Essen. . „Die Wahrheit und andere Lügen“ erzählt von einer scheuen Romanautorin, ihrem raffinierten Literaturagenten und Liebhaber – und einem Mord, der beinahe aus Versehen geschieht. Ein spannender Nachfolger des talentierten Mr. Ripley.
Sie betreiben ein Job-Sharing eigener Art: Die scheue Martha tippt nachts auf der alten Schreibmaschine einen Roman nach dem anderen. Und ließe alle im Keller verrotten, wäre da – morgens nach einer kleinen Party – nicht der hilfreiche Henry gewesen, der ein Manuskript liest und einfach dableibt: als Hausmann, Liebhaber, dann als Literaturagent im mehrfachen Sinn. Denn nur unter seinem Namen, sagt Martha, darf er ihre Werke, inzwischen sind das zehn Bestseller, vermarkten. Für ihn heißt das: Verlagsgespräche, Lesungen, Autogrammstunden. Sie „will nur schreiben“, denn „Literatur“ interessiert sie nicht. Auch das viele Geld muss er ausgeben: für den Maserati, das Herrenhaus an der Küste, edle Weine und „kostbare Momente mit schönen Frauen“.
Und genau da ist Schluss mit idyllisch. Spätestens als Betty, die Verlagslektorin mit den faszinierenden Pogrübchen, ihm das Ultraschallfoto präsentiert . . . Soll er Martha wirklich wegen eines unerwünschten Kindes verlassen? Oder doch lieber Betty beseitigen? Erstmal eine Aussprache mit ihr am üblichen Treffpunkt? Da schiebt er dann – geplant, spontan oder versehentlich – den Subaru samt Fahrerin mit seinem Maserati über die Steilküste.
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Auch wenn es Spaß macht, die Geschichte nachzuerzählen, die uns Sascha Arango, bisher für seine exzellenten „Tatort“-Drehbücher bekannt, hier auftischt: Jetzt verlassen wir Henry, versichern aber, dass es noch ziemlich nervenkitzelnd, amüsant und mörderisch weitergeht. Schließlich ist Betty, inzwischen hübsch gerundet, immer noch da, während Martha niemals wiederkommt. Warum saß sie auch im falschen Auto?
Wo das alles spielt, bleibt ungewiss, nur die Steilküste muss sein. Von Rügen über Cornwall bis Rhode Island wäre alles möglich, bloß die Polizisten wirken ziemlich deutsch. Die unscharfe Lokalität erinnert, wie all die tückischen Zufälle, Täuschungen und Missverständnisse, ein wenig an unseren schwedischen Lieblingsautor Håkan Nesser.
Ein Nachfolger von Mr. Ripley
Aber klar ist auch: Henry muss ein Nachkomme jenes talentierten Mr. Ripley sein, der sich nach dem Willen der großen Patricia Highsmith mehr oder weniger aus Versehen durch mehrere Länder und Jahrzehnte mordet und zugleich einen Sisyphos-Kampf gegen die Entdeckung und seine Schuldgefühle führt. Auch Henry ist ja nicht „böse“, sondern einfach nur völlig a-moralisch, halb Felix Krull, halb „Eiskalter Engel“.
Warum er uns damit sogar Vergnügen bereitet – wer weiß? Und ob wir noch mal von ihm hören werden? Ganz ausgeschlossen ist es nicht. Von Ms. Highsmith gibt es immerhin fünf Ripley-Romane.
Sascha Arango: Die Wahrheit und andere Lügen. C. Bertelsmann, 299 S., 19,99 €