drüber nachgedacht. Schau’n wir mal.