Auf Sand gebaut: Uwe Timm erzählt in „Vogelweide“ von einer Affäre, die gleich vier Lebensentwürfe unterspült.

Sechs Jahre ist es her, dass Eschenbach Annas Stimme zuletzt gehört hat: Ruf mich nicht mehr an, lautete ihre Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Nun aber will sie ihn besuchen auf der Insel Scharhörn, wo er, aushilfsweise, als Vogelwart arbeitet. Um eine Affäre, die gleich vier Leben aus dem Gleis brachte, kreist Uwe Timms Roman „Vogelweide“ – ein leises, beinahe altersweises und nur ein klein bisschen eitles Werk über die Verletzbarkeit bürgerlicher Existenzen.

Während Eschenbach auf Annas Ankunft wartet, sie wird bei Ebbe mit dem Pferdefuhrwerk anreisen, rollt Uwe Timm die Geschichte seines tiefen Falls auf. Zwei Berliner Paare lernen sich kennen, standesgemäß bei einer Vernissage, sie lästern gemeinsam, trinken gemeinsam – der Rotwein fließt in diesem Buch in Strömen. Dass Uwe Timm es mit diesem Roman auf die Besten-, wie die Bestsellerlisten geschafft hat, deutet darauf hin, dass er die Lebenswelten der Bildungsbürgerschicht (die abends gerne ein gutes Buch zum guten Wein liest) ziemlich genau getroffen hat.

Kunstlehrerin Anna ist Ehefrau des Architekten Ewald, sie haben Kinder und haben es schön. Eschenbach, geschieden und Vater einer erwachsenen Tochter (Investmentbankerin), ist mit der Silberschmiedin Selma liiert, die antiken Hopi-Schmuck fälscht – endlich ein kleines Augenzwinkern im ansonsten höchst seriösen Setting. Das Schwelgen im Luxus aber dient Timm vor allem dazu, die Fallhöhe zu maximieren: Denn am Ende ist Eschenbachs Softwarefirma insolvent und alles, seine Penthousewohnung, die Designersessel, sein Oldtimer und selbst der Rotweinkeller werden gepfändet.

Was nichts ist gegen Schmerz, wenige Tage zuvor von Anna verlassen worden zu sein.

Klugerweise verweigert Timm uns oberflächliche Details dieser Affäre: Warum wir begehren, wen wir begehren, lässt sich eben nicht erklären. Ohnehin lebt diese Geschichte einer Leidenschaft nicht von der Beschreibung wild klopfender Herzen, sondern trägt bereits die Patina des Vergangenen. Das eigentlich Staunenswerte dieses Romans ist der gelassene Tonfall des Erzählers, der die Trümmer seines Lebens so nüchtern notiert, wie er das von den Wellen angespülte Strandgut verzeichnet.

Uwe Timm: Vogelweide. Kiepenheuer & Witsch, 336 S., 19,99 €