Köln. Wellen, Wolken und Reichtum in jeder Hinsicht: Kölns Wallraf-Richartz-Museum zeigt Marinegemälde des „Goldenen Zeitalters“ aus den Niederlanden.
Ja, da war auch Sklavenhandel, der Menschen wie Vieh behandelte, da waren Raubzüge und eine fast rauschhafte Ausplünderung ferner Erdgegenden. Allmählich nehmen die Niederlande die Schattenseiten ihrer Geschichte zur Kenntnis, aber noch immer sorgt die Rede vom „Goldenen Zeitalter“ des Landes für glänzende Augen: Die im Vergleich zu Supermächten wie Spanien oder England winzige „Republik der Sieben Vereinigten Niederlande“ wuchs innerhalb von Jahrzehnten zur führenden Handels- und Kriegsmacht auf den Sieben Weltmeeren heran.
Der bis heute sichtbare Spiegel dieses kapital(kräftig)en Aufstiegs war die Malerei der Zeit, die noch ein bisschen Handwerk, schon ein wenig Industrie und immer mehr Kunst war: Von den nicht einmal zwei Millionen Niederländern waren 7000 Maler, die in der Hochkonjunktur ihrer Zunft rund 70.000 Bilder schufen – pro Jahr! Der wachsende Wohlstand erlaubte den Bürgern mehr und mehr, ihr Heim mit Leinwänden zu dekorieren.
Die Schau zeigt, wie vielschichtig aber auch die handelstreibende Seefahrt ins Bild geriet
Neben Porträts, Stillleben, Interieurs und Landschaften entstanden aus mannigfaltigen Gründen Seestücke. Das Meer war nicht nur Fanggrund für die vielen Fischer des Landes (fast 600 Schiffe allein gingen auf Heringsfang); ihm wurde mit Deichen auch ein Quadratmeter nach dem anderen abgetrotzt, die Windmühlen trieben nicht nur Mahlsteine, sondern auch Pumpen an. Wie vielschichtig aber auch die handelstreibende Seefahrt ins Bild geriet, zeigt jetzt eine Kabinettausstellung mit Seestücken im Kölner Wallraf-Richartz-Museum.
Das ist zwar gesegnet mit Malerei des „Golden Zeitalters“, Rembrandt inklusive – hat aber eine gewisse Lücke im Bereich der Seestücke. Die füllt nun für ein Jahr die private Sammlung eines Kaufmanns, der anonym bleiben möchte, aber über zwanzig veritable Gemälde im Laufe von Jahrzehnten zusammengetragen hat, die mehr als einen Blick lohnen.
Ein Dreimaster im Tal eines stürmischen Wellengebirges, wie Claes Claesz. Wou ihn sah
Da ist etwa der Dreimaster im Tal eines stürmischen Wellengebirges, wie Claes Claesz. Wou ihn im 45-Grad-Winkel schräg legte, unter dunkel heranstürmenden Wolke, die am oberen Rand aber von einem Sonnenstrahl aufgehellt werden, genau wie die schaumigen Wellenkämme vor dem Schiff, auf die ein Spot zu fallen scheint. Wou, Spezialist für solche Sturm-Szenen, ließ neben der niederländischen Fahne auch die seiner Heimatstadt Amsterdam vom Wind halb zerfetzen und schreckte auch vor Schiffbruch-Szenen nicht zurück.
Überhaupt hielt ungewohnter Realismus Einzug in die Malerei, gewiss auch der protestantischen Nüchternheit der Kunden geschuldet. Jan van Goyen, der das tonige Grau-Braun liebte, zeigt neben einem romantisch beleuchteten Erkerturm am Ufer die harte Arbeit auf der Werft beim überlebenswichtigen Kalfatern, bei dem die Zwischenräume der Schiffsplanken mit Weidenruten, Flachsresten und flüssigem Pech abgedichtet wurden. Und ein Reinier Nooms ließ sich stolz „Zeeman“ nennen, weil er selbst mit an Bord war, wenn niederländische Fregatten im Mittelmeer kreuzten, um dann etwa in Tripolis mit Lösegeld Geiseln aus der Hand von Piraten zu befreien. Impressionen aus einer nordafrikanischen Bucht zeigen allerdings, dass auch dort Waren von und an Bord geladen wurden.
„Darin lag ja das Genie des niederländischen Seehandels“, weiß Kuratorin Anja K. Sevcik, „dass es fast nie Leerfahrten gab“. Und über aktienähnliche Einlagen, etwa in der Ostindien-Kompanie, waren viele Niederländer daran beteiligt: „Es war ein bisschen Roulette, man konnte das goldene Los damit ziehen, Piraten oder Stürme konnten aber auch den kompletten Verlust des Geldes bedeuten, wie es etwa auch Rembrandt ergangen sein dürfte.“
Willem Hermansz. van Diest aus Den Haag war ein Spezialist für Szenen der Windstille
Vielleicht rührte die Liebe der Niederländer zur See ursprünglich auch daher, dass sie dort die Fortsetzung ihrer flachen Umgebung im feuchten Element erkannten. Während zuvor die Renaissance-Malerei einen Blick auf die gesamte Welt aus erhöhter Perspektive suggeriert, hält mit der niederländischen Malerei zu Land wie zu Wasser der tiefe Horizont Einzug, der die Bodenständigkeit des Betrachtens betont, bei aller schier endlosen Weite einer Landschaft. Das gilt erst recht für Fluss- und Kanal-Landschaften, bei denen dann auch mal ein einsamer Wächter der lebenswichtigen Deiche auf dem Rücken eines Ackergauls ins Bild rücken konnte. Die Maler-Werkstätten spezialisierten sich mehr und mehr; in Utrecht etwa verwandten die führenden Marinemaler Adam Willaerts wie auch seine Söhne Abraham und Bruder Isaac gern den Blick auf das Heck eines Dreimasters oder Wellenbögen mit Schaumkrönchen.
Willem Hermansz. van Diest aus Den Haag hingegen war ein Spezialist für „Kalmen“, für Szenen der Windstille und Flauten; Pieter Mulier in Haarlem machte sich einen Namen mit bewegten Fischer-Szenen und Adriaen Cornelisz. van der Salm ahmte luxuriös als Maler Grafik nach, indem er „Federmalereien“ in Tusche auf Bleiweiß anfertigte. Ansonsten aber, darauf macht Anja K. Sevcik aufmerksam, führte die schnelle, auf niedrige Kosten bedachte Malweise nicht selten auch zu einer heute impressionistisch wirkenden Leichtigkeit, ja Flüchtigkeit bei Farbauftrag und Konturen.
„Poesie der See“. Wallraf-Richartz-Museum Köln, Obenmarspforten. Bis 11. April 2021.
Geöffnet: Di-So 10-18 Uhr. Höchstens 150 Besucher. Eintritt: 8 Euro, erm. 4,50 Euro. Begleitheft: 5 Euro.