Altkanzler Helmut Schmidt reiste im vergangenen Jahr zum „letzten Besuch“ bei Lee Kuan Yew, dem ehemaligen Premierminister von Singapur. Jetzt ist das Gespräch der beiden Staatsmänner als Buch und auch als Hörbuch erschienen.
Zwei alte Männer, beide um die 90, reden über Gott, die Welt und gemeinsame Erinnerungen. Gut vier Stunden lang. Will man sich das anhören? Man muss!
Mai 2012. Helmut Schmidt – 93 Jahre alt, auf den Rollstuhl angewiesen – nimmt noch einmal die beschwerliche Reise nach Singapur auf sich. Es ist für den Altbundeskanzler eine Art „sentimental journey“, eine Reise in die Vergangenheit. In Singapur wird er Lee Kuan Yew treffen. Yew, zu diesem Zeitpunkt auch schon 89 Jahre alt, war gut 30 Jahre Premierminister von Singapur, nachdem er die einstige britische Kronkolonie in die Unabhängigkeit geführt hatte. Die beiden Ex-Staatsmänner verbindet eine jahrzehntelange, enge Freundschaft. Zusammen mit den früheren US-Außenministern George Shultz und Henry Kissinger bildeten Schmidt und Yew über viele Jahre ein Quartett, das sich immer wieder zum Gedankenaustausch traf. Schmidt fliegt nun nach Singapur, um sich von „Harry“, wie er Yew nennt, zu verabschieden.
Das Protokoll der auf Englisch geführten Gespräche, die Schmidt und Yew an drei Tagen in einem Konferenzraum im Shangri-La-Hotel in Singapur führten (für seinen unter einer Tabakallergie leidenden Freund verzichtete Schmidt bei den Treffen sogar auf die geliebte Zigarette), liegt nun in Deutsch als Buch und als Hörbuch vor. Es geht um Mao und Shakespeare, Mehrsprachigkeit und Zuwanderung, Konfuzianismus und Machtpolitik. „In den Wahlkämpfen in Europa“, befindet der alte Realpolitiker Schmidt, „geht es auch um Visionen, die niemals Wirklichkeit werden.“ - „Ja“, stimmt Yew zu, „viele Politiker bauen Luftschlösser.“
Hörbuch mit anrührendem Originalmitschnitt
Vor allem das Hörbuch, gelesen von Hans Peter Hallwachs (Yew) und Hanns Zischler (Schmidt), ist ein Genuss. Mal altersweise, mal melancholisch, dann wieder dozierend – Hallwachs und Zischler finden stets den rechten Ton. Wenn etwa Yew, mit dem Blick des Asiaten auf Europa, wenig optimistisch über die Europäische Union richtet: „Die EU ist ein Unternehmen, das durch eine zu schnelle Vergrößerung in Schieflage geraten ist und das wahrscheinlich scheitern wird“ – dann klingt dies weder arrogant noch besserwisserisch, sondern abgeklärt und bedauernd.
Die Passagen, in denen sich Schmidt und Yew über die Rolle Chinas als Wirtschaftsmacht, die Krise der USA oder die Fehler der deutschen Wiedervereinigung austauschen, machen Buch wie Hörbuch zu einer spannenden Geschichtsstunde. So sagt Yew an einer Stelle über die USA, das amerikanische System sei „der total freie Markt: Boom. Krise. Und wieder Boom“. Gewusst hat man das immer, aber so prägnant hat man es selten gehört.
Anrührend ist der Originalmitschnitt vom Ende des Gesprächs am dritten Tag des Treffens. „Dies ist mein letzter Besuch in diesem Teil der Welt“, sagt Schmidt. „Alles Gute für Sie, Harry.“ Und Yew: „Es ist eine Ehre, Sie zu kennen.“ Dann reden die beiden noch über das Buch, das aus diesem Gespräch entstehen wird. Bücher seien wichtig, sagt Schmidt. Denn: „Schreiben hält den Geist am Leben.“ Pause. „Plus Zigaretten.“ Und sein Freund Harry lacht.
Helmut Schmidt: Ein letzter Besuch. Der Hörverlag, 4CD, ca. 280 Minuten, 19,99 Euro.
Als Buch: Siedler Verlag, 192 S., 19,99 Euro.