51. In Worten: einundfünzig. Das ist nicht etwa sein Lebensalter (auf die Idee könnte man angesichts seiner optischen Erscheinung beinahe auch kommen), sondern die Zahl der Alben, die Udo Jürgens im Laufe seiner langen Karriere veröffentlicht hat. Das jüngste Werk „Einfach ich” platzierte sich gerade auf Anhieb in den Top Ten der deutschen Album-Charts. Aber auch mit seinem Musical „Ich war noch niemals in New York", das kürzlich erfolgreich in Hamburg Premiere feierte, macht der 73-Jährige von sich reden. Frank Grieger traf den großen Entertainer in Köln.


Lieber Herr Jürgens, angeblich kennen 98 Prozent der Deutschen Ihren Namen. Wenn Sie laut über etwas nachdenken, dann ist das stets für eine fette Headline in den einschlägigen Boulevard-Blättern gut. „Udo Jürgens: Kriminelle Ausländer haben her nichts zu suchen“, hieß es da zum Beispiel kürzlich.

Zur Person

Jürgen Udo Bockelmann wurde am 30.9.1934 im österreichischen Klagenfurt geboren.Seine Mutter stammte aus Schleswig-Holstein, der Vater wurde als Sohn eines deutschen Bankdirektors in Moskau geboren. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges flüchtete die Familie ins neutrale Schweden.Der Dada-Künstler Hans Arp war Jürgens' Großonkel, sein Onkel Werner Bockelmann von 1956 bis 1965 Oberbürgermeister von Frankfurt.Mit rund 80 Millionen verkauften Platten gilt Udo Jürgens als einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Sänger überhaupt.Live spielte er vor insgesamt fast sechs Millionen Menschen.Jürgens ist vierfacher Vater. John (44) und Jenny (41) stammen aus der Ehe mit Erika Meier („Panja”), mit er von 1964 bis 1989 verheiratet war. Außerdem hat der Sänger zwei uneheliche Kinder (Sonja, 42, und Gloria, 13).Das Musical „Ich war noch niemals in New York" in Hamburg wurde gerade bis Juni verlängert. Karten (47,89-128,39 €) gibt's in unseren Leserläden und bei  Tel. 01805 / 280 123.Am Samstag, 26.1., ist Udo Jürgens zu Gast bei „Wetten, dass..?” Das ZDF sendet ab 20.15 Uhr live aus Salzburg.




Jürgens: Die Schlagzeile hat mich erschreckt, ja. Ich habe kurz gezuckt, dann habe ich’s runtergeschluckt. Aber den Inhalt des Interviews: Den unterschreibe ich Wort für Wort. Wenn wir uns irgendwo schlecht benehmen, dann haben die Gastgeber das Recht, uns die Tür zu weisen. Dieses Recht kann man keinem Menschen und keiner Nation absprechen. Ich bin überhaupt kein Ausländerfeind! Ich bin in diesem Land selbst Ausländer – meine Freunde sind aus aller Welt, sie haben alle Hautfarben der Welt und alle Religionen der Welt, ich lebe in großem Einklang mit fremden Menschen. Und die große Kultur, die Österreich seiner Hauptstadt Wien verdankt, verdankt es der Tatsache, dass es eine der ersten Städte der Welt, zumindest Europas, war, die eine Vielstaatlichkeit gelebt hat. Juden, Slawen, Andersdenkende, andere Religionen, alles war in Wien versammelt. Und das hat zum Beginn des vorigen Jahrhunderts zu diesem unglaublichen kulturellen Aufschwung geführt. Ich weiß, dass kultureller Aufschwung, geistiger Aufschwung, nur in der Vielfalt des Geistes unter Menschen zustande kommen kann.


Ich hätte Ihnen niemals unterstellt, dass Sie in irgendeiner Form ausländerfeindliche Gedanken hegen. Allein der Zeitpunkt: In Deutschland werden bald Landtage gewählt. Da wird mit solchen Themen viel Schindluder getrieben.


Jürgens: Sie haben vollkommen Recht. Aber das Problem ist: Im Moment schwimme ich auf einer Erfolgswelle. Jetzt verstrickt man mich zu allen möglichen Themen in Gespräche. Und ich lasse mich dann auch verstricken. Aber man muss dann auch dazu stehen. Oder es eben widerrufen. Und dazu besteht eigentlich gar kein Anlass. Weil ich ein großer Ausländerfreund bin, Menschenfreund. Ich bin ein Feind der Gewalt. Dagegen müssen wir vorgehen.


Reden wir über angenehmere Dinge – wie Ihr aktuelles Album „Einfach ich“. Das klingt sehr persönlich.






Jürgens: Das ist sehr persönlich. Aber das war ein Zufall. Ursprünglich war die Idee da, es „Tanz auf dem Vulkan“ zu nennen, das ist auch ein wichtiges Lied auf dem Album. Und es ist nichts anderes, als was wir alle tun heute: Wir tanzen alle auf dem Vulkan, in den hochentwickelten Ländern. Europa, USA, wir sind alle Vulkantänzer. Wir wissen alle um das, was um uns herum geschieht, wir sind gebildet genug, um die Gefahren zu sehen. Ich kann den Leuten nur sagen: Freut euch des Lebens. Feiert. Nicht nur, aber auch.


Warum war das aber nun ein Zufall?


Jürgens: Weil ich zufällig ein Lied geschrieben habe mit Wolfgang Hofer (sein Textautor, die Red.), die Zeile stammt von ihm: „Einfach ich“. Ich hab’ dann beim Entwickeln der Musik gemerkt: Das ist entweder eine große Filmmelodie, oder es wird ein Song, mit dem ich am Ende eines Konzertes am Klavier sitze und ein Resümee der Gefühle ziehe: „Ich bin doch nur einfach ich.“ Da ist man den Menschen sehr nah.


„Einfach ich“ ist auf Anhieb in die Top Ten der deutschen Albumcharts eingestiegen. Das ist Ihnen, so meldet Ihre Plattenfirma, zum ersten Mal überhaupt gelungen.







Jürgens: Meine Lieder kamen immer auf leisen Sohlen, standen hinter den großen Popgeschichten immer etwas im Schatten. Ich habe mich dort eigentlich auch immer sehr wohl gefühlt. Denn unterm Strich habe ich nahezu alle überdauert. Allein im letzten Jahr, ohne in den Charts ganz vorn zu sein, habe ich vier goldene Alben bekommen. Mein so genanntes Liedgut ist als Gesamtangebot auflagenstark, die gesamte Bandbreite der CDs wird noch gesammelt und alles Mögliche. Das ist letztlich für meine Art der Arbeit und meine Art, Musik zu verstehen, der wichtigere Weg, als wenn ich diese kurzfristigen großen Hits hätte - die so lange aus dem Radio dudeln, bis man sie überhaupt nicht mehr hören kann. Dieses Phänomen ist mir in meinen Liedern selten passiert, vielleicht sogar gar nicht. Sie wurden nicht totgedudelt.


Es gibt, glaube ich, eine Ausnahme: Mir fällt spontan der „Griechische Wein“ ein. Die einzige Nummer-eins-Single, die Sie in Deutschland hatten.


Jürgens: Der klassische Nummer-eins-Hit, den habe ich, glaube ich, nur ein- oder zweimal gehabt. Sie können Recht haben: nur einmal. Das glaubt niemand. Aber letztlich ist das ein großer Vorteil. Ja, wenn ein Lied totgedudelt wurde, dann ist es der „Griechische Wein“. Aber trotzdem wird er heute noch gern gehört.


Sie hatten auch in Japan mal einen Nummer-eins-Hit.


Jürgens: Ja, nicht nur, im ganzen asiatischen Raum hab’ ich ein paar große Hits gehabt. Das waren zum Teil auch die Songs, die in Amerika groß waren und die es dann in Japan auch noch mal geschafft haben. Sowohl auf Englisch als auch auf Japanisch als auch auf Deutsch bin ich in Japan präsent gewesen. Ich habe auch interessanterweise zweimal in Frankreich die Nummer eins gehabt – auf Deutsch.


Der Song, den ich meinte, war 1972 „Was ich dir sagen will“ – auf Japanisch…


Jürgens (singt): „Wakare no asa…“. Das war der japanische Text: „Was ich dir sagen will, sagt mein Klavier“. Richtig, ja. Später hat das dann auch Shirley Bassey auf Englisch gesungen.


Auf dem aktuellen Album spielen Sie mit einem großen Orchester…


Jürgens: Auch mit Band.


Ja, natürlich. Ich dachte aber zum Beispiel an das Intro - Sie nennen das „Fanfare“. Das klingt nach großem Kino…


Jürgens: Ich habe einen wahnsinnigen Hang zur Filmmusik. In solchen kleinen Passagen, eine Minute lang, will ich auch ein bisschen zeigen, dass ich irgendwo eine symphonische Ader habe. Aber auch auf einigen Liedern klingt das London Musicians Orchestra wirklich bombastisch. (…) Die Fanfare hat bei mir Tradition. Die Leute, die meine Sachen kennen, wissen, dass ich bei jedem zweiten oder dritten Album mit einer Fanfare beginne. Das ist so ein Wachmacher, hallo, hoppla, jetzt komm ich.


Vieles auf „Einfach ich“ klingt autobiographisch. „Wohin greifst du, wenn du alles hast?“, Ich spüre manche Nacht, warum Denken traurig macht“ oder „Statt ums Gestern zu weinen, Schaff dir das Morgen neu“. Sind das Gedanken, die Ihnen gerade im Kopf herumspuken?


Jürgens: Natürlich. Aber natürlich sind das auch Texte, die meine Autoren – in diesem Fall ist es Wolfgang Hofer – schreiben und verantworten. Ich fordere die alle ein bisschen – auch im privaten Gespräch. Nicht weil ich eine Labertasche bin.  Sondern: Wenn es ein interessantes Gespräch gibt, dann habe ich etwas dazu zu sagen. Und wenn ich mit interessanten oder kreativen Leuten zusammensitze, dann entstehen gedankliche Bilder. Wir schaukeln uns ein wenig hoch. Daraus entstehen dann einzelne Passagen oder Zeilen, die man früher ins Poesiealbum geschrieben hätte. Heute kann man’s unter Umständen aus Liedern rausholen – aus den wenigen guten Liedern, die es gibt. Ich will schon gewisse Sätze finden, in denen man sich wiedererkennt.


Mit großem Erfolg feierte vor einigen Wochen das Musical „Ich war noch niemals in New York“ mit 23 Ihrer Songs Premiere. Ist das ein repräsentativer Querschnitt Ihres Schaffens? Oder wird da etwas zusammengefügt, was gar nicht zusammengehört, mit einer aufgepfropften Story?







Jürgens: Die Story ist ja eigentlich das, was erstaunlich gut ankommt. Und das wundert mich gar nicht: Eine Drei-Generationen-Geschichte zu machen, ist eine hervorragende Idee. (…) Es ist das, was jeder, der im Theater sitzt, erlebt: Jeder hat eine Oma, jeder hat eine Mutter, jeder hat einen Vater, und sehr viele haben auch Kinder. Und jeder weiß, was es bedeutet, in diesen verschiedenen Generationen allen gerecht zu werden. Da gibt’s viel Spaß, aber auch viel Grund zur Nachdenklichkeit. Und diese Emotionen sind fantastisch geeignet für ein Musical. Aber Sie haben natürlich Recht: Die Zusammenstellung der Lieder hat sich nach Popularität gerichtet. Der Produzent Joop van den Ende kam zu mir und hat gesagt: Udo, wir wollen deine Songs haben, aber wir wollen die großen haben. Wir wollen da kein Risiko eingehen. Man hat schon richtig in die Vollen gegriffen: „Aber bitte mit Sahne“, „Mit 66“, „Merci Cherie“, „Ich war noch niemals in New York“.


Sie haben vorhin vom Alleinsein gesprochen. Empfinden Sie das heute – nach zwei geschiedenen Ehen - als Hypothek?







Jürgens: Nein. Das ist nicht immer angenehm, aber in meinem Lebensweg wahrscheinlich so vorgesehen. Ich bin dankbar für das, was ich erlebt habe – auch in meinen Ehen. Das war immer eine absolut grandiose Zeit. Ohne meine erste Frau Panja gäbe es John und Jenny nicht. Was wäre das für ein Leben?


Es gehört zu den unausgesprochenen Gesetzen des Musikgeschäfts, dass auf ein Album stets auch eine Tournee folgt.


Jürgens: Das ist diesmal anders. Ich möchte auch einmal ein bisschen an mich denken, zum Beispiel nach Indien fahren, das nehme ich mir schon seit 20 Jahren vor. Dazu werde ich mir jetzt endlich einmal ein bisschen Zeit nehmen. (…) Aber ich freue mich auf den Tag, wo ich hinter der Bühne stehe und höre eine neue Fanfare, vom Orchester gespielt.


Wann wird das sein? 2009?


Jürgens: Das wird im Januar 2009 der Fall sein.