„Neu!“ – Schlagzeuger Klaus Dinger umwehte eine seltsam-tragische Aura: Mit einem Bekanntheitsgrad wie wenige deutsche Musiker der 70er scheint Dinger oft entweder nicht zur richtigen Zeit da gewesen zu sein, oder am falschen Ort.

Klaus Dinger (Grönland)
Klaus Dinger (Grönland)

1947 geboren entdeckt Dinger – beeinflusst von der Beatmusik-Revolution der 60er – seine Freude am Schlagzeug. Ralf Hutter und Florian Schneider-Esleben, gerade mit ihrer Band „Organisation“ gescheitert, suchen für die Aufnahmen zu dem ersten Album ihrer neuen Band „Kraftwerk“ Schlagwerk-Unterstützung und verpflichten die Studioschlagzeuger Andreas Hohmann und Klaus Dinger.

In der losen ersten Kraftwerkformation findet Dinger rasch seinen Platz, nachdem der reguläre Live-Schlagzeuger Charlie Weiss die Band schon 1970 verlässt. Mit Michael Rother (für Gründungsmitglied Ralf Hutter, der sein Studium beendet) nimmt Kraftwerk Stücke für ein zweites Album – die unveröffentlicht bleiben – auf und konzertiert im Trio 1971 im Beat Club. Das Album mit dem legendären roten Warnhütchen erreicht die deutsche Top 30 und wird dem deutschen Fernsehpublikum bekannt, als das TV-Politikmagazin „Kennzeichen D“ das Stück „Ruckzuck“ aus dem Album als Titelmusik auswählt.

Neue Pfade

Mit Rother verlässt Klaus Dinger 1971 Kraftwerk, um als Duo unter dem Namen „Neu!“ weiterzumachen. Zusammen mit dem Produzenten Conny Planck (Can, Eurythmics, DAF, Devo) nehmen die beiden 1972 und 1973 die Alben „Neu!“ und „Neu! die 2.“ auf, ihrer Arbeit mit „Kraftwerk“ nicht unähnlich: Die monton-präzisen Rhythmen Dingers bilden die Rundlage für Rothers fließende Gitarrenfiguren, in Form gebracht von Plancks pre-digitalen Studiotricks. Doch der Erfolg bleibt aus, nach dem Album „Neu ´75“ gegen die beiden getrennte Wege.

Neu! (Grönland)
Neu! (Grönland)

Während Michael Rother mit Alben wie „Flammende Herzen“ zum erfolgreichen Solokünstler avanciert fährt Klaus Dinger mit der eher Rock-orientierten Band „La Düsseldorf“ mehr als Achtungserfolge ein – die Alben der Band verkaufen über die Jahre zusammen mehr als 1 Millionen Einheiten..

Die ungeklärte Rechtslage weiterer Alben von „Neu!“, die Klaus Dinger vorwiegend in Japan veröffentlichen lässt, führt zum endgültigen Zerwürfnis zwischen Rother und Dinger.

Neue Freunde

Mit dem Erfolg von „Kraftwerk“ und ihrem vierten Album „Autobahn“ bringt man der frühen deutschen „Kraut-Elektronik“ internationales Interesse entgegen. Brian Eno, frisch von „Roxy Music“ geschieden, nimmt bei Conny Planck eigene Alben auf, produziert dort das Debüt der amerikanischen „Devo“ und kooperiert mit den deutschen Elektronikern von „Cluster“. David Bowie nimmt Kontakt zu Michael Rother auf, eine Zusammenarbeit bei den Alben Low und Heroes steht im Raum.

All diese Entwicklungen gehen an Klaus Dinger vorbei: Er verbeißt sich in juristische Kriege um Rechte und Lizenzen. „Neu!“- und „LaDüsseldorf“-Tonträger sind jahrzehntelang nur als Raubkopien auf dem Markt. Und er lehnt jede Kommunikation zu seiner musikalischen Vergangenheit kategorisch ab; liebevoll-ironisch präsentiert auf Dingers eigener Website (http://www.gawl.de/Dingerland/Talks/index.html)

Ab Anfang der 90er ist „Neu!“ ein fester Begriff im Kanon des Post-Punk: Neutöner wie „Tortoise“ lassen sich von der deutschen Band ähnlich beeinflussen wie die alt.country-Helden „Wilco“, und John Frusciate von den „Red Hot Chili Peppers“ nennt Rother nicht nur seinen Lieblingsgitarristen, sondern lädt ihn auch zu gemeinsamen Konzerten ein.

Herbert Grönemeyer schafft es zwar nicht, das zerstittene Duo auszusöhnen, kann aber immerhin rechtliche Streitigkeiten ausräumen: Die drei „Neu!“ – Alben werden 2004 auf Grönemeyers „Grönland“ – Label wieder veröffentlicht und in allen wichtigen internationalen Musikmagazinen euphorisch rezensiert.

Während Rother, von der neuen Welle des Erfolges motiviert, weitere Kapitel seiner musikalischen Geschichte aufarbeitet – eine Live-LP seiner Band „Harmonia“ von 1974 wird veröffentlicht, dazu das erste „Harmonia“ – Konzert seit 30 Jahren im Haus der Weltkulturen in Berlin November 2007 - , kann Dinger seine neu gewonnene Popularität nicht nutzen. Er stirbt am 20. März 2008, vier Tage vor seinem 62. Geburtstag.