Klagenfurt. . Einmal im Jahr fällt der Literaturbetrieb in die kärntnerische Landeshauptstadt Klagenfurt ein und hält dort die sogenannten „Tage der deutschsprachigen Literatur“ ab. Erste Trends aus den fünf Lesungen am Donnerstag: Familie und „Wutliteratur“.
In den Pavillons vor dem ORF-Landesstudio hängen Kronleuchter. Auf 3sat wird live übertragen, wie Menschen Texte von Blättern ablesen und dafür von Kritikern gefeiert oder zerrissen (meistens zerrissen) werden. Und dann wird das Ganze sogar im Fernsehen übertragen.
Es ist wieder Bachmann-Preis. Das heißt: Einmal im Jahr fällt der Literaturbetrieb in die kärntnerische Landeshauptstadt Klagenfurt (97.000 Einwohner) ein und hält dort die sogenannten „Tage der deutschsprachigen Literatur“ ab. Man trifft sich im ORF-Studio, um sich schöngeistig der Literatur hinzugeben, abends geht man zum Wörthersee und zeigt, dass man auch Körper hat, danach ins Café Teatro und zeigt, dass man auch Leber hat. Um am nächsten Tag übernächtigt wieder Texte zu hören.
Und am Ende (so die Hoffnung) soll beim „Bewerb“ eine Ahnung stehen, wohin der Betrieb unterwegs ist. Wohin also: Es geht um die Adelung des Banalen, vor allem um Familie, wenn man die ersten fünf Autoren als Gradmesser nehmen will.
Am wirkmächtigsten wohl bei Roman Marchel („Die fröhlichen Pferde von Chauvet“), der die Erstickung eines todkranken Mannes durch seine alte Ehefrau bedrückend intensiv herleitet. Die Frau, die sich vor der Demenz fürchtet, benennt die Pflanzen ihres Gartens nach Augenblicken ihres Ehelebens. Man denkt lange, der Mann sei schon tot, während die Frau sowie (parallel erzählt) ihre Tochter sich die gemeinsamen Jahre mit ihren Männern „in der Erinnerungsform glücklich denkt“, so Arno Dusini. Der Neu-Juror geht sogar so weit, die Katze, die ihn einem dörflichen Umfeld den bildugsbürgerlich deplatzierten Umfeld den Namen Edgar (Allan Poe) trägt, eine zweite Version der Geschichte bietet.
Für Gertraud Klemms Franziska als „Ujjayi“ bedeutet Familie vor allem die Drohung eines „zweiten Kindes, jetzt“, welches die Mutterfigur gefühlt über den Rand ihrer Kräfte hinausschicken würde. Nach einem grob karikierten Treffen mit der Schwiegerfamilie kann sie sich plötzlich doch ein zweites Kind vorstellen. Sie bleibt aber wütend, der ganze Text besteht aus zwei atemlosen Sätzen. „Gelungene Wutliteratur, entzündet an einem Muttertagsfiasko“, befand dazu Elisabeth Keller. Von den gelesenen Fünf ist Klemms „Ujjayi“ der einzige, der sozial engagiert und polititsch daherkommt. Wie die Autorin auch in ihrem Videoporträt ausdrückt: Für sie beginne alles Politische in der Familienordnung. Dieser „schwarze“ Text (Strigl) führte zur lebhaftesten Jurydiskussion. Burkhard Spinnen (selber zweifacher Vater) sagte, hier überdramatisiere eine an sich intelligente Frau den Alltag des Kinderhabens. Keller bestand jedoch auf dem gesellschaftlichen Problem, das die im Text ausgedrückte Wut motiviert.
Im Angesicht dieser starken zwei Beiträge müssen sich die anderen drei den bekannten Vorwurf gefallen lassen, dass die Gegenwartsliteratur kaum noch Dringlichkeit hat: Kerstin Preiwuß gab ihre Version der Geschichte vom traumatisierten NS-Vater, mit einem starken Mittelteil, der die Arbeit des Vaters (Soldat, Totengräber, Pflanzenvergaser, Tierzüchter) auf einer Nerzfarm als Tier-KZ schildert. Die Jury vergaloppierte sich dann aber und erörterte, ob „der literarische Nerz“ (Spinnen) hier nun ausreichende Erneuerung erfahre.
Tobias Sommer und Olga Flor erzählten keine familiären, sondern beruflich motivierte Plots. Wobei es schon persönlich wird, wenn bei Sommer (wie es Spinnen umschrieb) der Finanzbeamte zum Schriftsteller sagt: „Dein Leben passt nicht zu unseren Akten. Das musst du uns erklären.“
Als schwächster an diesem Tag muss wohl der von Olga Flor gelten. Unter dem idyllischen Titel „Unter Platanen“ und in spannungsromanhafter Sprache erzählt sie von einer Soziologin, die auf einer wissenschaftlichen Tagung (ganz die arme, von Affekten herumgeworfene Frau) fast ein zweites Mal dem fatalen Franzosen aus Studientagen erliegt. Mehr als ein Kuss ist diesmal aber nicht drin.
Auch die Jury (die eigentlichen Hauptdarsteller dieses Autorenfresens) enttäuscht an diesem ersten Lesetag etwas. Wie es scheint, hat sie sich noch nicht warmdiskutiert. Also: abwarten. Vor allem wie lange der Welpenschutz für Neu-Juror Arno Dusini noch gilt. Heute ab zehn geht es weiter.