Verstörend, berührend: Die neuen Jugendbücher von Friedrich Ani und Kevin Brooks erzählen von jungen Menschen, die gefangen gehalten werden – und prangern den Missbrauch von Kindern an.
Als Friedrich Ani dieses Jugendbuch geschrieben hat, konnte er nicht ahnen, wie sehr er den Nerv der Zeit treffen würde: Fünf Jugendliche sind in einem Keller ohne Fenster eingesperrt. Jeden Tag wird einer von ihnen nach oben geholt. Was ihnen widerfährt, dürfen sie sich nicht erzählen. Denn wer darüber spricht, so sagen die „da oben“, der stirbt. Doch die Gedanken, die der Leser erfährt, lassen es erahnen: „Sie hörte das Klicken der Fotoapparate und konnte noch immer nicht begreifen, warum Erwachsene so etwas taten und andere Erwachsene existierten, die sie dazu beauftragten und bezahlten.“
Ani gibt der Debatte über Kinderpornografie, die der Fall Edathy angestoßen hat, eine neue Perspektive: die der missbrauchten Kinder. „Kinder und Jugendliche werden weltweit misshandelt, verkauft, zur Prostitution gezwungen, in fürchterlichen Abhängigkeiten gehalten“, sagt Ani und fügt mit Blick auf seinem neuen Roman „Die unterirdische Sonne“ hinzu: „Ich schildere nur einen kleinen Ausschnitt dieser Wirklichkeit.“
Selten wirkt ein Jugendbuch derart verstörend. Dabei deutet Ani vieles nur an und überlässt die Brutalität der Fantasie des Lesers. In seinem atmosphärisch dichten Roman lässt er die Scham der Jugendlichen spüren, ihre Verzweiflung, ihren Todeswunsch. Nicht alles wirkt glaubwürdig.
Aber dass solch eine Tat in einem friedlichen Dorf mit reetgedeckten Häusern verübt wird, neben ahnungslosen Nachbarn, erinnert an reale Fälle: Natascha Kampusch, die von Wolfgang Přiklopil acht Jahre lang eingekerkert wurde. Josef Fritzl, der seine Tochter 24 Jahre im Keller immer wieder vergewaltigte, um die gemeinsamen Kinder ebenfalls wie Tiere einzusperren. Und schließlich die Entführung von Cleveland, bei der Männer drei Frauen wie Sklavinnen gehalten haben.
Kevin Brooks lässt Motive des Täters im Dunkeln
Auch der Autor Kevin Brooks sperrt in seinem neuen, am 1. März erscheinenden Jugendbuch seine sechs Figuren ein, in einen unterirdischen Bunker. In „Bunker Diary“ hält der 16-jährige Linus das Unfassbare in einem Tagebuch fest: „Als ob wir Ratten in einem Käfig wären, die lernen sollen, welche Knöpfe sie drücken müssen. Wenn wir den richtigen drücken, bekommen wir Essen, wenn es der falsche ist, krepieren wir.“
Im Gegensatz zu Anis Geschichte lässt Brooks im Dunkeln, was das Motiv des Täters „da oben“ ist. Er konzentriert sich auf das Miteinander der zusammengepferchten Menschen, wie sie sich Mut geben – und entmutigen. Dadurch wirkt das Buch nicht so brisant wie „Die unterirdische Sonne“, entwickelt aber einen ähnlichen Lesesog und lässt erahnen, wozu die meisten in ungewohnten Situationen fähig sind.
Menschen aus ihrer Welt zu reißen und unter unmenschlichen Bedingungen wieder zusammenzubringen, fasziniert Schriftsteller schon seit Jahrzehnten. Bereits William Goldings Roman „Herr der Fliegen“ von 1954, der Kinder auf einer Südseeinsel aussetzt, lebt von diesem Stilmittel. Ebenso die aktuell erfolgreiche Romantrilogie von Suzanne Collins „Die Tribute von Panem“, bei der Jugendliche wie in einer modernen Gladiatorenarena aufeinandergehetzt werden.
Für Ani und Brooks sind die erfundenen Kellergefängnisse auch ein Kunstgriff, um die Spannung zu erhöhen. Den Autoren jedoch aufgrund der beschriebenen Gewalt Effekthascherei vorzuwerfen – und das in einem Jugendbuch –, würde den Kern der Geschichten verfehlen. Es geht bei ihnen nicht um blutige Schlachten, um zweifelhaftes Heldentum. Ihre Erzählungen über Freiheitsentzug berühren und sie werfen Fragen auf: Unter welchen Bedingungen ist man noch ein Mensch? Wie bewahrt man sich seine Menschlichkeit? Und wer trägt wie viel Verantwortung für die Gewalt in unserer Welt?
Friedrich Ani: „Die unterirdische Sonne“, cbt, 333 S., 16,99 €, ab 16
Kevin Brooks: „Bunker Diary“, dtv, 298 S., 12,95 €, ab 15