Julian Nida-Rümelin analysiert die Lage eines fragilen Systems: Ungleichheit, Populismus und Polarisierung setzen der Demokratie zu.

Um unsere Demokratie ist es derzeit nicht gut bestellt: Eine zunehmende soziale Ungleichheit entzweit die Gesellschaft, neue Möglichkeiten der Kommunikation über die Social Media verschärfen den Ton der Debatte, zunehmende Egoismen und fehlendes Interesse an anderen Meinungen bilden einen Nährboden für populistische Meinungsmacher. Ob in der Türkei, in Brasilien, in Ungarn oder den Vereinigten Staaten - die Demokratie steht unter enormem Druck. Freiheit und Gleichheit, die Grundnormen der modernen Demokratie, werden vielfach angegriffen.

Julian Nida-Rümelin, Professor für Philosophie und politische Theorie, analysiert nun in seinem politischen Traktat „Die gefährdete Rationalität der Demokratie“, was Demokratie nach unserem heutigen Verständnis eigentlich ausmacht und was sie folgerichtig nicht ist. Vor dem Hintergrund einer stets zunehmenden Polarisierung gesellschaftlicher Debatten liefert Nida-Rümelin einen wohltuend sachlichen und brillant formulierten Beitrag, auf der Suche nach Ursachen und Folgen der heutigen Entwicklungen.

Bedrohungen der Demokratie

Unser demokratisches System ist ein sehr fragiles Gebilde, welches im Kern nicht auf einer Abstimmungsregel (alle vier Jahre zur Wahl), sondern „auf einem Konsens höherer Ordnung“ beruht, wie Nida-Rümelin es formuliert. Die demokratische Legitimation wird erst durch Konsens gestiftet. Aber dazu braucht es öffentlichen Vernunftgebrauch und einen Willen zum Diskurs. Doch was ist, wenn Politiker wie Trump, Erdogan oder Orban dies alles in den Wind schlagen? Sie legen die Axt an den Baum der Demokratie.

Die Gründe für politischen Populismus - für Nida-Rümelin ist dies die größte Herausforderung der Demokratie - sind vielschichtig: grenzenloser Kapitalismus und damit einhergehend eine Erosion der sozialen Marktwirtschaft und ein Souveränitätsverlust der Nationalstaaten. Eine zunehmende Ungleichheit in der Gesellschaft und neue Kommunikationsformen bilden einen Nährboden für populistische Positionen.

Hadern mit dem Liberalismus

Mit dem Aufkommen des entfesselten Kapitalismus ist das Einkommen einiger weniger exorbitant gestiegen, ein Großteil aber bleibt in der Entwicklung zurück. Der im Liberalismus angelegte Widerspruch zwischen der Befreiung des Individuums und der kollektiven Gestaltung der Lebensbedingungen breche heute mit Macht auf, so Nida-Rümelin. Die Befreiung des Einzelnen gerate in Konflikt mit der Idee der demokratischen Gestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse. Dies führe zu einer tiefen Krise der Demokratie.

Denn: Demokratische Nationalstaaten fußen auf sozialem Ausgleich. Sie haben ihre politische Identität erst durch die Erfahrung politischer Beteiligung und gleicher sozialer Rechte entwickelt, so Nida-Rümelin.

Doch wie retten wir die Demokratie? Für Nida-Rümelin kann es ein „Weiter so“ unter den aktuellen Bedingungen nicht geben. Es braucht mehr Gerechtigkeit, bessere internationale Regeln und vor allem die Wahrung der Rationalität. Der Mensch sei fähig zur Verantwortung. Und diese hänge davon ab, ob er eine Wahl hat.

Julian Nida-Rümelin: Die gefährdete Rationalität der Demokratie. Ein politischer Traktat. 299 Seiten. Edition Körber. 22 Euro.