Drei aktuelle Romane aus Frankreich, England und Deutschland erzählen von Krieg und Liebe: Pat Barker, Christoph Poschenrieder und Jean Echenoz nähern sich in ihren Zeitreisen einer Welt, in der Poesie und Schöhneit keinen Platz mehr fanden.

Es ist Krieg – und der Liebe wird alles geraubt: Drei aktuelle Romane aus Frankreich, England und Deutschland schildern die grausamen Verletzungen, auch der Herzen, die die Schlachtengetümmel des Ersten Weltkriegs hervorgebracht haben.

„Fauliges Wasser, Chlorgase, Verfall“ – dem Krieg entsteigt ein „gelblich brauner Gestank“. Der Geruch haftet an Waffenrock, Kniehose und Stiefeln, er haftet an allen Dingen, die die Mutter im Jahr 1917 aus dem großen braunen Paket auswickelt. Toby ist „vermisst, vermutlich gefallen“. Seine Schwester Elinor steckt Tobys Sachen ganz hinten in den Schrank, vergessen kann sie nicht. Sie bricht ihr Kunststudium in London ab und malt fortan leere Landschaften, in denen stets eine einzelne, entfernte Figur auszumachen ist.

Pat Barkers Roman „Tobys Zimmer“ erzählt zugleich von einer verbotenen Geschwisterliebe und von der Unmöglichkeit, den Krieg in Bilder zu fassen. Die 70-jährige Autorin wurde für einen Romanzyklus zum Ersten Weltkrieg 1995 mit dem Booker Prize ausgezeichnet. Erneut gelingt es ihr meisterlich, reale Figuren – wie den Kriegsmaler Henry Tonks, der den verletzten Soldaten ein erschütterndes Gesicht gab – in ihr Werk einzuweben. Zugleich ist „Tobys Zimmer“ ein fernes Echo auf Virginia Woolfs Weltkriegs-Roman „Jacobs Zimmer“ – ein Buch, das Woolf nach dem Tod ihres eigenen Bruders Thoby schrieb.

Die Einbettung historischen Materials in die Romanfiktion darf man getrost als Markenzeichen von Christoph Poschenrieder betrachten. Nachdem der Münchner Autor Jahrgang 1964 mit einem Schopenhauer-Roman debütierte („Die Welt ist im Kopf“), widmete er sich bereits im folgenden Werk „Der Spiegelkasten“ dem Ersten Weltkrieg: Die Fotoalben seines Großonkels Ludwig Rechenmacher aus Nordfrankreich sowie die Lebensgeschichte des jüdischen Soldaten Ismar Manneberg sind ihm Quellen seines Erzählflusses.

Im soeben erschienen Roman „Das Sandkorn“ fand Poschenrieder nun Inspiration in 3500 historischen Fotos, die zwei Forscher kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs machten: sie begaben sich auf die Spuren des Staufenkaisers Friedrich II. in Süditalien. Im Roman heißt einer der beiden Jacob Tolmeyn. Im Weltkriegs-Berlin wird er aufgegriffen, weil er Sand verstreut – verdächtig in Zeiten, in denen alles verdächtig ist. Der Roman enthüllt, zwischen Verhör und Rückblende: Tolmeyns „Neigung“ zum gleichen Geschlecht, seine trotzige Schwärmerei für die schöne Italienerin Letizia, schließlich 1915 die Flucht zurück nach Deutschland – und eine Erpressung, die Tolmeyn doch noch aufs Schlachtfeld schickt. Mit großer Eleganz zeichnet Poschenrieder das Sittengemälde einer obrigkeitshörigen und dennoch verwirrten Gesellschaft.

125 Seiten umfasst Jean Echenoz Weltkriegs-Epos mit dem schlichten Titel „14“ – ein Epos dennoch, schwingen doch in jedem Satz fünf weitere, ungesagte mit. Die Romansubversion erzählt lakonisch und schlicht von dem jungen Anthime, der am 1. August 1914 einen samstäglichen Radausflug unternimmt und auf einem Hügel der Vendée die Glocken hört. Er und seine Freunde marschieren begeistert in einen Krieg, dem sie allenfalls wenige Woche geben; er und sein Kumpel Charles werfen beide der schönen Blanche am Rande des Aufmarsches Blicke zu. Nur wenige Seiten später ist Charles tot, Anthime hat einen Arm weniger und heiratet Blanche.

Echenoz sucht weder Sinn noch Romantik im Geschehen, er lässt Jahre zusammenschnurren zu konzentrierten Momenten und Details, die vom Ende aller Poesie und Schönheit erzählen. So fällt Anthime, als er rasch zum Aufmarsch radelt, sein Buch vom Gepäckträger und bleibt „für immer und ewig allein am Straßenrand“ liegen. Und die Opfer der ersten Schlacht sind die Musiker: „Auf Seiten der Kapelle war noch einer der Klarinettisten gefallen, Bauchschuss, die große Pauke war samt Instrument über den Haufen geschossen worden, mit durchbohrter Wange, und der zweite Flötist hatte nur noch eine halbe Hand.“

Lakonischer kann man, aus einer Distanz von 100 Jahren, kaum vom Ende aller Poesie und Schönheit erzählen.

Pat Barker: Tobys Zimmer.Dörlemann, 384 S., 23,90 €. Christoph Poschenrieder: Das Sandkorn. Diogenes, 416 S., 22,90 €. Jean Echenoz: 14. Hanser, 128 S., 14,90 €