Köln/Bochum. 1Live setzt der deutschen Pop-Musik am 3. Dezember in Bochum zum zehnten Mal die "Krone" auf. Jürgen Overkott sprach mit Wellenchef Jochen Rausch (53) über Musikpreise und Popmusik, Castingshow und den Eurovision Song Contest.
1Live setzt der deutschen Pop-Musik seit zehn Jahren die „Krone“ auf. Ist das nicht eigentlich ein Job für private Sender?
Jochen Rausch: Als wir angefangen haben, gab es drei deutsche Musikpreise: den „Echo“ als sicherlich bedeutendsten Musikpreis, den „Viva Comet“, den ich, bei aller Freundschaft, heute für fast belanglos halte, und eben die „Krone“. Unser Preis hat für die Künstler eine besondere Bedeutung, weil er von den Hörern vergeben wird. Wir haben es bei der Preisvergabe in Bochum oft erlebt, dass Künstler da waren, die leer ausgingen, und Künstler gewonnen haben, die verhindert waren. Das sieht man bei Privatsendern, ohne Böses unterstellen zu wollen, selten.
Was hat sich in der deutschen Popmusik in zehn langen Jahren verändert?
Jochen Rausch: Ganz ehrlich: So richtig schnell verändert sich die Popmusik nicht mehr. Eigentlich ist der Takt einer jährlichen Preisvergabe zu kurz. Denn man muss bedenken, dass die Produktion eines neuen Albums heutzutage zwei Jahre dauert. Und es gibt Bands, die einfach beständig an ihrem Ding arbeiten – wie die Toten Hosen, die es jetzt seit (rechnet kurz) 27 Jahren gibt.
Ist es heute leichter, als etablierte Band oben zu bleiben, als als Nachwuchs-Künstler den Durchbruch zu schaffen?
Jochen Rausch: Das hat etwas mit der Entwicklung der Bevölkerung zu tun: Der Fan wendet sich mit 35 nicht von seiner Lieblingsband ab, die er 15 entdeckt hat. Er wird sie vermutlich sogar mit ins Altenheim nehmen. Wir erleben gerade die erste Senioren-Generation, die mit den Rolling Stones aufgewachsen ist. Und weil es für viele Fans keinen Grund gibt, sich von ihrer Band zu trennen, bleibt der Erfolg. Auf der anderen Seite kommen schon noch junge Talente nach.
Früher mussten sich ältere Künstler wie James Last, von dem hier ein Pappaufsteller steht, an jüngeren Künstlern orientieren. Heute ist es anders herum. Warum?
Jochen Rausch: Stimmt. Heute gibt es ein Achtziger-Revivial. Für uns Ältere ist das so, dass wir sagen, das haben wir doch schon mal gehört – bei Depeche Mode oder bei Heaven 17. Für junge Leute ist das neu. Die Popmusik kann sich nur bedingt neu erfinden. Diese Chance gab es eigentlich nur ein einziges Mal. Wenn man im Vier-Viertel-Takt bleibt in einem gewissen harmonischen Schema, gibt es Grenzen.
Was macht für Sie gute Popmusik aus?
Jochen Rausch: Eigenständig sein. Gossip fällt mir da bei den jüngeren Bands ein. Die Leute finden es langweilig, wenn man austauschbar ist. Es gibt für mich für ganz wenige Künstler, die es geschafft haben, sich ständig neu zu erfinden – wie Madonna. Bei der wartet man geradezu darauf, welche Musikrichtung sie diesmal ausprobiert.
Metallica hin, Red Hot Chili Peppers her – Rock ist so erfolgreich wie schon lange nicht mehr. Warum?
Jochen Rausch: Rock hat das Zeug, ein Lebensgefühl zu vermitteln und damit Geschichte zu schreiben. Wenn man mit 40- oder 50-Jährigen über Musik redet, sprechen die hauptsächlich von Rockgruppen. Pop scheint schnell wechselnden Moden unterworfen zu sein. Verrückterweise verändert sich Rock viel weniger, wie man an Oasis und Green Day erkennen kann. Das haben The Who in den 60ern und 70ern auch schon gemacht. Die Bands unterwerfen sich einfach keiner Mode.
Gibt es Musik, die sie gar nicht mehr hören können?
Jochen Rausch: Nee, was mir wirklich auf den Wecker geht, ist der Sound der 80er. In den 80ern klang alles so künstlich, weil es damals eine neue Generation von elektronischen Instrumenten gab. Damals war es aufregend, heute ist das Nostalgie. Aber muss das sein?
Wenn wir von Moden reden, müssen wir auch von Castingshows reden.
Jochen Rausch: Das sind Leute, die überhaupt keine Haltbarkeit haben. Manchmal wissen Sie doch schon nach der letzten Sendung einer Staffel nicht mehr, wie die Teilnehmer heißen.
Aber mal ganz ehrlich: Haben Sie sich nicht geärgert, dass „DSDS“ eine Erfindung von RTL und nicht von 1Live war?
Jochen Rausch: Wir waren anfangs auf einem ganz anderen Dampfer, weil wir gesagt haben, das ist nicht authentisch. Klar, es gibt ein paar Figuren wie Max Mutzke oder Stefanie Heinzmann, die sich als Künstler vielleicht auch länger durchsetzen können.
Wobei wir sagen müssen: Mutzke und Heinzmann kommen vom Raab-Casting. Und Raab soll ja, gemeinsam mit der ARD, den Eurovision Song Contest retten.
Jochen Rausch: Ja, genau das ist unser Ziel: Leute wie Mutzke und Heinzmann zu entdecken. Sicher, es geht mehr um Pop. Aber auch da gibt es gute Leute, und wir wollen die jungen Künstlern mit Leuten zusammenbringen, die gute Songs schreiben können, die wissen, wie auf der Bühne gut rüberkommt, und die eine Band haben.
Wie Raab beteiligt sich auch der ARD-Hörfunk zum ersten Mal an der Veranstaltung. Profitieren die Hörer davon?
Jochen Rausch: Vom ARD-Hörfunk sind die großen Popwellen dabei, nicht die Jugendwellen. Die ARD erhofft sich insgesamt davon, ein jüngeres Publikum zu erreichen, und wir beim Hörfunk haben da Kompetenz. Wir vom Radio haben bei jüngeren Leuten deutlich mehr Erfolg als das Fernsehen.
Was könnte das Fernsehen vom Radio lernen?
Jochen Rausch: Eines vorweg, Fernsehen funktioniert ganz anders als Radio. Der Hörfunk lebt stark von der Musik, und das Fernsehen kann das nicht bieten. Wir sollten aber nicht mutlos sein. Wir brauchen etwas, was uns unverwechselbar macht: Wir brauchen Moderatoren, die unverwechselbar sind, wir brauchen Comedy-Formate, die es nur bei uns gibt, wir brauchen aber auch eine journalistische Herangehensweise, die zu uns passt, die die Themen unserer Zielgruppe bedient. Nur so können wir im digitalen Zeitalter als Radio überleben.
Werden Sie bald eine Internetplattform mit angehängtem Hörfunk sein?
Jochen Rausch: Alle Medien werden künftig miteinander verschmelzen. Die klassische Trennung nach Zeitungen, Hörfunk, Fernsehen und Internet ist nur noch für Leute interessant, die damit aufgewachsen sind.