Wer Anton Corbijns Kino-Debüt als "Musikfilm" abtut, irrt sich. Gut, es geht um Ian Curtis, den Sänger von Joy Division, den dunkelsten Stern am Postpunk-Firmament.
Und natürlich kommen sie alle vor, die Klassiker der Band, von "Transmission" über "Atmosphere" bis zu "Love Will Tear Us Apart". Darüber hinaus ist "Control" aber auch eine tragische Liebesgeschichte, die man ohne musikhistorisches Wissen gucken kann.
Mehr "Control"
Quiz, Fotostrecke, JD-Box-Besprechung
Gewinnen Sie Kinokarten und den Soundtrack zum Film!
Ob Fan oder Neuling – es ist schwer, von diesem Film nicht berührt zu werden. Er schildert Curtis´ Aufstieg vom Angestellten im Arbeitsamt zur Sänger-Ikone, bis hin zu seinem Selbstmord im Jahr 1980. Den historischen Moment der Bandgründung fängt Corbijn in einem großartigen Bild ein: Nach einem Konzert der Sex Pistols stehen die künftigen Joy-Division-Musiker vor der Lesser Free Trade Hall in Manchester. Gitarrist Bernard Sumner fragt Curtis, ob er in seiner Band singen möchte. Curtis sagt zu. Im Hintergrund erlischt die Ankündigung der Sex-Pistols. Der Postpunk ist geboren.
Der Weg zum Erfolg verläuft zunächst einigermaßen geradlinig. Unter dem Namen "Warsaw" spielen Curtis & Co. einige lokale Konzerte. Dabei entdeckt sie Tony Wilson, Moderator der Fernsehsendung "So It Goes", die sich mit der aufstrebenden Musikszene in Manchester und Umgebung befasst. (Michael Winterbottom hat dem 2007 verstorbenen Wilson übrigens einen ganzen Film gewidmet "24 Hour Party People"). Als "Joy Division" hat die Band hier ihren ersten TV-Auftritt. Wilson ist von ihrem unterkühlten, beinahe mystischen Sound derart angetan, dass er sie zur ersten Band auf seinem Label, Factory Records, macht.
Für Curtis bringt der Erfolg zunehmend Probleme. Auf Tour erleidet er die ersten epileptischen Anfälle und muss Psychopharmaka einnehmen (in der kleinen Rolle des Nervenarztes ist übrigens Herbert Grönemeyer zu sehen). Die Nebenwirkungen verstärken Curtis' latent vorhandene Depressionen, ohne die eigentliche Krankheit zu besiegen. Er steht aber noch vor einem anderen Problem: Der Liebe zu seiner Frau und seinem Kind einerseits und der Belgierin Annik Honoré. Letztere wird von Alexandra Maria Lara gespielt, die viele aus der Rolle der Hitler-Sekretärin Traudl Junge in "Der Untergang" kennen dürften. Ob diese Besetzung eine gute Idee war, darüber kann man streiten. Für meine Begriffe wirkt Lara ein bisschen zu niedlich, um von Curtis und dem düsteren Joy-Division-Kosmos angezogen zu sein. Passenderweise gab Lara in einem Interview zu Protokoll, sie habe zuvor nichts von der Musik der Band gehört, aber habe "einmal etwas Cooles machen" wollen. Naja.
Der Rest der Schauspieler ist dagegen einwandfrei gecastet. Sam Riley sieht aus wie der echte Ian Curtis und hat selbst dessen Roboter-Tanzstil eins zu eins verinnerlicht. Seine (d.h. Curtis') Ehefrau Deborah hat sich zwar über ihre etwas gluckenhafte Darstellung im Film beschwert, die Ähnlichkeit der Schauspielerin Samantha Morton kann man aber schwer leugnen. Und auch Tony Wilson erfährt eine authentischere Darstellung als in "24 Hour Party People".
Eingefangen ist das Ganze in einem grobkörnigen Schwarzweiß-Stil, der Corbijns berühmte Bandporträts gewissermaßen zum Laufen bringt. Den Blick des Fotografen sieht man "Control" jederzeit an. Der Film vermittelt ein erstklassiges Gespür für Bildarrangements und Perspektiven, ohne allzu inszeniert zu wirken. Der Mythos von Ian Curtis wird bei alldem weder demontiert noch auf die Spitze getrieben. Wie gesagt, in erster Linie ist das Ganze eine tragische Liebesgeschichte, deren Universalität durch die zeitlose Musik von Joy Division nur noch unterstrichen wird.
Control, GB 2007, Regie: Anton Corbijn, 121 Minuten