Essen. . Noel Gallagher hat mit „Chasing Yesterday“ ein neues Album herausgebracht. Im Interview erteilt er einer Wiedervereinigung von Oasis eine Absage.

Nach der Trennung von Beady Eye wäre der Weg frei für eine Oasis-Reunion. Doch Noel Gallagher denkt gar nicht daran, sich noch einmal mit seinem Bruder einzulassen. Mehr noch: Die Vergangenheit sei vergessen und vorbei – was ihn nicht daran hindert, sein zweites Album „Chasing Yesterday“ zu nennen.

Herr Gallagher, angeblich haben Sie sich vor kurzem Ihren ersten Computer zugelegt – wogegen Sie sich jahrelang mit Händen und Füßen gewehrt haben. Warum der Sinneswandel?

Gute Frage – und ich bedaure es insgeheim schon wieder. Ich meine, was für ein Kulturschock! Aber jetzt, da ich mich ein bisschen damit beschäftigt habe, respektiere ich es umso mehr.

Demnach sind Sie bei Facebook, Twitter & Co. unterwegs?

Nein, ich habe genug Freunde: Sechs. Das reicht mir. Und ich brauche auch keine Twitter-Follower. Das ist eine neue Form von Religion, die ich nicht verstehe – und nicht verstehen möchte.

Die Facebook-Arbeit müssen andere machen

Warum dann eine groß angelegte Facebook-Präsentation Ihres neuen Albums? Ist das kein Widerspruch?

Das könnte man so sagen. Aber: Das Marketing überlasse ich Leuten, die für mein Management arbeiten und wissen, was sie da tun.

Im Falle Ihres Albums redet die britische Presse nur von „Space Jazz“-Momenten. Was ist damit gemeint?

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Für mich ist „Space Jazz“ eine Art psychedelischer Jazz, wie ihn beispielsweise Leute wie Sun Ra zelebriert haben. Aber bei Oasis haben wir den Begriff benutzt, wenn uns die britische Presse mit Vorwürfen kam wie: „Als Künstler entwickelt ihr euch kein bisschen weiter.“ Und auf dem Album findet sich ein Stück, bei dem eine Bassklarinette zum Einsatz kommt. Ein weitestgehend unbekanntes Instrument, das z.B. auf „Dark Side Of The Moon“ oder „Wish You Were Here“ zu hören ist und das mir nicht geläufig war, bis mich ein Jazzmusiker darauf aufmerksam gemacht hat.

Wie sind Sie überhaupt auf Klarinette und Saxofon gekommen?

Na ja, ich hatte einen Song namens „Riverman“, der zuerst nicht einmal in der engeren Auswahl für das Album war. Bis ich plötzlich diese Eingebung hatte, ihn mit einem ähnlichen Saxofon wie „Pinball“ zu versehen. Ein Song, den ich durch Morrissey kennengelernt habe.

Erhält er eine Danksagung oder Würdigung auf dem Album?

Nein, er bekommt einen feuchten Dreck! (lacht)

"Morissey ist unterhaltsam, weil er so gemein ist" 

Darf man fragen, wie es ist, mit Morrissey auszugehen?

Ein Riesenspaß! Einfach weil er unglaublich witzig ist. Er ist so gemein zu Leuten, dass das sehr, sehr unterhaltsam sein kann. Und du weißt genau: In dem Moment, da du ihm den Rücken zudrehst, redet er auch schlecht über dich. (lacht)

Seit längerem ist eine Oasis-Dokumentation im Gespräch…

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Oh ja! Einfach weil 2016 der 20. Jahrestag unseres Knebworth-Auftritts ist. Und weil wir ein Haufen Verrückter sind, haben wir glatt vergessen, dass wir das Ganze gefilmt haben. Also mit 20 Kameras und jeder Menge Drumherum. Wie die Anreise der Fans, Backstagesequenzen, Interviews und Rundflügen über das Gelände. Was wir nie veröffentlicht haben. Keine Ahnung, warum. Knebworth war der Höhepunkt unserer Karriere. Insofern kommen da eine Dokumentation und ein Live-Album.

Wäre das nicht der perfekte Moment, um Ihre Autobiographie zu veröffentlichen?

Ich glaube nicht, dass ich das jemals tun werde. Ganz abgesehen davon will ich das auch gar nicht.

Die Leute sollen nicht alles über die beiden Brüder wissen

Wie meinen Sie das?

Nun, ich möchte den Leuten nicht die Illusionen über mich bzw. über Liam und Oasis nehmen. Sie müssen nicht jedes Detail wissen und auch nicht erfahren, wie das wirklich war – sie sollen uns so in Erinnerung behalten, wie sie glauben, dass wir sind. Mit den ganzen Mythen, den irren Geschichten und den Unwahrheiten.

Seit dem Ende von Beady Eye mehren sich die Gerüchte über eine mögliche Oasis-Reunion. Wie stehen Sie dazu?

Da kann ich nur dasselbe sagen, was ich immer sage, wenn man mich darauf anspricht. Eben, dass es schon allein deshalb nicht dazu kommen wird, weil mein Bruder und ich nicht mehr miteinander reden. Wenn man das nicht tut, kann man auch keine Probleme lösen. Und solange das nicht der Fall ist, wird es kein Oasis geben. Was Schade ist, denn ich habe die Band sehr gemocht, aber ich werde nicht den ersten Schritt in Bezug auf meinen Bruder machen – und er ist auch nicht gewillt, das zu tun.

Eine Reunion von Oasis - für 500 Millionen Pfund vielleicht 

Und es gibt kein Zurück – nicht einmal für alles Geld der Welt?

Puh, ich denke, jeder Mensch hat seinen Preis. Und auch ich würde wahrscheinlich schwach werden, wenn man mir eine bestimmte Summe bietet.

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Wie hoch wäre die?

500 Millionen Pfund in bar. In kleinen, nicht nummerierten Scheinen. (lacht) Da würde ich nicht nein sagen können. Der Punkt ist nur: Bislang war noch niemand bereit, mir eine solche Summe zu bieten. Und er müsste ja auch noch den Rest der Band überzeugen.

Wobei Liam es angeblich sogar umsonst machen würde.

Das habe ich auch gehört. Aber es ist doch klar, was passiert, wenn er erfährt, wie viel Geld ich dafür kriege – dann will er es auch. Was das Ganze noch unrealistischer macht. Also: Schwamm drüber.

Angeblich werden Sie regelmäßig mit Liam verwechselt. Stimmt das – und wie gehen Sie damit um?

Oh Gott, das passiert jeden Tag – jeden verdammten Tag. Immer brüllt jemand: „Hey Liaaaam, wie geht´s?“ Eigentlich finde ich das ganz witzig. Ich war zum Beispiel vor ein paar Monaten auf einer Party, auf der ich nicht einmal persönlich eingeladen war, sondern ein guter Freund von mir, der mich mitgeschleppt hat. Es war eine sehr, sehr poshe Veranstaltung im Blenheim Palace, in dem Winston Churchill geboren wurde. Also vom Allerfeinsten. Wir sind da hin, haben uns kräftig betrunken und ich habe mich überall als Liam Gallagher vorgestellt.

Noel ist amaaaazing!

Und dann?

Die meisten Leute waren hocherfreut – oder taten zumindest so. Nach dem Motto: „Marvellous, schön sie kennenzulernen. Wie geht es ihrem Bruder?“ Und darauf ich: „Noel ist amaaaazing. Haben sie ihn je getroffen? Das ist ein wunderbarer Mensch, einfach toll.“ (kichert)

Weiß ihr Bruder davon?

Bis jetzt noch nicht. Und ich glaube auch nicht, dass er es überhaupt verstehen würde. Eben, dass ich ihn für mich benutze, indem ich einfach nett und charmant bin. Ich denke, das übersteigt seinen Horizont.

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Was hat es mit dem Albumtitel „Chasing Yesterday“ auf sich? Schwingt da nicht doch eine gewisse Nostalgie mit?

Um ehrlich zu sein: Ich hatte einfach keinen Titel für das Album und irgendwann kam halt der Anruf von meinem Büro: „Wir brauchen dringend einen Namen dafür.“ Ich entschied mich dann, einfach die Songtexte durchzugehen, um zu sehen, ob etwas Passendes dabei wäre. Und in einem Stück war tatsächlich eine Strophe, in der es heißt: „We let love get lost in anger chasing yesterday.“ Das Sentimentale an dieser Zeile ist, dass da jemand sagt: „Lass uns aufhören, nach dem Gestern zu jagen und nach vorne blicken.“

Dann sind Sie so gar nicht nostalgisch?

Nein, aber ich vermisse meine 20er. Ich vermisse es, jung zu sein. Und ich vermisse die ersten Jahre.

Die Kinder sollen bitte nicht ins Musikgeschäft 

Was erzählen Sie Ihren Kindern überhaupt übers Musikgeschäft? Legen Sie ihnen eine ähnliche Karriere nahe oder raten Sie ihnen eher davon ab?

Ich hoffe ehrlich gesagt nicht, dass sie dieselbe Karriere einschlagen wollen wie ich. Einfach, weil das Musikgeschäft nicht mehr das ist, was es mal war. In dem Sinne, dass es heute unglaublich schwer ist, seinen Lebensunterhalt damit zu bestreiten, gerade wenn man jung ist. Man wird überall abgezockt und verarscht. Und deshalb hoffe ich, dass sie einen soliden, vernünftigen Beruf ergreifen.

Zum Beispiel?

Anwalt. Das ist ein Job, bei dem man kaum arbeitslos werden kann, und der sich immer lohnt. Und ich meine, ich habe die Jungs auf so teure Schulen geschickt, dass sie quasi gar nicht mehr Straßenkehrer, Fabrikarbeiter oder Roadie werden können. Dafür sind sie schon jetzt überqualifiziert. Und sie sprechen dieses Oxford-Englisch, das mir manchmal gewaltig auf den Senkel geht.

Und ihre Tochter?

Anais? Sie ist bereits Model. Mit 14! Das geht heutzutage alles so wahnsinnig schnell. Und sie hat auch noch einen TV-Job. Da muss ich mir also keine Sorgen machen. Sie ist eines von diesen Mädels, die für mich als Jugendlicher geradezu unerreichbar waren. Sie ist übrigens ziemlich sauer auf mich…

Wieso?

Weil ich es mir erlaubt habe, ein Angebot von Simon Fuller abzulehnen. Er wollte, dass ich mich der Jury von The X-Factor anschließe und da das Arschloch vom Dienst gebe. Natürlich habe ich mich nicht darauf eingelassen. Aber: Dafür hasst sie mich. Jedes Mal, wenn wir zusammen vor dem Fernseher sitzen und diese fürchterliche Show gucken, auf die sie total steht, sagt sie: „Wie konntest du mir das antun?“ Fast so als hätte ich ihr damit wer weiß was angetan.

Wie sehen Sie Ihre eigene Zukunft? Wie lange wollen Sie sich das Musikgeschäft noch antun?

Das ist eine gute Frage, auf die ich keine Antwort habe. Ich meine, ich habe ja nichts anderes gelernt…

Würden Sie sich denn als erwachsen bezeichnen?

Das will ich hoffen. Ich habe drei Kinder, eine Frau und eine gut gehende Karriere. Wäre ich nicht erwachsen, würde ich heute auch überteuerte Parka verkaufen. (lacht)