Madonna hat sich alles geschnappt, was jung und hip ist, um ihrem neuen Album "Hard Candy" auf die Sprünge zu helfen.Wahrscheinlich kam deshalb nur heraus, was man auf dem Markt für R'n'B und HipHop überall hört

Die hübscheste Ideensaugerin der Popwelt hat sich wieder mal einverleibt, was ihr appetitlich erschien. Madonna gönnt sich auf ihrem elften Studioalbum "Hard Candy" einige dicke Happen vom Talentbüfett. Aber nur solche, die auf dem Popmarkt bereits an jeder Ecke feilgeboten werden, Timbaland und Pharrell Williams als Produzenten, Justin Timberlake und Kanye West als Duettpartner. Damit stellt sie klar: Eine Madonna hat es schlicht nicht nötig, die aktuellen Stile zu kopieren, sie schnappt sich einfach die Originale und arbeitet mit ihnen zusammen. Das zementiert ihren Ruf als Meisterin der Kollaboration. Und welcher Popprofi könnte schon der Versuchung widerstehen, in den Machtkreis der so gut wie knackfrischen, beinahe fünfzigjährigen Königin des Geschäfts zu treten.

Aber wer hätte gedacht, dass bei so vielen großen Namen ein für Madonnas Verhältnisse eher durchschnittliches Album herauskommt? Höchstens ein Branchenkenner, den wir jetzt mal kurz erzählen lassen: "Sagen wir, ich hätte gern Justin Timberlake mit auf meiner Platte gehabt. Ich hätte mich mit seinem Manager auseinandersetzen müssen. Dann mit seinem Agenten. Dann hätten wir ein großes Aufnahmestudio buchen und ihn in ein großes Hotel verfrachten müssen. Ich bin sicher, er ist ein netter Kerl und ziemlich kreativ. Aber wenn man mit Berühmtheiten arbeitet, muss man eine Menge durchmachen." Der das sagt, heißt Moby und hat gerade nur mit Freunden und Bekannten vorexerziert, wie man ein innovatives Tanzalbum macht.

Hinter der Geschäftsfrau Madonna steckt zwar ein potenter Organisationsapparat, der Herausforderungen von Star zu Star leicht schultert. Aber das Album zeigt: Wenn kreative Köpfe miteinander arbeiten, heißt das nicht zwangsläufig, dass sich dadurch die Ideen vervielfachen.

Manchmal ist es einfach so wie auf "Hard Candy", das kräftig in den Fundus des Vorgängeralbums "Confessions On A Dancefloor" langt und die Fundstücke scharf durch jene Beats schleift, für die Timbaland oder Pharrell seit ein paar Jahren bekannt sind. Sie veredelten auch die Songs von Britney Spears, Nelly Furtado, Beyoncé Knowles bis zur Vorzeigbarkeit und sind mit ihrer Masche heute derart dominant in den Charts, dass sie nun bei Madonna nicht mehr außergewöhnlich glänzen können.

Um Missverständnissen vorzubeugen: "Hard Candy" ist nicht missraten. Sehr nett ist etwa die vermutlich nächste Single "Give It 2 Me", ein unbeschwert hüpfender Song, der sich auf die Kernaussage reduzieren lässt, dass nichts und niemand Madonna dabei aufhalten wird, Spaß zu haben. Aber wer versucht, die Texte zu analysieren, wird an mehreren Stellen an die Grenzen des guten Geschmacks stoßen, so schon beim Titel "Hard Candy", der ein Slang-ausdruck für minderjährige Mädchen ist und im Song "Candy Shop" aufgegriffen wird - wobei der Süßigkeitenladen wiederum für ein Bordell steht. Auch als Mutter schreckt Madonna eben nicht vor gezielten Griffen unter die Gürtellinie zurück. Auf dem Coverfoto zeigt sie sich mit gespreizten Beinen im engen Anzug einer Boxchampioness - inklusive Goldgürtel, auf dem neben einem dicken "M" auch der Leitspruch "Give It 2 Me" steht.

Sobald Madonna aber in den vokalen Clinch geht, verkneift sie sich die pikanten Übergriffe. So erzählte schon die Single "4 Minutes" als kräftig rollendes Duett mit Justin Timberlake davon, dass auch zwei schwere Popkaliber es nicht schaffen können, innerhalb der Länge eines einzigen Songs die Welt zu retten. Und auch das zweite Duett mit dem smarten Justin, "Dance 2night", lässt sich als Loblied aufs Nachtleben verstehen, wobei diesmal Madonna den stärkeren Ton angibt.

Fast schon wohltuend für Fans, die die Sängerin nicht erst seit dem letzten Album kennen, wirken die kleinen Rückschritte in vergangene Jahrzehnte wie das selbstbewusste Trotzstück "She's Not Me", das schlichte, frohe Liebeslied "Incredible" oder der Song "Miles Away", der auf Probleme einer Beziehung auf Distanz anspielt, wie Madonna sie mit ihrem Mann Guy Ritchie führt.

Wer die alle paar Jahre fällige Runderneuerung der Popikone erhofft hatte, wird "Hard Candy" wenig Süße abgewinnen, denn es führt lediglich den vor drei Jahren wiederentdeckten Dancefloorstil fort, aufgepolstert mit R'n'B und HipHop. Als kommerzielles Produkt aber kann es nicht versagen. Und das ist eben einer der wesentlichen Ansprüche, den die Entertainerin und Geschäftsfrau Madonna an ihre Scheiben stellt.