Der Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer wurde soeben mit seinem gewaltigen, großartigen Roman „Im Stein“ für den Deutschen Buchpreis nominiert. Er erzählt von Huren und Freiern, Träumern und Verlorenen.
Dieser Roman vibriert, pulsiert, er glüht vor lauter Leben. Er katapultiert seine Leser direkt ins Dickicht der Nacht. Hier warten die Huren auf ihre Freier, hier regieren die „Engel“ und „der Bielefelder“. Ein alter Jockey trägt das Bild seiner verschwundenen Tochter in den Taschen seines verschlissenen Trenchcoats. Ein Mann namens „AK 47“ liegt angeschossen auf nassem Asphalt. Ein Bagger birgt Moorleichen, draußen vor der Stadt, aber den Lebenden geht es nicht besser: Auch sie stecken tief im Sumpf.
Clemens Meyer ist wieder da. Vor sieben Jahren betrat der Leipziger mit seinem Debüt „Als wir träumten“ die Bühne: das Porträt einer Wende-Generation, die zwischen Kneipe, Knast und Keilereien taumelt – poetisch und schonungslos. Der Literaturbetrieb liebte ihn auch deswegen, weil er so anders war: ein tätowierter Dosenbiertrinker mit rauer Whiskystimme. Seine Sätze schwangen wie Fäuste, im Rhythmus von Güterzügen und grölenden Fußballfans. Meyer holte aus und traf. 2009 erhielt er für seinen schmalen Erzählband „Die Nacht, die Lichter“ den Preis der Leipziger Buchmesse. Mit seinem ziegelsteindicken Roman „Im Stein“ gilt Meyer nun als einer der heißesten Anwärter auf den Deutschen Buchpreis.
Clemens Meyer buchstabiert uns ein Milieu vor, von „AV“ über „KB“ bis „SM“. In einer namenlosen Ost-Metropole singt ein Chor der Stimmen, temporeich und atemlos: wie die West-Luden die Stadt unter Kontrolle bringen wollen, wie das Internet den Markt verändert, wie die Frauen diesen Markt beobachten – wenn die Konkurrentin „FO“ anbietet, muss man ja nachziehen.
Die stärksten, überraschendsten Passagen gehören den Frauen. Sie plaudern so illusions- und schamlos über ihren Beruf, als ginge es um eine beliebige Dienstleistung. Dabei redet Meyer das Gewerbe keinesfalls schön. Nur kommen Abhängigkeiten hier subtiler daher als gedacht. „Das Geld ist die Droge“, sagt Arnold Kraushaar alias „AK 47“, Selfmade-Größe des Gewerbes. An der Abendschule paukt er Betriebswirtschaft: „Gebumst wird immer“, er will expandieren.
„Prostitution ist in der Mitte der Gesellschaft“, sagte Clemens Meyer einmal in einem Interview. Dank seines kraftvollen, verstörenden Romans kann man das auch von der Literatur wieder sagen: Sie ist mittendrin im Leben.
Clemens Meyer: Im Stein. S. Fischer, 560 S., 22,99 €