Köln. 45.000 begeisterte Fans im Kölner Stadion sind ein klares Zeichen: Depeche Mode funktionieren auch ohne Revolution. Das ist ein bisschen schade.
Eine harte E-Gitarre hämmert ins Ohr, ein Kreischen, dann singt John Lennon sein legendäres "Revolution", in dem der Beatle als Zeitzeuge die Art und Weise anprangert, wie die 68er ihre Revolution umsetzten. Ähnlich verärgert wirken Depeche Mode auf ihrer aktuellen Single "Where's the revolution" - der Beatles-Klassiker könnte also eine Brücke sein zu einer Konzertnacht voller revolutionärer Anklänge.
Denkste! Nachdem die harten Gitarren der Beatles ihre Wirkung als "Hallo, wach!" nicht verfehlt haben, holen die eigentlichen Protagonisten des Abends die aufrührerische Stimmung wieder etwas runter und lenken die Konzentration der Fans auf das Wesentliche: die Band selbst: Bässe wummern, es wird elektronisch. Auf der Videowand marschieren Stiefel. Dann ist es soweit: Die Musiker tröpfeln auf die Bühne, und endlich stolziert Dave Gahan im roten Sakko auf und ab. Mit "Going backwards" vom neuen Album "Spirit" startet das Konzert mit einem starken neuen Song, der mit seinen Gitarrenparts auch von einem späten Johnny-Cash-Album stammen könnte.
Gahan schwingt die Hüfte - selbst die Männer kreischen
Gahan gibt schon jetzt den Pfau und präsentiert dem Publikum, was es erwartet, inklusive laszivem Hüftschwung und Griff in den Schritt. Da wird so mancher Mann im gleichen Alter, also Mitte 50, neidisch auf den Typen da auf der Bühne schauen. Das Sakko ist nach dem ersten Song Geschichte, von nun an bittet Mister Gahan in eleganter Weste zum Tanz. Beeindruckend ist, wie diese Band es schafft, ein Generationen übergreifendes Publikum in die Arenen dieser Welt zu locken. Die Altersstruktur der Fans reicht von Ü50 bis zur Enkel-Generation. Und alle kreischen, selbst die Männer.
Dennoch: Wer ein Konzert mit "Revolution" beginnt, sollte beim Thema bleiben. Doch Depeche Mode hatten noch nie wirklich die nötige "Hört mal, ich muss euch etwas sagen"-Attitüde. Daher wirkt der neue revolutionäre Anstrich auf "Spirit" ebenso unbeholfen wie beim Liveauftritt. Immerhin hat es mit "Everything counts" ein Stück Kapitalismus-Kritik auf die Setlist geschafft. "The grabbing hands grab all they can" - ob damit auch die Ticketpreise gemeint sind, die erstmals die 100er-Schallmauer durchbrochen haben? Oder die Tatsache, dass ausgerechnet "Where's the revolution" als Werbe-Jingle für die Telekom ein unwürdiges Dasein fristet?
Massenparty mit "Enjoy the silence"
Solche Gedanken sind den Fans zumindest während des Konzerts fern. Depeche-Mode-Auftritte sind immer auch Depeche-Mode-Partys und so feiern Band und Fans diese seit Jahrzehnten bestehende Symbiose. Die Band gibt dem Publikum, was es braucht und serviert die Wohlfühlmomente, die einfach dazugehören: Martin Gore leidet zu "Home" und das Publikum singt mit, die Massenparty steigt zu "Enjoy the silence", bei "Never let me down again" hebt die Hütte endgültig ab.
Die nächsten Deutschland-Termine von Depeche Mode
7.6. Dresden
9.6. München
11.6. Hannover
12.6. Hannover
20.6. Frankfurt (Main)
22.6. Berlin
4.7. Gelsenkirchen
Im Winter wird die Band außerdem auf Hallentour gehen – die deutschen Termine stehen noch nicht fest.
Depeche Mode und ihre Fans führen eine Langzeitbeziehung. Die Band will den Anhang nicht mit allzu vielen Veränderungen vergrätzen. Doch immerhin fünf Songs vom neuen Album haben es auf die Setlist geschafft, darunter die traumhafte Ballade "Cover me". Die Arrangements vieler älterer Stücke hat die Band nicht stark verändert, eher verfeinert und gezielt entschlackt. Das tut allen Songs gut. Einige sind elektronischer geworden und die neuen Intros von "I feel you" und "Wrong" sind klasse. Das Bowie-Cover "Heroes" fügt sich nahtlos in den Zugabenteil ein.
Revolution in Zeiten des Terrors: einfach weitermachen
Nach immerhin zwei Stunden und 15 Minuten endet die Massen-Party. Die Revolution ist ausgeblieben, sowohl musikalisch wie auch inhaltlich. Es wäre spannend, wie das Publikum reagieren würde, wenn die Band ein komplett umgekrempeltes Liveset präsentieren oder zurück zu ihren elektronischen Wurzeln würde. Doch vielleicht ist gerade dies das revolutionärste Zeichen, das Stadion-Bands wie Depeche Mode gemeinsam mit ihren Fans in Zeiten von Anschlägen auf Konzerte und Terrorwarnungen bei Festivals setzen können: Einfach aufs Konzert gehen und feiern, als hätte es nie etwas Anderes gegeben.
Setlist Depeche Mode in Köln, 5. Juni 2017
- Going backwards
- So much love
- Barrel of a gun
- A pain that I'm used to
- Corrupt
- In your room
- World in my eyes
- Cover me
- A question of lust (Martin Gore)
- Home (Martin Gore)
- Poison heart
- Where's the revolution
- Wrong
- Everything counts
- Stripped
- Enjoy the silence
- Never let me down again
- Somebody (Martin Gore)
- Walking in my shoes
- Heroes
- I feel you
- Personal Jesus