. . Der neue Thriller vom Großmeister des Justiz-Genres: John Grisham kehrt im neuen Werk „Die Erbin“ zurück nach Ford County, wo vor 25 Jahren auch Grishams erster Roman „Die Jury“ angesiedelt war. Der neue Wurf entwickelt zwar einen gewissen Sog, hat aber Längen.

Er hat sich den besten Anzug angezogen, ist noch mal eben zum Gottesdienst in die Kirche gegangen. Dann ist Seth Hubbard in einen Baum geklettert und hat sich aufgehängt. Weil er die Schmerzen von Lungenkrebs im Endstadium nicht mehr ertragen hat. Und manches andere anscheinend auch nicht. Da hängt er also, und noch bevor sie ihn abgeschnitten haben, rätseln sie im Städtchen, wer denn wohl das viele Geld bekommt.

Lettie Lang heißt „Die Erbin“, seine schwarze Haushälterin. Das wäre heute in weiten Teilen der USA vielleicht noch eine Meldung in den Lokalnachrichten, ist im Mississippi des Jahres 1988 aber ein Skandal – und der Beginn des neuen Romans von John Grisham.

Der Erfolgsautor, der mehr als 300 Millionen Bücher verkauft hat, reist im Buch aber nicht nur in der Zeit zurück. „Die Erbin“ spielt in Ford County, wo vor 25 Jahren auch Grishams erster Roman „Die Jury“ angesiedelt war. Und wie damals ist es Anwalt Jack Brigance, der für Recht, vor allem aber für Gerechtigkeit kämpft. Was ja nicht immer ein und dasselbe ist.

Man muss „Die Jury“ nicht kennen, um „Die Erbin“ zu verstehen. Auf den ersten Blick haben beide Bücher auch wenig gemeinsam. Verhalf Jake einst dem Schwarzen Carl Lee Hailey, der den Vergewaltiger seiner zehnjährigen Tochter tötete, zum Freispruch, muss er dieses Mal nur ein Testament vollstrecken. Doch das ist wesentlich schwieriger, als es klingt. Schon weil die leer ausgegangene Familie des Toten alle Hebel in Bewegung setzt, das Dokument anzufechten. Und dabei öffnen sich bis zum überraschenden Ende wieder diverse menschliche Abgründe.

Einmal mehr taucht Grisham ab in die Scheinheiligkeit des immer noch rassistischen Südens, beleuchtet eine heuchlerische Gesellschaft voller Neid und Vorurteile. Er nimmt sich viel Zeit für die Figurenzeichnung und schrammt dabei mitunter um Haaresbreite an der Langeweile vorbei. Dafür gelingen ihm überwiegend glaubwürdige Figuren. Nur Brigance selbst, von dem Grisham zugibt, dass er ihn stark autobiografisch angelegt hat, wirkt manchmal zu gut, um echt zu sein.

„Die Erbin“ ist kein Thriller, es ist auch nicht spannend im klassischen Sinn. Trotzdem entwickelt es einen Sog. Wie kaum ein zweiter versteht es Grisham als gelernter Anwalt, den alltäglichen Wahnsinn des US-Justizsystems zu beschreiben. Das ist über weite Strecken faszinierend, manchmal auch beängstigend und überwiegend sehr gut geschrieben. Es könnte aber auch auf gut 100 Seiten weniger erzählt werden.

John Grisham: Die Erbin. Heyne, 704 S., 24,99 €.