Essen. . Der Krimi „In Almas Augen“ beweist einmal mehr das meisterhafte Talent des US-Autors Daniel Woodrell: Auch im dritten seiner kurzen Romane (nach „Winters Knochen“ und „Der Tod von Sweet Mister“) schafft Woodrell ein Sittenbild der amerikanischen Provinz und ihrer Traumata.

Großmutter Alma war „alt, einsam und stolz“ und „konnte schon mal eine Ohrfeige verteilen, wenn man sie mit ‚Oma’ ansprach“. So erinnert sich ihr Enkelsohn, nun selbst schon ein älterer Herr, an die Sommerferien von ’65, als er „zwölfjährig“ doch noch lernte, Alma „zu lieben“. Auch wegen ih­rer Geschichten, vor allem der ei­nen, die beim ihm (wie auch bei uns) einschlägt wie eine Bombe, die aber auch Almas Leben zerstört hat.

Das war die „Explosion in der Arbor Dance Hall, bei der 1929 zweiundvierzig Tanzende aus diesem kleinen Nest in den Ozarks von Missouri ihr Leben verloren hatten, Walzer tanzende Paare, die mitten im Takt umgekommen und in einem rosafarbenen Nebel zum Himmel geweht waren, gejagt von turmhohen Flammen.“

Verbrechen – oder Missgeschick?

Ein schlimmes Verbrechen oder ein ungeheures Missgeschick? Die Frage stellt sich, weil der Tanzboden über einer Autowerkstatt samt Tankstelle lag. Seltsam nur, dass keiner, vom Bürgermeister und Sheriff abwärts, an einer Antwort interessiert ist. Den Tankwart mit dunkler Vergangenheit findet man bald erschossen, seine Frau wird aus der Stadt gejagt. Das war’s dann wohl.

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Nur Alma, die Putzfrau und alleinstehende Mutter von drei Jungs, gibt sich nicht zufrieden: Hat sie im Höllenfeuer doch ihre liebe, aber auch liebestolle Schwester Ruby verloren. Die aber hat ihrem verheirateten Bankdirektor gerade eben den Laufpass gegeben und walzt jetzt mit einem andern durch Arbors Dance Hall.

Doch keiner will zuhören, wenn Alma ihre Fragen stellt – im Ge­genteil: Weil sie den falschen Frieden stört, verliert sie Job, Ansehen und fast auch die Familie. All dies im Dauerclinch mit bitterer Armut, während Wirtschaftskrise und Weltkrieg ihre dunklen Schatten werfen. Erst am Schluss erweist sich, wie sehr auch diese moderne Kassandra im Recht war – eine ebenso anrührende wie tragische Figur.

Zu bewundern ist aber auch der Aufbau der Geschichte: Erst sind das nur ein paar Anekdoten aus der nicht so guten alten Zeit; dann wird daraus eine Familienchronik im Teufelskreis von Armut, Alkohol und Gewalt, und erst am Ende geht uns auf, dass wir die ganze Zeit schon eine Ermittlung, einen erzählten Indizienprozess verfolgt haben.

Lakonisch und präzise

Dies ist nun der dritte dieser kurzen Romane (nach „Winters Knochen“ und „Der Tod von Sweet Mister“), aus denen Woodrell sein Sittenbild der amerikanischen Provinz und ihrer Traumata zusammensetzt. Lakonisch, präzise, nuancenreich und atmosphärisch dicht. Kurz gesagt: Ein kleines Meisterwerk.

Daniel Woodrell: In Almas Augen. Liebeskind Verlag, 192 Seiten, 16,90 €